Die Masse der braunen Leiber drohte die wenigen Seewölfe an Bord der «Isablla» zu erdrücken. Immer dichter rückten sie zusammen, und bald war die Kuhlgräting die letzte rettende Insel im Meer des Grauens. Da nutzte es auch nichts mehr, daß Arwenack von den Fockwanten aus Kokosnüsse auf die Köpfe der buntbemalten Krieger warf. Es war nur noch eine Frage weniger Augenblicke, bis der Widerstand der elf von der «Isabella» kläglich zusammenbrach. Rundum-Verteidigung war ihre Devise, aber zu viele braune Krieger hatten die «Isabella» geentert. War das das Ende?
Noch nie hatten die Seewölfe einen solchen Nebel erlebt. Niemand an Bord der «Isabella» wußte, wo das Schiff sich befand. Auch der Seewolf nicht. Hasard befahl, den Anker zu werfen. Es war zu gefährlich, im Nebel weiterzusegeln. Untiefen konnten auf die «Isabella» lauern, oder eine fremde Küste oder eine Insel. Die Seewölfe wollten warten, bis der Nebel sich lichtete. Aber dann wurden sie durch unheimliche Gongschläge alarmiert, die zu ihnen hinüberdröhnten. Was hatte das zu bedeuten – außer daß Land in der Nähe sein mußte? Hasard und Philip, die beiden Söhne des Seewolfs, beschlossen, diesem Geheimnis auf eigene Faust auf die Spur zu kommen. Heimlich stahlen sie sich von Bord der «Isabella». Damit begann für die Seewölfe das Unheil. Sie ankerten nur wenige hundert Yard von der Insel der schwarzen Todesgöttin Kali entfernt. Und Asanga, ihr oberster Priester, hatte allen Weißen Rache geschworen, weil Weiße einen ungeheuren Frevel an der Göttin verübt hatten…
Es war soweit, und die Szene wirkte vorübergehend wie festgefroren. Greta, die Braut, stand spitznasig, steif und mit durchgedrücktem Kreuz vor den Kirchenstufen und warf einen scharfen Blick auf den Bräutigam, Nils Larsen, den sie jetzt heranschleppten. Er schien ziemlich voll zu sein, voll mit dem Wässerchen des Lebens, das man auf Bornholm Akvavit nannte. Der Hochzeitszug formierte sich, in der Kirche begann Gesang. Die Glocken läuteten. Da gab Hasard Batuti das Zeichen zur allgemeinen Wuhling. Batuti schubste Arwenack los, und der hüpfte zähnefletschend auf die Braut los. Wie erwartet, fiel sie in Ohnmacht. Das wird mal eine feine Hochzeit, hatte der Profos gesagt – und ganz so sah es aus…
Auch an diesem Morgen gab es für jeden nur einen knapp bemessenen Schluck Wasser. Sie konnten sich bestenfalls damit die Lippen anfeuchten. Zu mehr langte es nicht. Sie hatten das Gefühl, zu Mumien auszutrocknen. Die meisten suchten gleich unter dem Sonnensegel Schutz. Smoky, Ferris, Old Shane und Batuti schütteten Seewasser auf die Planken. Aber das verdampfte schon innerhalb kurzer Zeit. Danach waren die Planken wieder knochentrocken. Sie mußten Land und Wasser finden. Ständig wurde Ausschau gehalten. Die Augen wurden dabei so überanstrengt, daß man Trugbilder sah. Noch vor Mittag erschien wieder die Stadt mit den goldenen Türmen am flirrenden Horizont…
Die «Isabella VIII.» lag nach ihrem letzten blitzartigen Manöver hart am Wind, und für einen Moment glaubte Hasard, daß sie die Piraten übertölpelt hätten. Doch dann sah er, daß der Kapitän auf der Karacke im letzten Moment reagierte und noch härter an den Wind ging, um die Luvposition nicht zu verlieren. Sie konnten es nicht schaffen. Wie ein Albatros jagte die Karacke auf sie zu. Fast schien es, als wolle sie der «Isabella» ihren Bugspriet in den Rumpf jagen…
Der Sturm trieb die «Isabella IX.» unaufhaltsam auf Legerwall zu, wo sie auflaufen und zerschellen würde. Da half kein Beten und kein Fluchen, ihrer aller Schicksal schien besiegelt zu sein. Ob die beiden Buganker, die als Manöver des letzten Augenblicks geworfen werden würden, faßten und hielten, wußte kein Mensch. Genausogut konnten auch die Ankertrossen brechen, und dann war es endgültig aus mit der «Lady» und ihrer Crew. Vor Topp und Takel lenzend bewegte sich das Schiff durch die aufgewühlte, kochende See. Unablässig blickten die Männer in die Richtung, in der sich die Küste befinden mußte. Sie konnte nicht mehr weit entfernt sein. Und dann nahm das Rauschen und Tosen der Brecher plötzlich zu. Es war deutlich zu hören – die Brandung! Ja, es mußte die Brandung sein, die gegen die Küste anstürmte…
Struzzos schriller Befehl hallte weit über das Wasser. Der Henkersknecht stieß die Felsbrocken nach Backbord von der Bugplattform. Black wurde von den beiden Brocken, an die er mit einer Kette gefesselt war, mitgerissen. Indem er den Oberkörper zur Seiter krümmte, konnte er eben noch verhindern, daß er mit dem Kopf auf den Dollbord schlug. Er pumpte Luft in die Lungen, obwohl er nicht glaubte, daß es ihm noch etwas nutzte. Das Wasser schlug über ihm zusammen. Die Zentnergewichte der Felsbroken zogen ihn in die Tiefe. Rasch schwand die Helligkeit des Sonnenlichts. Blacky sank tiefer und tiefer, er spürte den zunehmenden Wasserdruck, Schleier begannen vor seinen Augen zu wallen, er lehnte sich verzweifelt gegen das Schwinden seiner Sinne auf…
Al Conroy, der Stückmeister der Arwenacks, kam zur Sache. Lange genug war der Verband der Pilgrims von der Rabauken-Karavelle beschattet worden. Jetzt hatten die Kerle die Masken fallen lassen und die «Pilgrim» angegriffen. Da gab der Seewolf den ersehnten Feuerbefehl, und der Stückmeister ließ die Culverinen sprechen. Ein mächtiges Donnerwetter brach über die Rabauken herein. Der erste Schuß kappte den Papageienstock der Karavelle und ließ das Besansegel fliegen, weil die Schot gebrochen war. Ein Hagelgeschoß mit gehacktem Blei zerfetzte das Großsegel, eine Kettenkugel brachte gleich darauf den Großmast zu Fall. Ein Schuß in die Bordwand lag zu hoch, aber der andere saß in der Wasserlinie, genau dort, wo ihn Al Conroy hatte haben wollen. Gurgelnd ergoß sich die See in das gezackte Loch…
Aus dem Feuerberg fauchten Feuergarben hellglühenden Gesteins und rot leuchtende Rauchballen in den Himmel über der Banda-See. Es war Nacht, und die Welt schien unterzugehen. Bosekuru, der Häuptling duckte sich. Aus dem Himmel stürzten die glühenden Brocken wieder zurück auf die Erde, zerplatzten dort beim Aufprall und schleuderten ihr Feuer nach allen Seiten. Wo die Brocken ins Wasser klatschten, stieg zischend Dampf auf. Und dann geschah es. Gleich sechs, acht oder zehn und noch mehr glühende Brocken prasselten auf den Strand nieder, wo die Boote lagen. Nach nur wenigen Augenblicken existierten die Boote nicht mehr – und der Fluchtweg über die See war Bosekurus Stamm versperrt…
Hasard junior hatte die Morgenwache, und als sich die Frühnebel zu lichten begannen, bezog er den höher gelegenen Ausguckposten über der Felsgrotte. Mit dem Spektiv begann er den üblichen Rundblick. Nach Westen hin hatten sich die Nebelfelder bereits weitgehend aufgelöst, die Kimm verschwamm aber noch im Dunst. Langsam schwenkte Hasard junior den Kieker nach Nordwesten. Und dann erstarrte er. Was sich da ein wenig dunstverhangen, aber doch deutlich genug im Okular abzeichnete, nannte man in den afrikanischen Wüstenregionen eine Fata Morgana, ein Bild, das den Augen vorgegaukelt wurde, das aber gar nicht existierte. Es war wie ein Schock, und Hasard junior glaubte im ersten Moment an ein Gespensterschiff…