Ben und Lasse - Agenten außer Rand und Band. Harry Voß

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Название Ben und Lasse - Agenten außer Rand und Band
Автор произведения Harry Voß
Жанр Книги для детей: прочее
Серия Ben und Lasse
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783955683139



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Klasse gehen! Und er hat gestern erzählt, welches Bild Sina abgegeben hat. Da war mir klar, dass das genau das Bild ist, das du am Dienstag in Kunst gemalt hast!“

      „Na und?“ Jonathan geht an mir vorbei und schlendert über den Schulhof in Richtung Eingang. „Ich darf das.“

      Ich hole ihn ein und gehe neben ihm her. „Wieso darfst du das?“

      „Weil meine Schwester ihre Hände nicht so gut bewegen kann!“

      „Deshalb darfst du für sie das Bild malen?“

      „Ich habe eben gerade Herrn Hohmann gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn man seinen jüngeren Geschwistern ein bisschen hilft.“

      „Und da hat er Ja gesagt?“

      „Na ja, zuerst nicht. Aber dann habe ich erzählt, dass meine Schwester Schwierigkeiten mit ihren Händen hat. Und dann hat er mit den Augen gezwinkert und gesagt: ‚Du bist ein guter Bruder. Tu, was du meinst, und wir tun so, als hätte dieses Gespräch niemals stattgefunden.‘“

      „Aber das ist ja dann unfair!“, platzt es aus mir heraus.

      „Wieso?“, empört sich Jonathan. „Nur, weil ich meiner Schwester helfe?“

      „Wenn Sina den Wettbewerb gewinnt, nur weil du ihr geholfen hast, dann hat ja eigentlich nicht sie gewonnen, sondern du!“

      Jonathan winkt ab. „Quatsch. Das Bild gewinnt doch sowieso nicht. So toll ist das nun auch wieder nicht.“

      „Mein Bruder war total begeistert.“

      Jonathan grinst. „Echt?“ Wir sind an der Eingangstür angekommen und bleiben in der Nähe von einem der Sicherheitsmänner stehen. „Vorgestern habe ich Sina mein Bild gezeigt und ihr erzählt, was ich glaube: dass wir beide im Himmel zusammen spielen können, weil sie dann gesund ist. Da hat sie sich so gefreut und hat gesagt, ich soll ihr auch so ein Bild malen. Denn das wäre auch genau das, was sie glauben würde und überhaupt könnte sie ja selbst gar nicht so gut malen und sie könnte mit ihrem Körper ja sowieso nie irgendwo gewinnen und so weiter. Da habe ich ihr das Bild geschenkt.“

      „Aber das ist ja dann eigentlich Betrug“, gebe ich zu bedenken.

      Einer der Sicherheitsleute dreht sich zu uns um: „Wie bitte?“

      Ich hebe kurz meine Hand: „Nichts. Keine Angst. Kein schlimmer Betrug. Nur ein Kinder-Betrug!“

      Jonathan packt mich am Ärmel und zieht mich von dem Sicherheitsmann weg. „Deswegen bin ich doch gerade bei Herrn Hohmann gewesen und habe ihn gefragt. Wenn er Nein gesagt hätte, dann hätte ich mir das Bild von Sina zurückgeben lassen.“

      „Aber heute ist Abgabetermin. Heute Nachmittag ist die Auswertung, morgen wird der Gewinner bekannt gegeben! Da kannst du dir nichts mehr geben lassen!“

      Jonathan grinst breit. „Da kann ich ja froh sein, dass Herr Hohmann ein Auge zugedrückt hat, was?“ Und damit geht er ins Schulgebäude rein und lässt mich auf dem Schulhof zurück.

      Am Freitag versammeln sich wieder alle in der Turnhalle. Wieder sind die Erstklässler dabei. Wieder reißt sich Lasse die Arme beim Winken aus, als er mich sieht. Und wieder hat Jonathan für Sina einen Platz in der ersten Reihe freigehalten.

      An ungefähr tausend Stellwänden am Rand der Turnhalle entlang hängen aus jedem Jahrgang die schönsten Bilder. Meins hängt nicht dabei. Ich habe am Mittwochnachmittag schnell noch einen Jesus am Kreuz gemalt. Daneben habe ich auch einen Jesus gemalt, der auferstanden ist. Mein Jesus war allerdings nicht nackt, sondern trug ein Kleid, wie ich es aus meiner Kinderbibel kenne. Und ich habe gedacht, ich mache es mal besonders gut: Ich habe rechts neben das Kreuz einen Jungen gemalt, der zu Jesus schaut. Das soll ich sein. So wie der Maler von damals sich auch selbst mit ins Bild gemalt hat. Und oben vom Himmel kommt ein überdimensionales Taschentuch herunter, um alle Tränen abzuwischen. Damit habe ich den Gedanken von Mama auch noch mit gemalt. Der hat mir gut gefallen. Als mein Bild fertig war und ich es mir angeschaut habe, habe ich gedacht: Ja, das drückt das, was ich glaube, ganz gut aus: Jesus ist für alle Menschen am Kreuz gestorben. Auch für mich. Und irgendwann, wenn diese Welt zu Ende ist, trocknet Gott meine Tränen ab und alles Heulen, alle Eifersucht, alles Anstrengende ist vorbei. Darauf freue ich mich. Anscheinend habe ich die Jury aber nicht überzeugt. Denn mein Bild hängt, wie gesagt, nicht dabei.

      Endlich geht die Veranstaltung los. Herr Hohmann und die Kunstlehrer der beiden Schulen überschlagen sich eine Viertelstunde lang in Lobes- und Dankesreden über die tollen, tollen Bilder, die die Schüler gemalt haben. „Eins schöner als das andere!“, betont Herr Hohmann. Das kann ich kaum glauben, denn so schön, dass es aufgehängt wird, ist meins ja offensichtlich nicht.

      Dann werden die Preise verliehen. Jahrgangsweise. Immer fünf pro Jahrgang. Also fünf Preise in Klasse eins, fünf Preise in Klasse zwei und so weiter. Bis zur zehnten Klasse. Mit Klasse eins fängt es an. Lasse hat keinen Preis gewonnen. Die Kinder der Plätze fünf bis zwei kenne ich nicht. „Und auf dem ersten Platz ist“, Herr Hohmann macht eine lange Kunstpause und löst dann das Rätsel endlich auf, „Sina Bingel!“

      Die Kinder der ersten Klasse springen auf vor Jubel. Auch Jonathan reißt auf seinem Platz die Arme in die Luft. Als Frau Aust das Bild von Sina in der Hand hält, um es allen in dieser Halle zu zeigen, höre ich, wie einige aus meiner Klasse tuscheln: „Das ist doch das Bild von Jonathan!“ – „Das hat doch Jonathan gemalt!“ – „Hey, Jonathan! Dein Bild!“

      Es geht mit der zweiten, dritten und vierten Klasse weiter. Dann kommt die fünfte Klasse dran. Auf dem fünften Platz ist Sofie. Die Plätze vier bis eins gehen an Schüler aus der Klasse 5b. Von mir aus. Ab Klasse sechs schaue ich unentwegt auf die Uhr. Mir ist langweilig. Und die Verleihung des Schulsiegers interessiert mich auch nicht wirklich, denn da niemand aus unserer Klasse auf Platz eins im fünften Schuljahr ist, wird wohl auch keiner von uns Gesamtsieger. Dann endlich verkündet Herr Hohmann den Hauptpreis: hundert Euro bar auf die Hand und ein Eisessen für die ganze Klasse am kommenden Montagnachmittag bei Herrn Hohmann. „Natürlich können wir bei einem Gesamtsieger nicht das Bild der Erstklässler und der Zehntklässler gleichberechtigt nebeneinander legen“, erklärt Herr Hohmann. „Darum haben wir genau überlegt, bei welchem der Bilder ist es für das Kind dieser Jahrgangsstufe besonders gut gelungen?“ Und bla, bla, geht die Rede noch weiter und natürlich haben eigentlich alle gewonnen und dabei sein ist alles und so weiter. Aber dann endlich holt Herr Hohmann feierlich Luft und beginnt: „Und der Gewinner ist …“ Er macht es wieder sehr spannend, „… vielmehr die Gewinnerin …“ Er hält die Luft an, wirbelt die Arme nach oben und brüllt: „Sina Bingel!“

      Tosender Applaus. Die Kinder aus Lasses Klasse springen von den Stühlen auf und schlagen Purzelbäume auf dem Boden. Jonathan jubelt ebenfalls. Kann ich mir denken. Immerhin ist es ja eigentlich sein Bild, das gewonnen hat. Die Schüler in meiner Klasse klatschen nicht so wild wie die anderen. Sie stecken die Köpfe zusammen und tuscheln. Ich kann mir auch denken, was die reden.

      „Du hast beim Wettbewerb betrogen!“, schimpft Bea mit Jonathan, sobald wir wieder zurück im Klassenraum sind. „Wir hätten Sieger werden können, wenn du dein Bild für unsere Klasse abgegeben hättest und nicht für das erste Schuljahr!“

      „So ein Quatsch!“, tobt Jonathan. „Meine Schwester kann keine Bilder malen! Da kann ich ihr doch wohl helfen!“

      „Du hast aber nicht geholfen“, plärrt Bea, „du hast das Bild komplett selbst gemalt!“

      Herr Jung kommt zur Klasse herein und will wissen, was hier los ist. Bea erklärt Herrn Jung ihre Sicht der Dinge: Jonathan hat so ein schönes Bild gemalt, aber er hat es seiner Schwester gegeben und die hat damit den ersten Preis der Schule gewonnen. Das findet sie unfair.

      Herr Jung bittet Jonathan, die Sache aus seiner Sicht zu erzählen. Bei ihm klingt das alles viel harmloser: Nicht er habe das Bild seiner Schwester geschenkt, meint er. Seine Schwester sei traurig gewesen, weil sie meinte, sie könne nie mal etwas gewinnen. Also habe er ihr sein Bild überlassen.