Название | Oberst ohne Ritterkreuz |
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Автор произведения | Franz Taut |
Жанр | Языкознание |
Серия | Zeitzeugen |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783475543258 |
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2013
©2014 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
Titelfoto: © Bundesarchiv Bild 101III-Bueschel-044-06A / Fotograf: Büschel
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
eISBN 978-3-475-54325-8 (epub)
Der Ablauf des militärischen Geschehens
entspricht der geschichtlichen Wahrheit.
Die handelnden Personen sind frei
erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten sind
daher rein zufällig.
Inhalt
Der Feuerschlag
Draußen wurde es Tag. Aber die kleinen Fensterscheiben waren dick vereist und ließen so wenig von der heraufdämmernden Helle ein, dass ich die Kerosinlampe brennen ließ. Das Feuer im Ofen war erloschen; trotzdem ging von dem weiß verputzten Koloss noch ein Hauch von Wärme aus. Links im Nebenraum schliefen die Melder auf ihrem Strohlager, über das sie Zeltbahnen und Decken gebreitet hatten. In der winzigen Kammer zur Rechten – der Türausschnitt war mit einer Zeltbahn verhängt – befand sich das ähnlich beschaffene Lager des Kommandeurs. Ich hatte damals, Ende November, als wir in Pawlowskaja Quartier bezogen, ein Bett für ihn besorgt. Aber Oberst Metzelbrod hatte das Bett ins Schulhaus bringen lassen, wo die Sanitätsabteilung der Division den Hauptverbandsplatz eingerichtet hatte. Ich selbst hatte meinen Schlafplatz auf der Ofenbank, denn oftmals kamen nachts Anrufe oder Melder waren abzufertigen, und ein Regimentsadjutant muss stets zur Stelle sein.
Die Morgenmeldung für die Division war fertig gestellt; bald war es Zeit, sie durchzugehen. Eine ähnlich ruhige Nacht wie die vergangene hatte es lange nicht gegeben. Ich schrieb dies der Kälte zu, die seit einigen Tagen ausgesprochen sibirisch war. Sogar das übliche Störungsfeuer der russischen Batterie, die jede Nacht die Stellung wechselte, war ausgeblieben. Auch die eigene Artillerie hatte diese Nacht geschwiegen.
Ich stand auf und ging zur Haustür, um nach dem Thermometer zu sehen, das draußen am Türstock angebracht war. Als ich die Tür öffnete, sprang die Kälte mich förmlich an. Das Quecksilber war auf minus 36 Grad gesunken. Der bleiche Winterhimmel war wolkenfrei; die Sterne waren schon verglüht. Der Schnee, der, wo er nicht niedergetreten oder geräumt war, bis an die Fenstersimse reichte und in dicken Hauben auf den Strohdächern lag, hatte eine schattenhaft bläuliche Färbung angenommen. Pulverschnee. Aber wir waren nicht zum Skilaufen in Pawlowskaja. Hinter dem weißen Horizont schob sich riesenhaft der blutrote Sonnenball hoch. Rosiger Schimmer breitete sich über den Schnee.
Nach Osten und Norden zu gab es nur wenige kleine Waldstücke. Im Westen dagegen zogen sich Eichenwälder, die freilich bis auf spärliche rostbraune Blätterreste entlaubt waren, bis zum Donez hinunter. Das Land war hügelig, von einzelnen Balkas, tiefen Schluchten, durchschnitten. Unser Dorf war in eine weite, pfannenähnliche Mulde gebettet. Die Hauptkampflinie zog sich am überhöhten diesseitigen Donez-Ufer entlang. Der Fluss unter seiner meterdicken Eisdecke war in russischer Hand, das heißt, er war eigentlich Niemandsland, nur gelegentlich von Späh- oder Stoßtrupps betreten.
Das Dorf ruhte wie ausgestorben in der Winteröde. Aus einigen Kaminen stieg Qualm in die frostige Luft. Die russischen Bewohner hatten Pawlowskaja verlassen. Zwei oder drei Häuser waren durch Volltreffer zerstört.
Ich stand noch immer vor der Tür und fühlte, wie mir Gesicht und Hände erstarrten. Ich wusste, es war töricht, so ohne Mantel in der grimmigen Kälte zu stehen, aber ich blieb und lauschte angespannt. Etwas war außer der Reihe an diesem Januarmorgen, und mir war, als müsste ich ergründen, was es sein mochte. Vielleicht irritierte mich die vollkommene, fast verwunschene Stille so sehr.
Plötzlich regte sich etwas, ein fernes, grollendes Rumpeln, es schwoll sekundenschnell an, hundertfältig, drohend und elementar, wie das düstere Murren eines aufziehenden Gewitters. Aber es war kein Gewitter. Abschüsse und Einschläge verschmolzen zu einem schauerlich brüllenden Getöse. Und die schneebedeckte Erde bebte unter meinen Füßen.
Ich riss die Tür auf und stürzte ins Haus. Oberst Metzelbrod stand am Tisch, in Socken, das graue Haar zerzaust, wie er aus dem Schlaf aufgefahren war. Erst jetzt setzte er die horngefasste Brille auf, die ihm das Aussehen eines weltkundigen, hoch gebildeten Mannes verlieh, was er im Übrigen in jeder Lebensäußerung war. Sein Blick traf mit meinem zusammen.
»Hören Sie sich das an, Emser!«, sagte er.
Seine Stimme klang heiser, wie verrostet. So erregt hatte ich ihn nie gesehen, nicht einmal damals, südlich Emilowka, als das Regiment in Gefahr war, überrannt zu werden.
»Ein Feuerschlag«, bemerkte ich, nur um etwas zu sagen, obgleich es gewiss nicht übermäßig geistreich war. »Vielleicht kommt er mit einem verstärkten Stoßtrupp, Herr Oberst«, setzte ich hinzu. »Er« – das war »der Russe« auf der anderen Seite der Front.
»Stoßtrupp?« Der Oberst schüttelte den Kopf. »Stoßarmee, Emser! Für einen Stoßtrupp verpulvert man auch drüben nicht so viel Munition!«
Ich gab ihm im Stillen Recht und fragte, ob ich Verbindung mit dem Ia herstellen sollte.
»Lassen Sie nur«, meinte er, »ich denke, in Slawiansk klirren die Fensterscheiben zur Genüge. Sogar in Kramatorskaja beim AOK werden sie das hören!«
Aus dem Nebenraum tauchten die beiden Obergefreiten Janke und Kerst auf. Als sie den Kommandeur erblickten, nahmen sie Haltung an. Oberst Metzelbrod winkte ab. Er hatte immer nur