Die Britannien-Saga. Band 1 und 2: Hengist und Horsa / Brand und Mord. Die komplette Saga in einem Bundle. Sven R. Kantelhardt

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können.“ Ceretic nickte unsicher und Tallanus fühlte sich dadurch in seinem Eifer bestätigt. „Auch Vortigern lässt sie nach ihren Sitten leben, solange sie nur als billige Söldner ihre Haut zu Markte tragen“, schimpfte er. Ceretic nickte wieder, blieb aber weiterhin stumm.

      Plötzlich hielt Tallanus erschrocken inne. Neben einem der niedrigen Sträucher hatte er eine Gestalt entdeckt. Die johlenden Gesänge, die vom Lager herüberdröhnten, ließen den hingekauerten Mann noch einsamer erscheinen, als er ohnehin schon wirkte. „Frag ihn doch, ob er sich nicht über den Sieg freut“, forderte Tallanus Ceretic auf. Der Mann trug eine Augenklappe, was aber offenbar nicht auf eine frische Verwundung zurückzuführen war.

      Ceretic zögerte. „Ich kenne den Mann“, informierte er seinen Freund. „Das ist einer jener Übeltäter, die drüben in Sachsen den jungen Ordulf töten wollten. Habe ich dir die Geschichte überhaupt schon erzählt?“

      „Nein, hast du nicht, aber ich fürchte, das ist jetzt auch nicht der richtige Zeitpunkt dafür“, entgegnete Tallanus.

      Ceretic gab eine Reihe hauchender Laute von sich. Der Angesprochene blickte kurz auf, als habe er Ceretics Stimme erkannt. Sein eines Auge verengte sich kurz zu einem schmalen Schlitz und Tallanus musste nervös schlucken. Der Blick gefiel ihm gar nicht, doch dann seufzte der Einäugige resigniert und starrte wieder stumpfsinnig vor sich hin.

      „Der ist wohl betrunken“, bemerkte Tallanus. „Lass uns lieber wieder gehen. Sieht nicht so aus, als bräuchte der hier unsere Hilfe.“ Ihn fröstelte. Die Sachsen waren doch wilde Barbaren! Was hatte ihn nur dazu getrieben sich so vertrauensvoll in ihre Hand zu begeben? Am liebsten wäre er fortgelaufen. Zum Glück hatte er wenigstens Ceretic mitgenommen.

      Doch gerade als er sich abwandte, antwortete der Fremde. Tallanus verstand natürlich nichts, aber er hatte inzwischen genug Sächsisch vernommen, um die Stimmung des Sprechers anhand des Tonfalls einzuordnen. Dieser Sachse klang nüchtern und vor allem zutiefst betrübt. Nach einem kurzen innerlichen Kampf gewann sein Mitleid die Oberhand über die Angst. Langsam drehte er sich um und zwang sich, eine freundliche Miene aufzusetzen. Doch das Auge des Fremden suchte so verzweifelt seinen Blick, dass ihm sofort die Schamesröte über die eigene Feigheit ins Gesicht stieg. Wie hatte er daran denken können einfach wegzulaufen? Serve male et piger – du fauler und unnützer Knecht, so würde der Herr Jesus auch zu ihm sagen, wenn er dereinst in aller Herrlichkeit an der Spitze der himmlischen Heerscharen käme, um die Welt zu richten. Er würde niemals zum Priester oder gar Bischof taugen, die Not dieses Unglücklichen hätte er auch ohne Worte spüren müssen.

      „Was hat er gesagt?“, wandte er sich an Ceretic.

      Der Angesprochene runzelte die Stirn. „Ich verstehe ihn zwar, aber ich verstehe nicht, was er meint“, antwortete der langsam.

      „Was sagt er denn nun?“, drängte Tallanus. Auf einmal brannte es ihm geradezu unter den Nägeln zu erfahren, was den Sachsen quälte.

      „Er sagt: Er hat mein Leben gerettet und mich doch vernichtet“, übersetzte Ceretic.

      Tallanus spürte, wie sein eigener Herzschlag sich beschleunigte. Dieser Mann litt Seelenqualen! War das ein Zeichen des Himmels, dass er hier nicht nur körperliche, sondern auch tiefere seelische Verletzungen heilen sollte? „Was ist es, was dich quält? Erzähle es mir, denn es ist meine Aufgabe, bedrängten Seelen beizustehen!“, behauptete er aufgeregt und diesmal übersetzte Ceretic ungefragt.

      „Dieser Swæn, der mir mein Auge genommen hat – ich kenne die Geschichte –“, übersetzte und kommentierte Ceretic gleichzeitig, „der hat mich damals verschont, aber mit welcher Arroganz! Zwei meiner Geschlechtsgenossen sind seinetwegen gestorben. Und heute, als uns der Feind hart bedrängte, ist er einfach hinter mir zurückgewichen und hat mich im Stich gelassen. Da habe ich meinen Hass herausgeschrien. Und was hat der Kerl gemacht? Er ist umgedreht und hat mich und die ganze Schlacht gerettet! Mein ärgster Feind hat mir das Leben gerettet. Und schlimmer noch, er ist stärker und mutiger als ich und auch als all die Anderen, mit Ausnahme Hengists vielleicht. Ich schulde ihm ewigen Dank und Gefolgschaft, aber die erlittene Schmach und die Treue zu meinem eigenen Geschlecht fordern, dass ich ihn hasse und vernichte. Mein gerettetes Leben verlangt, dass ich ihm meine Dienste anbiete, aber die Gesetze der Blutrache gebieten, dass ich ihn töte. Ich sehe keinen Ausweg, als mir selbst das Leben zu nehmen!“, übersetzte Ceretic wortgetreu. Dann drehte er sich zu seinem Freund um. „Und? Kannst du ihm nicht helfen? Du kennst dich doch mit solchen Dingen aus.“ Er sah Tallanus erwartungsvoll an und auch der Sachse blickte mit einer Mischung aus Schmerz und Spannung zu ihm auf.

      Himmel, was für eine Not! Und obendrein war es ein Heide. Tallanus stöhnte. Ceretics hohe Erwartungen machten das Ganze nicht besser. Wieso habe ich den Mann nicht einfach in Ruhe gelassen? Bin ich überhaupt für die Heiden zuständig? Oh, serve male et piger!, schimpfte er sich in Gedanken nochmals. Was hat der liebe Heiland nicht alles um meinetwillen auf sich genommen? Und ich, sein unwürdigster Diener, bin erst zu feige und dann zu faul, um dieses unglückliche, verirrte und verwilderte Schaf zum guten Hirten zu führen?

      Langsam setzte er sich gegenüber dem Sachsen auf die Erde. Wenn du mich als dein Werkzeug gebrauchen magst, Herr, dann gib mir auch die nötige Weisheit, betete er dabei im Stillen. Schließlich räusperte er sich und blickte dem Barbaren geradewegs in das gesunde Auge. „Hast du schon mal etwas von Vergebung gehört?“

      Pert Acaiseid, August 441

      Álainn

      Krachend fiel die Schale zu Boden. Álainns rechter Zeige- und Mittelfinger schmerzten wieder wie am ersten Tag ihrer Gefangenschaft. Immer noch konnte sie kaum richtig zupacken. Doch im nächsten Augenblick vergaß sie den Schmerz in der Hand wegen des stärkeren Schmerzes im Gesicht. Nara hatte sie geohrfeigt.

      „Du unnützes Ding, sieh, was du angerichtet hast!“ Die Scherben der Tonschale schwammen in der verschütteten Milch am Boden des runden Speichenhauses.

      Álainn gehörte nun als Sklavin zu Eòghanns Sippe. Und wenn nicht Nara, Eòghanns Schwiegermutter, gewesen wäre, hätte sie sich sogar halbwegs in die Familie aufgenommen gefühlt. In dem kleinen Rundhaus, welches durch Mauervorsprünge, die wie die Speichen eines Rades ins Zentrum ragten, in mehrere Abschnitte aufgeteilt war, war der grausame Seeräuber Eòghann ein umgänglicher Mensch.

      „Lass das Mädchen in Frieden“, kam der gerade eingetretene Hausherr ihr auch gleich zu Hilfe. „Du weißt doch, dass sie verletzt ist, du solltest ihr keine Aufgaben geben, die sie noch nicht verrichten kann“, knurrte er verärgert.

      Álainn verstand den piktischen Dialekt inzwischen problemlos und sie genoss mehr Freiheiten, als sie als Sklavin erwartet hätte. Aber wohin sollte sie auch fliehen? Die Burg stand auf einem Felsvorsprung im stürmischen Ozean, hoch über den kleinen Buchten, in denen die Fischer- und Raubboote der Pikten lagen. Der einzige Zugang zu dem Felsen war nur wenig mehr als dreißig Schritte breit und zudem von einer Mauer geschützt. Der einzige Durchgang, eine etwa zehn Schritt lange Doppelung der Mauer, wurde durch drei hintereinanderliegende Türen verschlossen.

      Doch auch jenseits dieses unüberwindlichen Hindernisses gab es für Álainn keine Hoffnung auf Flucht. Wohin sollte sie sich wenden, hunderte von Meilen von ihrer Heimat entfernt in einem unwirtlichen, rauen Land? Und sie war sich nicht einmal sicher, ob Pert Acaiseid überhaupt in Britannien oder nicht auf einer Insel lag. Die Menschen in der Siedlung waren für ihr Überleben jedenfalls ganz und gar aufeinander angewiesen und nun gehörte sie ebenfalls zu dieser Gemeinschaft. Eòghann hatte sie sogar manchmal ohne Bewachung und ohne jede Bedenken mit den Schafen hinaus auf die Weiden vor der Burg geschickt. Nun zog er sie am Arm von der zeternden Nara fort.

      „Lass sie schimpfen. Du gehst heute wieder mit den Schafen auf die Weide oben im Westen“, beschied er.

      So trieb Álainn bald Eòghanns Vieh durch die drei engen Pforten in der Mauerdopplung aufs Vorland. „Kommt mit, ich bring euch zu den besten Kräutern“, versprach sie den Tieren lockend. Sie kannte den Weg inzwischen gut und die Schafe folgten ihrer Stimme. Langsam löste sich ihre Anspannung und sie schritt rasch voran.

      Das Meer plätscherte sanft in