Irrlicht 5 – Mystikroman. Melissa Anderson

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Название Irrlicht 5 – Mystikroman
Автор произведения Melissa Anderson
Жанр Языкознание
Серия Irrlicht
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740962920



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> Irrlicht – 5 –

      »Naomi«, hörte ich meine Kollegin Rosy durch die Sprechanlage nach mir rufen, »bitte zum Chef.«

      Ich runzelte die Stirn und stellte die Pinsel, die ich eben gereinigt hatte, in ein Wasserglas, damit sie über Nacht nicht austrockneten.

      »Okay«, antwortete ich, »ich komme gleich.«

      Fünf Minuten vor Feierabend? fragte ich mich dann. Was konnte Mr. Larson da noch von mir wollen? Hoffentlich geriet dadurch nicht das geplante Dinner mit meinem Vater in Gefahr, der gerade wieder einmal geschäftlich in Los Angeles zu tun hatte und wie stets seine Einzige ausführen wollte.

      Ich verließ das Atelier, in dem ich normalerweise noch mit meinem Kollegen Rudy Perrida und der Halbtagskraft Joan arbeitete. Bei der renommierten Firma Larson und Larson wurden Kunstwerke restauriert, hauptsächlich Gemälde und Kirchenfenster. Ich arbeitete gerade an einem solchen Fenster.

      Doch es kam nur noch selten vor, daß wir alle zusammen mal im Atelier waren. Immer häufiger mußten wir Aufträge an Ort und Stelle erledigen. Rudy war der Star von uns allen, auch unter den freiberuflichen Mitarbeitern, die Mr. Larson noch beschäftigte, und ich beneidete ihn sehr um sein Talent. Ich war sogar regelrecht eifersüchtig auf ihn, denn er bekam stets die interessantesten Aufträge. Aber ich mochte ihn ganz gern. Er war ein netter Kollege, und ich hatte schon eine Menge von ihm lernen können.

      Eilig lief ich über den Korridor und öffnete die Tür zum Büro. Rosy, Mr. Larsons Sekretärin, packte im Vorzimmer gerade ihre Sachen zusammen.

      »Was ist?« fragte ich sie nervös. »Warum…«

      Rosy lächelte merkwürdig geheimnisvoll. »Geh nur hinein, dann wirst du es gleich erfahren.«

      Ihrem Gesicht nach zu schließen, schien es sich nicht gerade um eine schlechte Nachricht zu handeln, die mein Chef für mich parat hatte. Ich klopfte an seine Tür und trat ein.

      Im Gegensatz zu Rosy machte Mr. Larson ein ernstes Gesicht, und mein Herz sank. Mit gemischten Gefühlen nahm ich auf dem Stuhl Platz, den er mir angeboten hatte. Er saß hinter seinem Schreibtisch und sah mich hinter seinen dicken Brillengläsern kummervoll an.

      »Rudy ist verunglückt…«, begann er.

      Ich schluckte und setzte mich kerzengerade auf. »Rudy ist verunglückt?« wiederholte ich mit gepreßter Stimme. »Das ist ja furchtbar. Ist er… ich meine…«

      »Er ist schwer verletzt«, unterbrach Mr. Larson mein Gestammel. »Mehrere Knochenbrüche, Abschürfungen und eine Kopfverletzung. Aber er wird es überstehen, hat mir der Arzt vom Krankenhaus versichert.« Er seufzte schwer und bot mir eine Zigarette an, bevor er sich selbst eine anzündete. »Das Problem ist nur, daß Rudy nun seinen Auftrag nicht ausführen kann«, fuhr er fort«, deshalb habe ich Sie rufen lassen, Naomi.«

      Er machte eine gedankenvolle Pause, und mein Herz fing an zu pochen. Sollte ich etwa einen von Rudys begehrten Aufträgen übernehmen? War meine Chance nun gekommen?

      »Ich muß nun jemand anderen nach Carmel schicken«, redete Mr. Larson weiter, »und nach reiflicher Überlegung ist meine Wahl auf Sie gefallen, Naomi. Sie haben gerade in der letzten Zeit hervorragende Arbeit geleistet, und meine Kunden loben Sie in den höchsten Tönen. Ich bin sicher, daß Mr. Cummings Gemäldesammlung bei Ihnen in den besten Händen ist.«

      Ich merkte, wie ich vor Freude und Aufregung heiße Ohren bekam. Einen Moment lang konnte ich ihn nur stumm anstarren, weil mir die Worte fehlten. Auf Mr. Larsons rundem, gutmütigem Gesicht lag wieder jenes väterliche Lächeln, mit dem er uns so oft bedachte. Er war der netteste Chef, den man sich denken konnte.

      »Mr. Cummings?« rief ich dann begeistert. »In Carmel? Auf Monterey Peninsula?« Ich konnte es kaum glauben, Mr. Cummings besaß eine umfangreiche und wertvolle Privatgalerie, die in der Fachwelt Aufsehen erregte. Rudy bekam oft mehrmals im Jahr den Auftrag, nach Carmel zu fahren und ein paar von Mr. Cummings Gemälden zu restaurieren. Noch nie war jemand anders geschickt worden, und soviel ich wußte, wollte man in Cypress Manor – so hieß der herrschaftliche Besitz an der Küste von Monterey Peninsula – auch keinen anderen haben.

      »Richtig«, hörte ich Mr. Larson in meine Gedanken hinein sagen. Erst jetzt sah ich ihn wieder bewußt an und registrierte sein breites Grinsen. »Wie würde Ihnen dieser Auftrag gefallen, Mädchen? Ich nehme an, Sie wissen, worum es sich handelt?«

      Ich nickte benommen. »Ja, natürlich. Mr. Cummings’ Gemäldesammlung ist uns ja allen ein Begriff. Und Sie wollen mich tatsächlich nach Carmel schicken, um dort alte Gemälde von unschätzbarem Wert zu restaurieren?«

      Mr. Larson lächelte über meinen Enthusiasmus. »Ich weiß, daß Sie das können, Naomi«, sagte er, »allerdings werden Sie dort eine Weile zu tun haben, und Ihren geplanten Urlaub in zwei Wochen…«

      »Aber Mr. Larson«, rief ich überschwenglich, »was bedeutet mir noch dieser Urlaub, wenn ich statt dessen die Chance habe, einen so phantastischen Auftrag zu übernehmen? Dafür würde ich sogar ein paar Jahre lang auf Urlaub verzichten!«

      Mr. Larson lachte. »Sie können ihn ja anschließend nehmen, wenn Sie damit fertig sind. Bleiben Sie doch gleich auf dieser schönen Halbinsel. Viel werden Sie während Ihrer Arbeit nicht davon zu sehen bekommen, deshalb würde Ihnen ein Urlaub dort sicher gefallen, oder?«

      »Wundervoll«, strahlte ich.

      Mit meinen vierundzwanzig Jahren war ich noch nicht viel aus Los Angeles herausgekommen, und wenn, dann war ich immer nur in südlichere Gegenden gefahren. Auch in Mexiko war ich einmal gewesen, mit Brian, dem Mann, den ich einmal hatte heiraten wollen. Aber seit dem Bruch mit ihm vor zwei Jahren war ich praktisch so gut wie nirgends mehr hingekommen, und Monterey Peninsula mit seiner berühmten Künstlerkolonie hatte mich schon immer gereizt.

      »Die Frage, ob Sie den Auftrag annehmen, erübrigt sich wohl«, meinte Mr. Larson schmunzelnd.

      Ich lachte. »Damit haben Sie vollkommen recht. Wann soll ich fahren?«

      »Am besten gleich morgen, wenn Sie bis dahin Ihre Sachen für einen längeren Aufenthalt packen können.«

      »Aber selbstverständlich«, warf ich ein, obwohl ich mir dessen gar nicht so sicher war. Schließlich war ich heute abend mit meinem Vater verabredet, aber das brauchte Mr. Larson nicht zu wissen.

      »Ich werde ein Telegramm an Mr. Cummings schicken, daß Sie anstelle von Rudy nach Carmel kommen, um die Gemälde zu restaurieren«, bemerkte Mr. Larson, während er etwas auf einen Notizblock schrieb.

      Meine Vorfreude erlitt einen Dämpfer.

      »Wird Mr. Cummings mit mir als Ersatz auch einverstanden sein? Soviel ich weiß, legte er stets Wert darauf, daß ausschließlich Rudy seine Gemälde restauriert.«

      »Machen Sie sich deswegen keine Gedanken, Naomi«, beruhigte Mr. Larson mich, »ich werde ihm alles erklären und Ihnen die besten Referenzen geben. Ich bin sicher, daß Mr. Cummings mit Ihrer Arbeit ebenso zufrieden sein wird wie mit Rudys.« Er zwinkerte mir aufmunternd zu. »Wer weiß, vielleicht will er dann in Zukunft nur noch Sie haben?«

      Ich winkte ab. »Es ist zwar eine große Ehre für mich, wenn ich Rudy vertreten darf, aber ich will ihm bestimmt nicht seinen Job dort wegnehmen, das wäre unfair. Noch dazu, wo er jetzt hilflos im Krankenhaus liegt.«

      Mr. Larson sah auf seine Armbanduhr und erhob sich. »Tut mir leid, Naomi, aber ich muß Sie eben hinauswerfen, da ich noch eine Besprechung habe. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«

      Ich überlegte, doch in meinem Kopf ging alles durcheinander. »Nein«, sagte ich und stand ebenfalls auf, »im Moment fällt mir nichts ein. Außer, daß ich mit dem Kirchenfenster noch nicht fertig bin. Was soll damit geschehen?«

      »Deswegen brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Joan kann es ebenso fertigstellen, außerdem muß ich ohnehin zwei unserer freien Mitarbeiter herbeordern, nachdem Sie und Rudy nun ausfallen.« Mr. Larson öffnete mir die Tür und drückte mir die Hand. »Hals und Beinbruch, Mädchen«, wünschte er mir, »wenn Sie Schwierigkeiten haben, rufen Sie mich an.«

      »Okay«, versprach ich. Dann war ich entlassen.

      Leider