Название | Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1 |
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Автор произведения | Reinhart Maurach |
Жанр | |
Серия | C.F. Müller Lehr- und Handbuch |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811492561 |
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Die vieldiskutierte Frage nach dem Verhältnis ärztlicher Behandlung zur Körperverletzung hat nicht nur konstruktive, sondern auch größte praktische Bedeutung. Dies gilt sowohl für den verunglückten als auch für den erfolgreich abgeschlossenen Eingriff als auch schließlich für die unterlassene Behandlung. Freilich bestand und besteht kein Streit darüber, dass die nach den anerkannten Kunstregeln („lege artis“) mit Einwilligung des Patienten durchgeführte und glücklich verlaufene Heilbehandlung – mag sie auch „Verletzungen“ und damit sowohl Substanzeinbußen (z.B. Amputationen) als auch Missbehagen des Patienten bedingen – nicht strafbar sein darf. Mit diesem kargen, weil selbstverständlichen Ergebnis ist aber weder dem Arzt noch dem Patienten gedient. Der Arzt hat ein berechtigtes Interesse daran, den sozialen Wert seiner Handlung durch Verneinung der Tatbestandsmäßigkeit, äußerstenfalls durch Zubilligung eines Rechtfertigungsgrundes, bescheinigt zu erhalten. Nicht geringer ist das Klärungsbedürfnis des Patienten; denn nur von einem solchen Arzt darf er Heilung erhoffen, dessen Verantwortungsbereitschaft durch das Strafrecht nicht gelähmt, sondern gefördert wird. Die Probleme komplizieren sich bei den zwar sachgemäß vorgenommenen, aber erfolglos gebliebenen Operationen; sie verschieben sich auf eine andere Ebene bei den unsachgemäß durchgeführten und deshalb missglückten Eingriffen. Stets kommt die Frage hinzu, ob anstelle der Körperverletzungstatbestände oder neben diesen nicht noch andere Straftatbestände den Arzt bedrohen. Daher ist es zweckmäßig, die strafrechtliche Beurteilung des ärztlichen Behandlungsrechts ohne starre Bindung an den Verbrechensaufbau (Tatbestand – Rechtswidrigkeit – Schuld) nach Sachgruppen getrennt zu behandeln. Wir unterscheiden demgemäß: 1. die pflichtwidrig unterlassene Behandlung; 2. den lege artis durchgeführten und erfolgreich verlaufenen Eingriff; 3. den lege artis vorgenommenen, aber erfolglos gebliebenen Eingriff; 4. den infolge Kunstfehlers verunglückten Eingriff; 5. ärztliche Handlungen außerhalb des eigentlichen Heilzweckes.
Neulandoperationen will Grahlmann aaO aus der Kategorie des ärztlichen Heileingriffs herausnehmen und als Humanexperiment kumulativ mit Einwilligung, Heilzweck und Wahrnehmung berechtigter Interessen rechtfertigen[36]. Die Abgrenzung der Verantwortung unter mehreren Operationsärzten bzw. Hilfskräften ist im AT § 43 Rn. 76 behandelt[37].
Anmerkungen
A.A. v. Bubnoff GA 68, 77; Jakobs ZStW 91, 642.
Vgl. hierzu Stratenwerth FS Eb. Schmidt 1961, 383; Engisch in Langenbecks Arch. klin. Chir. Bd. 297, 236; Baumann NJW 62, 375; Wilhelm Jura 85, 183.
1. Die unterlassene Behandlung
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Die Eigenschaft als Arzt begründet nach allgemeinen Grundsätzen eine Garantenstellung, wenn der Arzt eine Behandlung individuell übernommen oder sich als Bereitschaftsarzt zur Verfügung gestellt hat[38]. Ansonsten kommt § 323c StGB in Betracht (s. Tlbd. 2, § 55 Rn. 20). Voraussetzung ist allerdings eine Einwilligung oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten (s.u. Rn. 26 ff.).
Anmerkungen
BGH 7, 211; OLG Hamm NJW 75, 604.
2. Der sachgemäße und erfolgreiche Eingriff
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Hier besteht Einigkeit darüber, dass wegen Körperverletzung jedenfalls dann nicht gestraft werden darf, wenn die Operation mit Einwilligung des Patienten oder bei Eingreifen gleichwertiger Ersatzrechtfertigungsgründe vorgenommen wurde. Weiter geht – ein bedauerliches Ergebnis – der Konsens aber nicht. In der Frage des Warum scheiden sich die Auffassungen weitgehend.
a) Die extrem konservative Auffassung wird unentwegt von der Praxis vertreten. Diese sieht den Tatbestand grundsätzlich deskriptiv und objektiv. Der amputierende, Geschwüre öffnende oder Injektionen vornehmende Arzt begeht bei Beschränkung der Tatbestandsmäßigkeit auf das objektiv wahrnehmbare Augenblicksgeschehen eine „an sich tatbestandsmäßige Misshandlung“[39] und unterscheidet sich insofern nicht vom Messerstecher. Nur § 224 wird mangels konkreter Gefährlichkeit abgelehnt (BGH NStZ 87, 174). Es bedarf also der Ermittlung eines Rechtfertigungsgrundes, um die Gegenindizierung der Tatbestandswirkung herbeizuführen. Das RG verfuhr zunächst engherzig, indem es nur die (ausdrücklich erklärte oder vermutbare) Einwilligung des Patienten oder dessen gesetzlichen Vertreters genügen ließ (RG 25, 377). Erst unter dem Druck der Wissenschaft verstand sich die Praxis dazu, ohne Aufgabe ihres grundsätzlichen Standpunktes die Rechtfertigung zu erweitern, so unter großzügiger Auslegung der Einwilligung[40], die Berücksichtigung einer hypothetischen Einwilligung[41] oder allgemein bei Gefahr im Verzuge, hier notfalls auch gegen den Willen des Sorgeberechtigten (RG 74, 350), und wegen fehlender Realisierung des Schutzzwecks der Aufklärungspflicht[42]. Eine Herleitung des Operationsrechts aus einer allgemeinen ärztlichen Berufsbefugnis ist allgemein zutreffend abgelehnt