Peter Wimmer

Список книг автора Peter Wimmer


    VIOLA + BO

    Peter Wimmer

    VIOLA: Hallo! BO: Meint sie mich? – Natürlich. Wen sonst? – Sie kann Gedanken lesen. Oder ist das nur wieder meine Fantasie? Gilt das mir – das kesse Funkeln unter dem Steg, das warme Summen der Saiten und welch ein Gegensatz – die schüchterne Neigung der Stimmwirbel? Wie sie die Schalllöcher schließt. Traumhaft. Wie ein Theatervorhang. Guten Tag. Verehrteste. War das jetzt meine Stimme? – Ich weiß gar nichts mehr. Sie sieht wie immer allerliebst aus, die Nachbarin mit dem süßen Wirbelkasten. Ob sie wirklich …? Nein. Sie ist wohl nur etwas erregt. So wie ich. Ihr Partner ist auch noch nicht da. Es ist spät und die Kollegen sind schon {…} VIOLA: Oh – Wo bleiben denn jetzt die Obertöne? Das ist doch kein Klang, Herr Kollege. Das ist doch … Intervalle, Intervalle und periodische Schwingungen – das erzeugt Musik. Oder ist das die neue Sachlichkeit? {…} BO: Das ist nur der Anfang. Das spielt sich ein. Meine Stärke ist eigentlich mehr die Zurückhaltung, Gnädigste. Eine gewollte, bewusst gesteuerte Zurückhaltung im Dienst der gemeinsamen Sache. – Bin ich Ihnen auch nicht zu schwer? Zu rau? Soll ich etwas Kolophonium nachlegen? {…} VIOLA: Würden Sie vielleicht so freundlich sein und von Zeit zu Zeit einmal Ihren Schwerpunkt verlagern? – Natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht. (…) BO: Oh, ich war so im Thema. Entschuldigen Sie bitte. Sie haben natürlich recht. {…} VIOLA: Vielleicht sollten Sie einmal das Zeitmaß ändern, Verehrtester. Mehr Dynamik, mehr Rhythmus, wenn ich bitten darf. Sie schlafen ja ein. Heben, senken, fließen, die instrumental bedingten Möglichkeiten ausschöpfen. Mehr Tempo. Mehr Bewegtheit. Ich bin immer noch nicht temperiert. Wo bleibt denn Ihre Fantasie, Herr Kollege? {…} BO: Sie könnten unserer gemeinsamen Sache mit mehr Gegenbewegung dienen, verehrte Frau Kollegin. Wenn Sie zum Beispiel Ihren graziösen, allerliebsten Stimmstock etwas mehr durchdrücken, bin ich in der Lage, meine Modulationen wesentlich feiner zu führen. ....

    LANG UND STEINIG DER WEG

    Peter Wimmer

    Der König stirbt – jedenfalls im ersten Teil der Geschichte. Der König, von dem hier berichtet wird, stirbt nicht richtig. Er lebt, obwohl er stirbt. Das ist die Aussage dieser ins Unendliche angelegten Geschichte. Es geht um Verblühen und Erwachen – die Nahtstelle des Seins und um den langen steinigen Weg. (…) Den Oberhofmarschall Godewick durchfährt es wie ein Blitz. Ein Windhauch hat die Kerze beinahe zum Verlöschen gebracht. Ein gehauchtes «oh» zieht durch den Raum. Erschrocken reißt sich Godewick die Brille von den Augen, schaut zum König, springt auf. Die Kerzenflamme verlischt. «Das war … Das war … Majestät, Majestät …» stammelt er in die Finsternis, tastet aufgeregt nach den Zündhölzern. «Das war … Das war doch ein Lächeln. Majestät …» Das Zündholzlicht zittert. Seine Hand zittert. Nein, er hat sich wohl getäuscht. Der König liegt da, wie immer. Ernsthaft, mit erschlafften Lippen, wie ein Mensch der nach innen horcht. «Au.» Die tanzende Flamme hat die Fingerspitzen erreicht. (…) Es ist kurz vor Mitternacht. Zwei Schlossmäuse tanzen im Gang vor den königlichen Gemächern, spielen Nachlauf mit ihren Schatten. Es ist die beste Zeit für Schlossmäuse, eine Zeit in der sie sich so richtig austoben können. Nicht in dieser Nacht. Erschrocken fahren die beiden auseinander. Das Geräusch tapsender Schritte, fliegender Atem und lautes Herzpochen klingen bedrohlich für sensible Mäuseohren. (…) Es ist Sonntag. Alwin krümmt sich in den Kissen. Die Eltern sind verzweifelt. Drei Tage war der Junge unauffindbar. Dann entdeckte man ihn, ohne Besinnung, von Fieberkrämpfen geschüttelt, am Ufer des Flusses. Ein hilfloses Bündel des Schmerzes am Abgrund des Lebens. (…) Alwin steht nachdenklich vor den Büchern. Jeder noch so kleine Winkel der Hütte ist mit Regalen bestückt. Die Bretter biegen sich unter der Last. Seine Hand gleitet über Buchrücken. «Und die hast du alle gelesen? Du musst sehr klug sein.» (…) Gewitterstimmung liegt über dem Land. …

    DRAUSSEN

    Peter Wimmer

    Sie ist drinnen. Er ist draußen. Sie möchte zu ihm. Jedoch … Die Darsteller verkörpern Gegensätze. Beharren im Gewohnten. Aufbrechen. Täglich Neuland betreten. Angst vor dem Ungewissen. Wer und wo bist du heute? Wer und wo bist du morgen? Ich komme. Ich warte. Worauf? Davon handelt dieses Stück. (…) Sie hantiert mit einem großen Bilderrahmen. Der stört, trennt, behindert. Sie möchte zu ihm, reckt sich, versucht es kniend innerhalb des Rahmens. Da sie ihn aber gleichzeitig auch festhalten muss, ist es nicht möglich. Er sitzt fast bewegungslos vor ihr auf der Bühne, schaut nach unten. Sie ist vom Bühnenlicht angestrahlt. Er befindet sich, vom Publikum aus gesehen, im Gegenlicht. (…) SIE: Ich möchte zu dir. ER: So komm doch. SIE: Ich komme. ER: Ich warte. (…) SIE: Ja ich komme. Am besten komme ich sofort. Aber … ER: Aber? SIE: Aber … ER: Hör zu. Bitte entscheide dich. Ich kann hier nicht verweilen. Ich muss weiter. SIE: Du musst weiter? Wohin? ER: Das weiß ich nicht so genau, nur dass es immer weiter geht, jeden Tag, jede Stunde. SIE: Aber … Das ist ja fürchterlich. Warum bleibst du nicht einfach? (…) SIE: Aber das bedeutet doch, dass du selbst jeden Tag woanders bist. Ich meine auch – in dir selbst. ER: Das stimmt. SIE: Schrecklich. Dann bist du jeden Tag ein anderer, weil du … ER: Das stimmt. SIE: Davor habe ich Angst. Wenn ich nun heute noch zu dir komme, zu wem komme ich dann? Doch nur zu dem, der du heute bist. ER: Das stimmt. SIE: Und morgen? Was ist … wenn ich … morgen … Wer bist du morgen? …

    Hurra, heute mauern wir uns ein

    Peter Wimmer

    (…) Zu Hause fühlen, unter Wesen meiner Art. (er springt auf) Unter Wesen unserer Art! Wenn Sie mitmachen! – Wir sind keine Außenseiter und keine an der Gesellschaft Gescheiterten. Das Gegenteil trifft zu. Wir handeln konsequent und verantwortungsbewusst, weil wir an Morgen denken, an die Erhaltung dessen, was unser Leben auf diesem wunderbaren, wahrscheinlich im gesamten Universum einzigartigen Planeten ausmacht. Analysieren, erkennen, handeln, das ist der einzig gangbare Weg. Wir handeln, weil wir nicht warten wollen, bis wir nicht mehr handeln können. Wir treten heraus aus der Schattenrolle. Wir nehmen die Sache in die Hand. (…) Hurra, heute mauern wir uns ein. Nehmen Sie den Titel des Buches wörtlich. Sie schaffen es, wie viele vor Ihnen, mit diesem wohl einzigartigen Ratgeber. Ganz gleich wo Sie leben, wie Sie leben, auf den folgenden Seiten finden Sie mit Sicherheit eine Ihrer individuellen Gegebenheit und Vorstellung gemäße Einmauerungsform. (…) Sie bestimmen Ort und Raum. Sie sind visionärer Planer und genialer Baumeister. In den nächsten Stunden können Sie Ihre hohen kreativen Ambitionen und Ihren Schaffensdrang verwirklichen. In den nächsten Stunden zeigen Sie, wer Sie sind und was Sie sind. Nachher dürfen Sie zu Recht stolz sein, auf das gelungene Werk. (…) Je mehr Brüder und Schwestern sich der Einmauerungs-Philosophie anschließen, desto größer wird unsere stille Gemeinschaft, desto größer werden die Chancen, eines Tages heraustreten zu können, mit Freude, um das Dasein mit Gleichdenkenden wieder lebens- und liebenswert zu erleben. Der Tag wird kommen, das ist gewiss. Wenn man weiß, was man will, fällt das Warten nicht schwer. Ausdauer und Beharrlichkeit – das ist alles, was nach der Einmauerung von Ihnen erwartet wird. Ist das nicht großartig? Nun, da Sie wissen, dass Sie sich in bester Gesellschaft befinden, können wir mit dem Werk beginnen. Alles, was Sie benötigen, erhalten Sie, wenn nicht vorhanden, in gut geführten Handelshäusern. …

    THE KINGS oder KÖNIGE

    Peter Wimmer

    Auf einem kleinen Planeten leben zwei Herrscher. König der Ästhetik, er sieht sich als Modeschöpfer, er sammelt Titelseiten mit seinem Bild. König des Universums, er sieht sich als Wissenschaftler und Astronaut, er sammelt Sterne. Beide bauen, ohne dass sie voneinander wissen, zur Dokumentation ihrer Größe und Macht an ihren Burgen. Bausteine sind in dem einen Falle Titelseiten, in dem anderen Falle Sterne. Jeder der beiden Könige glaubt der einzige Herrscher des Planeten zu sein. Wenn in dem einen Königreich die Sonne aufgeht geht sie in dem anderen unter. Am Ende treffen Welten aufeinander. Der Diener, der beiden Herren dient, ohne dass diese es wissen, wird, da er zwangsläufig nicht zum Schlafen kommt, im Verlaufe des Stücks müde und müder. Im letzten Akt zeigt sich seine wahre Größe. Wer von uns wünscht sich nicht manchmal, statt einer Faust in der Tasche, ein Instrument, eine himmlische Kraft und Autorität, die den König auf das rechte Maß zurechtstutzt? In diesem Stück herrschen die Herrscher maßlos, weil niemand da ist, an dem sie sich messen können, messen müssen, außer dem Diener. Er, der Diener, verkörpert das Volk, die Untertanen, den Hofstaat. Er ist die einzige Reflektion dessen, was die Herrscher in sich sehen, jedoch kein gewöhnlicher Diener. Dies allerdings erfährt der Zuschauer erst am Ende des Stücks. Aiguïse und Kasimir, der Diener beider Könige, wird von einer Person verkörpert. Er schlüpft in der Dunkelphase zwischen den Szenen in die jeweilige Person. Diese Doppelrolle kann auch eine als Mann gekleidete Dame übernehmen. (…) Der König sitzt schlafend und schnarchend in Unterwäsche auf seinem goldenen Thron. (…) Er trägt drei goldene Kronen übereinander auf seinem Kopf. (…) Sein Schneider Aiguïse tanzt mit einer Tafel um den König herum. Die Tafel zeigt beidseitig eine gemalte Sonne. AIGUÏSE: Summ, summ, zwitscher, zwitscher, tirilie, trallala, kikeriki. Der Tag. Majestät, der Tag ist da. Tirilie, trallala. Zwitscher, zwitscher …

    Theaterstücke für einen bis vier Darsteller

    Peter Wimmer

    Austern in der Bretagne oder Kommunikation, ein Maskenspiel / The Kings oder Könige / VIOLA + BO / BENNI oder Aber morgen mache ich alles anders, ganz anders / Ich möchte etwas sagen / Es gibt sie noch / DRAUSSEN / BIRDS oder Die Sache mit der Brille / Nichts für alle / Der Souffleur / Jeden Morgen / Der Mann, der seinen Kopf zu Besuch erwartete / Man nehme / Gute Nacht Lisa oder Die Sache mit dem Teddy / Ich lebe / Ich liebe / Ich denke / Puppenmacher / Hurra, heute mauern wir uns ein

    ICH LEBE

    Peter Wimmer

    Die beiden Akteure stehen mit verschränkten Armen auf der Bühne. Sie schauen ernst ins Publikum. DARSTELLER 2: Ich lebe. DARSTELLER 1: Ich auch. DARSTELLER 2: Ich halte es fest. DARSTELLER 1: Was? DARSTELLER 2: Das Leben. DARSTELLER 1: Wie kannst du es festhalten? DARSTELLER 2: Ich schreibe es auf. DARSTELLER 1: Was? DARSTELLER 2: Was ich erlebe. DARSTELLER 1: Aha. – Das ist dumm. (…) DARSTELLER 2: Ich arbeite an dem, was ich erleben möchte. Ich erlebe es nicht einfach. – Und das ist nicht einfach. Denn was ich anstrebe sind hohe Werte. Und weil ich hohe Werte anstrebe erlebe ich sie auch. – Gezielt. Nicht zufällig. – Und darauf bin ich stolz. Das Bühnenlicht wird sanft kontinuierlich reduziert, sehr behutsam. Darsteller 1 geht in die Knie, setzt sich still auf die Bühne, hält sich die Ohren zu. DARSTELLER 2: Ich schreibe auf was ich erlebe und damit natürlich auch was ich genieße. – Aber während ich aufschreibe was ich erlebe und genieße, genieße ich, dass ich genieße was ich genieße. Ist doch einleuchtend, oder? Ich genieße also auch während ich es genieße zu genießen. – Das ist Leben, so wie ich es verstehe. Ein zeitgemäßes, wertiges, selbstbestimmtes und vor allem sehr genussvolles Leben – kein Stotterleben in Schubladen. Und weil ich genieße, dass ich aufschreibe, dass ich genieße, genieße ich, dass ich es genieße zu genießen – auch noch Jahre später. – Weil ich es ja aufgeschrieben habe!! – Ich genieße somit unendlich oft, was ich genieße. – Genuss wird zur Unendlichkeit!! Ist das nicht genial? – Ich erlebe diesen Genuss täglich real und unendlich in der Erinnerung, dadurch, dass ich aufschreibe was ich erlebe. Ich fasse es für dich noch einmal zusammen: Ich genieße weil ich genieße, dass ich genieße. Und das immer wieder. So oft ich will genieße ich, dass ich genieße was ich genieße, weil ich es genieße zu genießen. – Ist doch einfach und einleuchtend. – Aber natürlich nur weil ich es aufgeschrieben habe. Darsteller 2 sucht den anderen. Wo bist du denn? …

    Der Mann, der seinen Kopf zu Besuch erwartete

    Peter Wimmer

    (…) Er weint, an den Spiegel gepresst. MANN: Lass uns Freunde sein. Sei nett. Wir können über alles reden. Wie immer. (…) Wir sind verabredet! Ich brauch dich! So kann ich doch nicht … (…) Es läutet an der Tür. (…) MANN: Ich bin nicht zu Hause!!! Lass mich. (…) Eine große Ansichtskarte wird unter der Tür hindurchgeschoben. (…) Er hockt unterhalb des Fensters, hält die Ansichtskarte ins Licht. Er entziffert mühsam: MANN: Es ist soweit, Partner. Ich hoffe, es geht dir angemessen. – Danke. Mir auch. – Ich wusste, dass du etwas aus der Situation machst. Eine kleine Verschnaufpause tut uns beiden gut. Man muss doch auch einmal zu sich selbst finden, nicht wahr? Hier auf Mallorca scheint die Sonne. Die brauche ich jetzt. (…) Ich möchte dich besuchen, alter Junge. Ich habe dir Wichtiges zu sagen. Ich hoffe, es passt am Sonntag. Ich komme mit dem Nachtzug. (..) MANN: Eine Hülle bin ich. Eine leere Hülle. Abfall. Nichts weiter. Er zieht an der Zigarette, bläst den Rauch in den Lichtkegel. (…) Er deckt den Tisch, stellt Flaschen und Gläser bereit. (…) MANN: Ich räche mich. Du zahlst für alles, was du mir angetan hast. Komm nur. Komm. Deine Entscheidung passt mir gut. (leiser) Aber nicht der Zeitpunkt. (…) Es ist dunkel auf der Bühne. Der Mann liegt im Bett. Er schläft. Der zuvor vom Wind zugeschlagene Fensterflügel öffnet sich. Ein weißes Gesicht schiebt sich in den Raum. (…) Er steigt durchs Fenster, hält eine weiße Einkaufstüte in der Hand. Die Vorhänge schweben im Raum. (…) KOPF: Ich habe dich über, du Miststück. Du Betrüger. – Du betrügst alle, dich selbst am meisten. – Nicht mehr mich. (…) Mann und Kopf-Darsteller sitzen am Tisch. Auf dem Tisch eine Flasche, zwei Gläser. (…) KOPF: Noch ein Gläschen? – Peanuts? – Du bedienst dich. Er schenkt das Glas des Mannes wieder voll. KOPF: Siehst du, wir verstehen uns. – Zeitweilig. – Heute ist doch ein besonderer Tag. –Trink. Lass es dir gut gehen. He alter Junge! Wir haben etwas zu feiern!! …

    BIRDS oder DIE SACHE MIT DER BRILLE

    Peter Wimmer

    Es wird heiß diskutiert, geschimpft, gefesselt und gekämpft. Es fliegen die Fetzen im wahrsten Sinne des Wortes. (…) SIE: Wie bin ich deiner Meinung nach oft? Sag es vor allen Leuten! Wie war ich gestern? Wie bin ich jetzt? (…) ER: Was willst du hören? Ich will gar nichts. Ich will nie etwas. Nur meine Ruhe. Das ist alles. … Ich hab ja auch nichts zu sagen, nichts zu wollen. Was kann ich machen, damit du zufrieden bist? … (leiser) Außer mich erschießen (…) SIE: Das ist gut. Das ist sehr gut. Tu's doch. Nun mach schon!! Aber bitte sag mir vorher noch wie du mich siehst. Jetzt und gestern. (…) ER: (fasst nach ihren Händen, hält sie fest) Warum bist du so kratzbürstig? Ich hab dich doch … SIE: Du hast mich lieb. Das ich nicht lache. (reißt sich los) Wenn man etwas liebt, darf man es nicht fesseln. … Du fesselst mich jeden Tag. Von morgens bis abends fühle ich mich gefesselt, sogar noch in der Nacht. (…) ER: Komm. Du bist doch meine … (er greift wieder nach ihren Händen, versucht sie zu küssen) SIE: (lässt es nicht zu) Komm. Das ist alles, was du noch sagst. Jeden Abend höre ich dieses Wort. Komm. Aber nur noch das. Wie mich das anwidert. Ich möchte einmal eine Nacht vernünftig schlafen. Ich habe ein Recht darauf!! (…) (Er sucht etwas, findet es, eine Rolle Toilettenpapier, umwindet sie damit, einschließlich Stuhllehne.) ER: Ich bin dein Mann! Warum bist du so ablehnend? (…) SIE: Warum? Warum? Weil du mich erstickst, mit dem was du Liebe nennst, mit deinem Anspruchsdenken, mit deinem Ego. Ich weiß überhaupt nicht mehr wer ich bin und was ich bin. Soll ich lachen oder heulen. (…) ER: Komm. Lass uns … bitte!! (er umfasst sie von hinten) SIE: (stößt seine Arme weg, sprengt die Papierfessel, springt auf) Ich bin doch kein Spielzeug für einen müden, schlappen … ER: Schlapp? Meinst du damit mich? SIE: Siehst du hier noch so einen? … Wenn ich nur daran denke juckt es mich überall. (sie juckt sich) ER: Du bist meine Frau. …

    Der Zitronenbaum - Der Regenwurm

    Peter Wimmer

    (…) Und wieder war Nacht und Stille ringsum. Nur der klagende Schrei einer Eule durchdrang das dunkle Gewirr der Blätter und Äste. Hu, hu, hu, hu … klang es durch den Wald. Kein Luftzug regte sich. Irgendwie schien dem Zitronenbaum in dieser Nacht alles anders. Das Dunkel war dunkler als sonst, die Stille stiller, die nächtliche Kühle kühler. Es fröstelte ihn. Aus den Wurzeln heraus zog eine eisige Kälte langsam am Stamm entlang nach oben. Er konnte kein Auge schließen. Plötzlich war ihm, als griff etwas Großes, Starkes in seine Äste. Er fühlte sich emporgehoben. Es schmerzte, als zerrte eine Urgewalt an ihm. Aber nicht nur an ihm. Um ihn begann ein Jammern und Stöhnen. Ein fürchterlicher Sturm wütete unter den Bäumen. Ein Orkan, wie ihn dieser Wald noch nicht erlebt hatte. (…) Der Zitronenbaum klammerte sich mit den dünnen schwachen Wurzeln an den Rest der Erde, die ihn noch hielt. Und dann … ein fürchterlicher Ruck! Er konnte sich nicht mehr halten. (…) Es war einmal ein Regenwurm. Der war schon ganz schön groß. Jedenfalls fühlte er sich so. Er sah aus wie die meisten Regenwürmer seines Alters. Das heißt, nicht ganz. Er war etwas kleiner als die, die mit ihm in die Regenwurmschule gingen. Nur ein paar Zentimeter, aber die fehlten ihm halt. (…) Das war auch der Grund dafür weshalb unser kleiner Regenwurm nicht das werden konnte was er sich schon immer wünschte zu sein. Nämlich Stewardess. Du hast richtig gehört. Stewardess wollte unser kleiner Regenwurm werden, bei der Regenwurm-Airlines. (…) Unseren kleinen Regenwurm zog es in die Ferne. Er verabschiedete sich von den Eltern und von den Freunden. Er kroch und kroch, kroch und kroch … bis er nicht mehr weiterkonnte, weil das, was er kannte, zu Ende war. Vor ihm lag etwas Seltsames, etwas Glänzendes, Wackelndes, etwas, was er noch nie gesehen hatte. Und es roch nicht nach Erde. Vorsichtig tauchte er einen Zentimeter seines schlanken Regenwurmkörpers hinein in das, was glänzte und wackelte. …