Christoph Bartholomäus

Список книг автора Christoph Bartholomäus



    Uomo Sospiro

    Christoph Bartholomäus

    Eine private Reise führte mich in einem Spätherbst nach Venedig. Neben San Marco besuchte ich den Dogenpalast. Beeindruckende Räume mit meterhohen und -breiten Gemälden, altehrwürdigem Mobiliar, kurz: die Sonnenseiten von Politik und Herrschaft, bekam ich zu sehen. Aber ich besichtigte ebenfalls eine andere, furchtbare Welt – das Gefängnis. Vor vielen Jahrhunderten überquerten Häftlinge die «Seufzerbrücke». Wer als BesucherIn diesen Weg geht und das Gefängnisgebäude mit eigenen Augen sieht, kann sich vorstellen, wie ein Mensch in diesem Verlies sein Leben fristete; viele Jahre, ohne Garantie auf Wiederkehr, den freien Blick in den Himmel entsagend. Mich haben die Eindrücke damals bewogen, diesen Teil der Geschichte Venedigs mit einer anderen, der deutschen Geschichte, zu verbinden. Manchmal werden Umweg und Distanz nötig, um sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, dessen wahren Kern zu erkennen und zu akzeptieren, gefordert ist. Vor meinem Umzug nach Südtirol wohnte ich keinen Kilometer vom Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen entfernt. Trotzdem stellte der Ort und alles, was in seinen Mauern geschah, einen Fremdkörper dar, etwas, das nicht in meine Erinnerung und Vorstellung passte. In den Monaten und Jahren nach dem Besuch in Venedig beschäftigte ich mich intensiver mit dem Thema der Repressionen in der damaligen DDR. Aus ein paar Gedanken und Reimen entstand im Laufe mehrerer Wochen dieser Text, die Ballade von Uomo Sospiro. Er gab mir die Möglichkeit, dieses Kapitel der deutschen Geschichte als das zu erkennen, was es war: dunkel, furchtbar, unmenschlich! Themen und Verse wurden Ausdruck und Ergebnis meiner eigenen Beschäftigung; eine Fiktion. Ein Dichter ist für mich ein Mensch, der Vorhandenes, das ihm zu viel oder zu wenig erscheint, zu neuen Formen dichtet, der «zaubert», wie ein Dichter vor einigen Jahrzehnten in seiner Familie bezeichnet wurde. Mit der Schwemme an Betroffenheits- und Verblüffungsliteratur, die traditionsreiche Verlage auf falschem Kurs in der kakophonischen Gegenwart der sich gegenseitig neutralisierenden Stimme anbieten, hat dieser Text gar nichts zu tun! Ich glaube sogar, dass den Verlagen wie Volksparteien ihre Mitglieder die LeserInnen ausgehen, aussterben könnten, wenn sie nicht zurückkehren und Menschen als DichterInnen ins Zentrum ihres Geschäfts stellen, die alles sein können, nur keine Wohlstandsmenschen mit feststehendem Reglement der Ästhetik.

    Lahmes Liebchen

    Christoph Bartholomäus

    In diesem Gedicht vermischen sich verschiedene Perspektiven und Erfahrungen. Die Projektion einer jungen Frau, die ambitioniert auf eigenen Füßen stehen will und stets umsichtig versucht, sich Probleme vom Hals zu halten, wird trotzdem zum Objekt, das die Gier anderer stillen soll. Die Welt stellt sich nicht als wahr heraus, wie es sich erhofft und eingebildet hatte. Es fällt herein auf den schönen Schein. Die Geschlechter sind nicht festgelegt, sind am Ende weniger wichtig als man denkt, wenn man unter die Räder gerät, sind Teil eines Spiels, das seiner Ausbeutungsmaschinerie unterwirft, die es nicht mehr geben soll. Wer auf seiner naiven individuellen Freiheit beharrt und glaubt, unabhängig ein lustvolles und leichtes Leben führen, wird (in San Ordine) nichts zustandebringen, in die Reserve zurückgestellt, gegen den Willen zum Schema herabgewürdigt.

    Der Terrorist

    Christoph Bartholomäus

    "Selten sind Terroristen dumm. Wussten Sie's?" Diese Frage stellt das Lyrische Ich der/m Leser/in. Es schildert in Folge eine andere Geschichte als man von Titel und Titelbild erwarten kann. Kunst muss provozieren, um wahrgenommen zu werden. Kunst muss (den) Menschen ansprechen, sie/ihn in ihrer/seiner Welt abholen, etwas über die Gegenwart sagen können. Lyrik und Romanliteratur des 19./20. Jahrhunderts können eine Fundgrube sein, um etwas über Probleme und Verhältnisse des 19./20. Jahrhunderts zu erfahren. Gegenwartskunst muss (die) Verhältnisse ihrer Gegenwart darstellen und Themen möglichst deutlich, wenig abstrakt benennen. Eine (literarische) Kunst, die Formen, Stile und Strukturen an literarischen Traditionen und Vorbildern ausrichtet, die bis zu 150 und mehr Jahre alt sind, wieder aufwärmt, als Geschmack voraussetzt, kann nichts über die Gegenwart sagen. Sie ist – im Gegensatz zu Milieus und Szenen, in denen sich SpezialistInnen tummeln – tot. Als Geschichtslehrer einer Mittelschule bin ich zufällig auf den wie eine Pyramide aussehenden Gesellschaftsaufbau des deutschen Mittelalters gestoßen. Im Vergleich zu ihren Vorgängern mögen die gesellschaftlichen Beziehungen der Gegenwart fortschrittlich und modern anmuten. Die Gesellschaftspyramide des Mittelalters scheint jedenfalls lange überwunden. Aber gibt es einen Beweis, dass diese intelligente, ehrliche und transparente Skizze des inneren funktionalen und hierarchischen Aufbaus heute nicht mehr gilt? Das Gedicht «Der Terrorist» (und dessen Fortsetzung «Weil es Grenzen gibt!») verbindet Ereignisse und Bilder der Gegenwart mit den subjektiven Erlebnissen des lyrischen Ichs. Dieses zieht angesichts einer Art weiteren Fortbestehens der Gesellschaftspyramide, die sich ihm in den sozialen, aber auch in Beziehungen der Kunst oder des Umgangs mit Kunst zeigt, seine eigenen Schlüsse. Denn alles beginnt am Ende wieder von vorn.

    Weil es Grenzen gibt!

    Christoph Bartholomäus

    "Selten sind Terroristen dumm. Wussten Sie's?" Diese Frage stellt das Lyrische Ich der/m Leser/in. Es schildert in Folge eine andere Geschichte als man von Titel und Titelbild erwarten kann. Kunst muss provozieren, um wahrgenommen zu werden. Kunst muss (den) Menschen ansprechen, sie/ihn in ihrer/seiner Welt abholen, etwas über die Gegenwart sagen können. Lyrik und Romanliteratur des 19./20. Jahrhunderts können eine Fundgrube sein, um etwas über Probleme und Verhältnisse des 19./20. Jahrhunderts zu erfahren. Gegenwartskunst muss (die) Verhältnisse ihrer Gegenwart darstellen und Themen möglichst deutlich, wenig abstrakt benennen. Eine (literarische) Kunst, die Formen, Stile und Strukturen an literarischen Traditionen und Vorbildern ausrichtet, die bis zu 150 und mehr Jahre alt sind, wieder aufwärmt, als Geschmack voraussetzt, kann nichts über die Gegenwart sagen. Sie ist – im Gegensatz zu Milieus und Szenen, in denen sich SpezialistInnen tummeln – tot. Als Geschichtslehrer einer Mittelschule bin ich zufällig auf den wie eine Pyramide aussehenden Gesellschaftsaufbau des deutschen Mittelalters gestoßen. Im Vergleich zu ihren Vorgängern mögen die gesellschaftlichen Beziehungen der Gegenwart fortschrittlich und modern anmuten. Die Gesellschaftspyramide des Mittelalters scheint jedenfalls lange überwunden. Aber gibt es einen Beweis, dass diese intelligente, ehrliche und transparente Skizze des inneren funktionalen und hierarchischen Aufbaus heute nicht mehr gilt? Das Gedicht «Der Terrorist» (und dessen Fortsetzung «Weil es Grenzen gibt!») verbindet Ereignisse und Bilder der Gegenwart mit den subjektiven Erlebnissen des lyrischen Ichs. Dieses zieht angesichts einer Art weiteren Fortbestehens der Gesellschaftspyramide, die sich ihm in den sozialen, aber auch in Beziehungen der Kunst oder des Umgangs mit Kunst zeigt, seine eigenen Schlüsse. Denn alles beginnt am Ende wieder von vorn.