Dann, während er auf die Fliesen des Fußbodens starte, wurde ihm plötzlich übel. So übel, dass er plötzlich das drängende Bedürfnis verspürte, sich zu übergeben und der Schweiß lief ihm dem Rücken hinunter und trat in großen fetten Tropfen auf seiner Stirn hervor und tropfte von dort auf die frische Zeitung, die er in den Händen hielt. Er wollte aufstehen und zur Toilette gehen, um sich dort zu übergeben und der nahende Aufruf zum Boarding verlor plötzlich vollkommen an Bedeutung, so als gehöre sein Flug in eine Welt, die bereits vollständig für ihn versunken war. Er wollte aufstehen, aber er spürte, wie ihm die Beine versagten, während er mit Unwillen bemerkte, dass alle Anwesenden ihn fixierten. Mit Mienen, in denen sich eine seltsame Mischung aus Entsetzen, Mitleid und Neugier spiegelte. Dann kam plötzlich der Schmerz in der Brust. Genau in der Mitte seiner Brust, von wo er, wie eine lodernde Flamme, bis in den Kopf hinauf und bis hinein in die Fingerspitzen beider Arme ausstrahlte. Es war ein Schmerz, der größer und allmächtiger war, als das Leben selbst, das in ihm weilte und von dem er bereits voller Angst wußte, dass er nie wieder vergehen, sondern ihn vernichten würde. Er hatte zunächst einige Sekunden lang versucht, es auf die Tatsache zu schieben, dass er vermutlich schlecht geschlafen hatte. Aber angstvoll begriff er, dass dieser Schmerz der Tod und die Vernichtung selbst war und dass er, hier in aller Öffentlichkeit und fernab von seinen Lieben, sterben würde. Der Schmerz war jetzt stechend und reißend und so stark, dass er ungläubig vor der Macht und schieren Gewalt dieses Schmerzes erschrak. Es war, als sei ein Vulkan in seiner Brust ausgebrochen. Ein gewaltiger Vulkan, der ihn ganz und gar erstickte und verbrannte. Wie gierige Vögel, die ihn zerreißen und zerteilen wollten, wirkten die übergroßen Nasen derjenigen Gesichter, die sich mit Fragen, die er nicht mehr verstand, jetzt über ihn beugten.
Aus dem Volksschullehrer, dem Familienvater und dem Ehemann Mao Tse-tung war nun also ein Guerillero geworden. Ein Guerillero und ein Witwer. Guerillakrieg führen, heißt Kleinkrieg führen. Wobei die Verniedlichungsform die Tatsachen nicht trifft, denn der Kleinkrieg, den die Guerilla führt oder wie sie meint, ihn zu führen gezwungen ist, ist oft furchtbarer und grausamer als der große, der erklärte und offizielle Krieg zweier oder mehrerer Großmächte. Es ist die besondere Art der Kriegsführung des Guerillakrieges, des Kleinkrieges oder des asymmetrischen Krieges, den meist eine randständige Minderheit gegen die offiziellen Inhaber der Staatsmacht führt, die diesen Krieg furchtbar erscheinen lässt. Er vollzieht sich außerhalb völkerrechtlicher Normen und Regularien, wie sie gewöhnlich für Kombattanten gelten. Es gibt keine Kriegsgefangenen und kein Rotes Kreuz, das sich um die Verwundeten beider Seiten kümmert. Der Umgang mit gefangenen Gegnern vollzieht sich außerhalb akzeptabler Normen, denn meist werden keine Gefangenen gemacht und wenn doch, so lediglich, um sie zu foltern. Immer hat ein Guerillakrieg mit der Empörung von Aufständischen zu tun, die in der Minderheit und schlecht ausgerüstet sind, die sich als Opfer fühlen und die nun keine andere Möglichkeit sehen, ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen, als in die Illegalität zu gehen und dort zur Waffe zu greifen. Immer kämpfen die Guerilleros in kleinen, in paramilitärischen Einheiten, auf die die offizielle Propaganda der Machthaber mit besonderer Verachtung blickt. Sie kämpfen als Freischärler oder als Partisanen. Sie kämpfen im Untergrund, im verdeckten Einsatz hinter den feindlichen Linien, inmitten des gegnerischen Territoriums. Sie sprechen dieselbe Muttersprache wie ihr Gegner, den sie mit der Waffe in der Hand bekämpfen und von dem sie selbst nicht die geringste Gnade und Menschlichkeit zu erwarten haben.
Langsam fährt der Wagen über den knirschenden weißen Flusskies der gepflegten Auffahrt. "Du fährst schon nach Hause!", befiehlt Guntram Seidel dem Sohn in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet: «Es wird bei mir heute später. Ich lasse mich dann nach Hause fahren!» Als der Sohn mit dem Auto verschwunden ist, drückt Guntram Seidel auf den Klingelkopf aus Edelstahl neben dem Schlossportal. Theo Ferstner öffnet die Tür. Fragend und widerwillig mustert er Guntram Seidel. "Wer sind Sie? Was wollen Sie?", fragt er unfreundlich und arrogant. "Hauptzollamt Dresden!", sagt Guntram Seidel mit fester Stimme, während seine zitternde rechte Hand bereits in die Tasche der Regenjacke fasst und nach dem Griff der Pistole tastet. "Ich muss sofort mit Ihrer Frau sprechen! Es geht um Straftaten im Zweckverband!" "Um Straftaten…?", stammelt Theo Ferstner jetzt fassungslos. Aber da ist seine Frau schon heran und steht in ihrem roten Kimono zitternd neben ihrem Mann. Alle Selbstsicherheit ist plötzlich von ihr verschwunden. Wortlos zieht Guntram Seidel die Pistole aus der Tasche seiner Regenjacke, entsichert und feuert vierzehnmal auf die Frau, die im Kugelhagel und im Pulverdampf zusammenbricht. Guntram Seidel sieht ihr Blut spritzen, sieht sie die Arme hoch reißen und die Einschusslöcher in Stirn, Hals, Brust und Bauch. Er feuert noch, als die Frau als regloses Bündel auf dem Fußboden neben ihrem Mann liegt. Er will ganz sicher gehen, dass so etwas nicht überlebt. Er will ganz sicher gehen, dass so etwas nie wieder anderen Menschen dasjenige antut, was ihm in den letzten 17 Jahren angetan wurde.
Stalin liebte das Bolschoi-Theater. Es war auch der Ort, an dem die Parteitage der KPdSU stattfanden. Er schätzte bereits die einmalige Architektur, ausgeführt im Stil des russischen Klassizismus. Er genoss die kostbare Inneneinrichtung, die der Italiener Alberte Camillo Cavos nach dem großen Brand von 1853 im Bolschoi installiert hatte. Reihum liefen dort die Logen, im hufeisenförmig gebauten Innenraum an den Wänden entlang und übereinander liegend, wie die Logen im Kolosseum zu Rom, von denen aus der Imperator, die Senatoren und das Volk, einst den Gladiatoren zugesehen und sich an ihrem elendiglichen Sterben ergötzt hatten, um darüber die Sorgen und Nöte des Alltags zu vergessen. Stets saß Stalin am linken Bühnenrand, in einer bunkerartigen und tatsächlich gepanzerten Loge. Am meisten mochte er Schwanensee. Das Spiel der grazilen Glieder und Leiber, die sich zur Musik hin und her bogen, wie Schilfhalme im Wind. Das berühmte Allegro Moderato aus den Schwanentänzen des 2. Akts. Den grandiosen Tanz der vier kleinen Schwäne in der Choreografie von Lew Iwanow, zur Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowski. Mit der Prima Ballerina Assoluta Galina Ulanowa und dem Kirow-Ballett. Die Balletteusen, die in ihren weißen Kleidern wie Seerosen auf der Bühne lagen. Die grazilen Bewegungen und die Blicke, die die Tänzerinnen und Tänzer, besonders beim Durchstrecken ihrer Gliedmaßen, tatsächlich so erscheinen ließen, als wären sie alle große Schwäne. Das gleichzeitige Auf- und Ab-Bewegen ihrer weißen Arme, das im Licht der Bühne, wie der Flügelschlag eines Schwarmes gewaltiger Schwäne erschien. Der elegante Spitzentanz, der die Balletteusen in ihren weißen Tutus aus steif von den Körpern abstehendem Tüll wirken ließ, als würden sie sich gar nicht selbst bewegen, sondern allesamt von einer unsichtbaren Hand in zitternden Bewegungen, über die Bühne hin gezogen. Bewegungen, die an das Zittern und Zucken lebendigen Fleisches unter der Spitze eines gewaltigen Messers erinnerten.
Der «Führer» räsoniert über die Entwicklung bis zum Kriegsausbruch 1939. Er lässt den Polen-, Norwegen- und Frankreichfeldzug mit allen Schlachten Revue passieren, beklagt sich über diverse Generäle und schildert die Vorzüge des Berghofs. Er beschreibt den Balkanfeldzug und legt dar, weshalb 30 Millionen Menschen in Osteuropa verhungern müssen, damit dort auf diese Weise Platz für deutsche Wehrbauern geschaffen wird. Nach dem Stocken der Offensive vor Moskau beschleichen ihn nagende Zweifel, jedoch lediglich an der Leistungsfähigkeit seiner modernen und hervorragend motorisierten Wehrmacht. Hitler, Frankreichfeldzug, Russlandfeldzug
Sichtbarstes Zeichen der geistigen Umnachtung dieses Königs war der Bal des Ardents gewesen, der Ball der Brennenden: Ein Brand angesichts eines vom König für eine Ehrendame veranstalteten Polterabends, bei dem vier seiner Freunde bei lebendigem Leibe in ihren Verkleidungen aus Federn, Pech und Werg verbrannten, wie Zunder! Alle Verhandlungen mit Frankreich galten schon seit dem Sommer als gescheitert! So dass wir uns Ende des Sommers sammelten: der englische Adel als Gewappnete in seinen Rüstungen und wir gemeines Volk als die englischen Bogenschützen mit dem Langbogen, zu 12.000 an den Küsten, um uns nach Frankreich einzuschiffen. Wir landeten an der normannischen Küste und mussten die offene Feldschlacht mit dem gewaltigen französischen Heer meiden, das uns an Zahl und an Gewappneten weit überlegen war. Geschwächt von der Geißel der Ruhr zogen wir in endlosen Märschen durch den Regen und durch das verfluchte Land der Franzosen. Immer wieder dezimierten Scharmützel unsre Reihen. Wie ein gewaltiges Leichentuch lag der Nebel auf den öden Feldern und in den borstigen Kronen der Baumreihen. Jämmerlich bimmelten die Kirchenglocken aus den fernen französischen Kirchtürmen zu unserem Marsch. Wir fühlten unsere Stärke in der Nässe und Kälte der Tage schwinden, wie hungernde Kinder, die zur Feldarbeit verdammt worden waren, ohne Nahrung erhalten zu haben. Wir fühlten unsere Glieder erlahmen und unseren Geist sich verwirren. Wir fühlten die Furcht, die sich uns näherte wie ein dunkles böses Tier, das uns aus dem fremden Unterholz heraus ansprang und die Gewissheit ging uns auf, dass wir hier, in Frankreichs öden Fluren und Feldern, wohl unsere letzte Ruhe finden würden. Wie um uns selbst auf unser Sterben einzustimmen, sangen wir gemeinsam, während wir in Regen und Nebel marschierten, das Deo Gratias Anglia.
Der Roman illustriert anhand unterschiedlicher Einzelschicksale die alte buddhistische Theorie, wonach der Mensch immer wiedergeboren wird.
Der Daoismus des Laozi brachte hingegen die These vom Leben des Menschen im Einklang mit der ihn umgebenden Natur ein. Von weitreichenden Folgen, auch für die Ansichten Mao Tse-tungs, war allerdings der kurz vor der Zeitenwende durch Han Feizi propagierte Legalismus, der die Ansicht vertrat, das Zusammenleben der Menschen ließe sich rein mechanisch durch ein ausgefeiltes System von Kontrollen und Strafen organisieren. Belohnung und Strafe sieht Han Feizi als den ausschließlichen Schlüssel zur Macht im Umgang mit der an sich schlechten und verderbten Natur des Menschen. Erziehung, so der Legalismus, kann den schlechten Menschen niemals verbessern, sondern lediglich die Gewissheit von schwersten Strafen. Hinrichtungen und schwerste Strafen sind allerdings nicht nur für den Schuldigen selbst bestimmt, sondern vor allem auch für dessen nächste Verwandte. Diese Gewissheit verstärkt die abschreckende Wirkung der drakonischen Strafen zusätzlich. Auch ist das Studium sinnlos, denn je mehr Menschen sich in einem Land der Wissenschaft zuwenden, desto weniger Boden wird bebaut und kultiviert. Auch der Gelehrte hat deshalb sinnvolle Arbeit zu verrichten, deren Ergebnis mess- und sichtbar zu sein hat und der Gesellschaft dienen muss. Der Herrscher muss stets drei Aspekte berücksichtigen. Zunächst muss er die wirkliche Macht besitzen, die sich nicht allein aus einem abstrakten Titel oder aus einer Ahnenfolge herleiten lässt. Schließlich muss er die richtige Methode des Herrschens finden und anwenden, denn mit eigener Tugend allein, lässt sich kein Volk der Welt dauerhaft beherrschen. Außerdem sind Gesetze notwendig, um das Zusammenleben der Menschen zu organisieren, ihre Rechte und Pflichten festzuschreiben. Später kam noch aus Indien der Buddhismus hinzu, der für die Gepflogenheiten der chinesischen Kultur und Gesellschaft zunächst angepasst werden musste, sie dann aber entscheidend prägte.
Eine mitteldeutsche Kleinstadt in den frühen 90-er Jahren. Es ist die Zeit unmittelbar nach der politischen Wende in der ehemaligen DDR. Viele Betriebe sind abgewickelt, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Zahlreiche Menschen meinen, in hemmungslosem Egoismus, sozialer Härte und brutaler Ellenbogenmentalität, bis hinein in innerste familiäre Strukturen, das Heilmittel zu Prosperität und persönlichem Glück erkannt zu haben und leben dies hemmungslos aus. Um der Arbeitslosigkeit zu begegnen, werden viele Betroffene durch Fördergelder der EU und des Bundeslandes angeregt, sich selbständig zu machen. Dazu müssen sie flankierend einen Kurs der Erwachsenenbildung besuchen, in dem ihnen betriebswirtschaftliche Inhalte vermittelt werden sollen. Unter den Kursteilnehmern sind viele gescheiterte Existenzen, die lediglich die Fördergelder abschöpfen möchten und an den Lehrinhalten völlig desinteressiert sind. Jens Klatt, 35 und Vater einer kleinen Tochter, ist durch Vermittlung seines patriarchalischen Schwiegervaters als Dozent bei einem solchen Bildungsträger angestellt, der Existenzgründer in die Selbständigkeit begleitet. Von Existenzangst geplagt, hat Klatt mit Sozialneid und Intrigen zu kämpfen. In seiner Familie, die in unmittelbarer Nähe zu den kontrollsüchtigen Schwiegereltern wohnt, herrscht soziale Kälte. Seine Frau, die ihn nur als Geldquelle betrachtet, hat einen Liebhaber. Mit diesem will sie sich von Klatts Ersparnissen eine Eigentumswohnung kaufen. Klatt, der keine Chance hat, gegen Frau und Schwiegereltern anzukommen, gibt immer nach, um sein Kind nicht auch noch ganz zu verlieren. Um dem privaten und beruflichen Druck zumindest zeitweise zu entrinnen, hat Klatt angefangen, zu trinken. Affären mit anderen Frauen scheitern an deren Desinteresse, mit ihm eine tiefere Beziehung einzugehen oder am zu großen Altersunterschied.