Aus der Finsternis der Gruft war ein Geräusch zu hören. Old Donegal begann wie Espenlaub zu zittern. Seine Knie gaben nach, und er wäre fast hingefallen. Das Geräusch ähnelte einem Grunzen, dann räusperte sich jemand leise. Der Ton klang so schaurig, daß es Old Donegal eiskalt überlief. Er wollte schreien, brachte aber vor Angst keinen Ton heraus. Er fühlte nur, daß er stocksteif wurde. Er starrte auf die übereinandergestapelten Särge in einer größeren Kammer und sah im Zwielicht des Mondes eine Gestalt neben einem der Särge liegen, die sich langsam bewegte und zur Seite drehte. Da rastete bei Old O'Flynn etwas aus. Er stieß einen Schrei aus, warf sich herum und hastete davon. Sein Holzbein war in einem solchen Fall kein Handicap, er rannte wie ein Junger…
Was Edwin Carberry, der Profos,in diesem Augenblick sah, als er mit der Laterne in die Proviantlast der «Esperanza» leuchtete, würde er nie mehr vergessen. Entsetzt starrte er auf das ekelerregende Bild. Ratten! Es waren so viele Ratten, daß er die Zahl nicht einmal grob schätzen konnte. Hunderte mußten es sein. Sie benahmen sich wie irre, denn sie waren bei einer Freßorgie. Ganze Knäuel von Ratten hatten sich in die Mehlsäcke gebohrt und fraßen sich die Bäuche voll. Eine weißgepuderte Ratte huschte gerade aus einem Sack und sprang den Decksbalken an, wo Speck und Schinken an Haken hingen. Dort hatten sich bereits ganze Rudel festgekrallt und fetzten dicke Brocken heraus. Nicht anders sah es bei den Kisten mit Bohnen, Erbsen, Schiffszwieback und Käse aus. Tausende scharfe Zähne waren nagend am Werk…
Old O'Flynn hüpfte wie ein Derwisch um seine eigene Achse. Lautes und ärgerliches Schnauben und Brüllen gellten ihm in die Ohren. Die monströsen Ungeheuer schickten sich an, ihn zu verschlingen. Noch eine Fratze tauchte direkt aus der Tiefe der Erde auf. Es mußte sich wohl um den Satan persönlich handeln, denn der Kerl trug zwei gewaltige Hörner und hüllte sich in furchtbaren Schwefel, der grünlich und stinkend aus dem Höllenschlund waberte. Auch riß er das Maul auf und brüllte Old Donegal wütend an. Der Alte war fix und fertig und am Ende seiner Nerven. Das hielt kein Mensch aus. Ausgerechnet er mußte auf der Dämoneninsel landen! Immer er! Das war zuviel für ihn. Er flehte die Monster an, ihn nicht zu verschlingen, er sei doch schon ein alter Mann…
Sie waren in den Schatzhöhlen eingeschlossen – an die zwanzig Kerle von der «Trinidad». Im Beschuß der «San Sebastian» hatte sich ein mächtiger Felsbrocken gelöst und den Eingang zu den Höhlen blockiert. Und Wasser strömte in die Höhlen. Es war die Hölle selbst, die sich aufgetan hatte. Einer schnappte über, stieg in eine Kiste, die mit Goldmünzen gefüllt war, wühlte darin herum, lachte gellend und irre und bewarf sich mit Münzen. Die anderen kümmerte das nicht. Jeder war sich selbst der Nächste. Sie droschen aufeinander los, denn jeder versuchte auf eine Kiste zu klettern, um dem steigenden Wasser zu entgehen. Einer stand bereits auf einer Truhe und betete die Mutter Maria an, ihm zu helfen…
Gary Andrews war viel zu müde, um sich am Geländer des Backbordniedergangs festzuhalten, als er nach Wachablösung vom Achterdeck zur Kuhl abenterte. In diesem Augenblick passierte es. Die einfallende Bö ließ die «Isabella» von oben bis unten erzittern. Gleichzeitig holte sie stark nach Lee über, und über das Schanzkleid der Kuhl stieg an Backbord wild und brüllend die See ein. Das Wasser erreichte Gary Andrews und hob ihn hoch. Durch die starke Krängung verlor er augenblicklich den Halt. Er wurde völlig überrascht, nicht einmal einen Schrei brachte er hervor. Über die Backbordseite flog er in die See und ging sofort unter. Um ihn herum war ein Wirbel aus schaumigen Wasser, ein Sog, der ihn mitriß, und ein Kochen und Brodeln, das ihn weiter in einen Strudel schleuderte…
Im Sturm wurde der Zweimaster der Roten Korsarin kurz und klein geschlagen, und nur den Seewölfen hatten sie und ihre Crew es zu verdanken, daß die Karibik nicht zum feuchten Grab für sie alle wurde. Die Männer der «Isabella» nahmen den wracken Zweimaster in Schlepp und brachten ihn in eine stille Bucht der Caicos-Inseln. Aber die Bucht war gar nicht so still und friedlich – und als sie das merkten, war es fast schon zu spät…
Der Wikinger hatte allen ein großes Fest auf der Schlangeninsel versprochen, bei dem Ströme von Bier, Schnaps und Wein nur so fließen sollten. Und, verdammt, das feierten sie auch, nachdem sie feierlich den Bund der Korsaren gegründet hatten, zu dem nun alle gehörten, die auf der Schlangeninsel lebten. Aber merkwürdige Dinge geschahen bei diesem gewaltigen Fest, und dem Stör fielen fast vor Schreck die Augen aus den Höhlen, als er sah, was mit dem Wikinger geschehen war. Sogar Gotlinde, die junge Frau des Wikingers, wurde von einer wohltuenden Ohnmacht umfangen, aus der der Kutscher sie erst wieder erwecken musste. Und da waren die recht merkwürdigen Ideen, die dem alten Donegal O'Flynn plötzlich im Kopf herumzuspuken begannen und von denen er partout nicht mehr lassen wollte. Doch dann verschwand einer der Krieger Arkanas, der Schlangenpriesterin, spurlos samt einem Boot von der Insel. Eine Erklärung für die Vorgang fand sich nicht – aber er sollte noch böse Folgen für die Schlangeninsel zeitigen…
Das Kap der Guten Hoffnung war nicht mehr fern, aber von «guter Hoffnung» konnte nicht die Rede sein, denn die «Isabella VIII.» geriet in einen Südweststurm, der mit voller Wucht gegen die Galeone anrannte. Nur noch die Sturmfock war gesetzt, und es war wohl nur eine Frage der Zeit, wann auch dieses letzte Tuch in Fetzen davonflog. Das Heulen, Rauschen und Tosen um die Seewölfe schwoll zu einem ohrenbetäubenden Brüllen an. Regen und Hagel stoben waagerecht über das Schiff, zuckende Blitze beleuchteten das Inferno entfesselter, schäumender Wassermassen…
Dieses Atoll war wirklich voller böser Überraschungen, und dem eisernen Profos Ed Carberry standen buchstäblich die Haare zu Berge, obwohl er unter Wasser schwamm – und gegen eine Muräne zu kämpfen war eine andere Sache, als mit einem lausigen Don die Klinge zu kreuzen. Irgendwo hatte er mal gehört, daß diese Biester giftig seien und ihr Biß tödlich sein könnte. Und jetzt schnellte die Muräne herum, riß das gefährliche Maul auf und schnappte nach dem Profos. In ihrem Element war sie jedem Gegner haushoch überlegen, und bei ihrem blitzschnellen Angriff sah der Profos kaum noch eine Chance für sich. Haarscharf stieß das Maul an ihm vorbei…
Remata de males hieß das Kaff an der Ostküste Südamerikas. Das Nest trug diesen Namen zu Recht, es war der Höhepunkt allen Übels. Aber die Seewölfe mußten Remata de males anlaufen, um ihren Proviant zu ergänzen. Zu spät merkten sie, was sich für Schnapphähne an diesem Küstenort versammmelt hatten. Carberry, der eiserne Profos, war der erste, der sich mit einem Mestizen anlegte und mit den Fäusten für Ordnung sorgen mußte. Aber das war nur das Präludium, denn dann ging es Schlag auf Schlag- und um die Schätze einer versunkenen Stadt....