Irgend jemand hatte offenbar meinen Kopf leer gepumpt und eine Bleikugel hineingeworfen. Sobald ich mich bewegte, begann sie darin herumzurollen. Es schmerzte, wenn sie gegen meine Stirn oder gegen die Schläfe bumste. Mein Mund und meine Kehle fühlten sich an, als seien sie mit trockenem Filz ausgefüttert. Das Telefon klingelte. Ich verkniff die Augen. Nein, bloß das nicht! Keinen Anruf, bitte. Nicht jetzt! Alles, was ich brauchte, waren Ruhe und ein weiteres Glas mit Alka Seltzer, um meinen Kater zu meistern. Das Klingeln des Telefons gab der Bleikugel neuen Auftrieb. Es scheuchte sie in alle Ecken meines Schädels. Ich griff nach dem Hörer, um die Qual zu beenden. »Trevellian«, krächzte ich. »Brigh«, meldete sich eine klare, männliche Stimme am anderen Leitungsende. »Ah, Lieutenant Brigh von der Mordkommission«, schabte ich in die Sprechmuschel. »Sie haben sich eindeutig verwählt, Sir. Ich bin zu Hause und habe meinen freien Tag. Der Kalender befindet sich in meinem Blickfeld. Es ist Sonnabend!« Zu viele Worte! Sie machten die Bleikugel ganz verrückt. Erschöpft hielt ich den Mund. »Ich bezweifle, daß Ihnen dieses Wochenende viel Freude bringen wird«, sagte der Lieutenant. »Machen Sie‘s nicht so spannend, Brigh«, sagte ich. »Was ist geschehen?« »Ihre Puppe ist tot, Jesse«, erwiderte er.
Ich hockte in Bradfords Kneipe in der 52ten Straße und schlug mich mit einem Steak herum, als das Mädchen hereinspazierte. Der langwierige Kauprozeß gab mir Zeit, das Girl eingehend zu mustern. Sie war hübsch. Nicht gerade Extraklasse, aber jung und frisch genug, um einen zweiten Blick zu rechtfertigen. Das blonde Haar wirkte echt, aber die fahle Blässe des Gesichts ließ es kaum zur Geltung kommen.
Das Mädchen blieb an der Tür stehen und schaute sich um. Es waren nur ein Dutzend Gäste anwesend, und es fehlte nicht an freien Tischen, aber als sie mich sah, kam sie geradewegs auf mich zu. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?« fragte sie. Ich nickte, weil der Kampf mit dem zähen Stück Fleisch meine Sprechfähigkeit stark beeinträchtigte. Sie setzte sich ünd blickte zur Tür. Ich merkte, daß das Mädchen zitterte. Sie legte die mittelgroße, leidlich schicke Lackledertasche auf den Tisch und fischte sich ein Päckchen Luckies heraus. Ich würgte den letzten sehnigen Steakhappen hinab. Ohne Zweifel stammte es von einem Rind, dem ein langes Leben beschieden gewesen war. »Bitte«, sagte ich dann und hielt dem Mädchen mein brennendes Feuerzeug hin. Sie zuckte zusammen, als hätte ich versucht, sie zu ohrfeigen. »Danke«, murmelte sie. Ihre Hände flogen förmlich. Sie gab sich keine Mühe, die Erregung zu verbergen. Im nächsten Moment starrte sie wieder zur Tür, wie ein Kind, das sich vor dem Auftritt eines Monsters fürchtet. Ich betrachtete das Mädchen. Sie war schätzungsweise zweiundzwanzig Jahre alt und machte einen adretten, gepflegten Eindruck. Die violetten Augen dämmerten unter langen gewölbten Wimpern. In ihnen spiegelte sich Angst, das war nicht zu übersehen. Wovor fürchtet sich das Girl?
Ich traute ihm nicht. Niemand traute ihm. Aber es war meine Pflicht, ihn anzuhören. Ich war sogar verdammt neugierig auf die Unterhaltung. Was mich erwartete, passierte nicht alle Tage. Ein Henker zog Bilanz! Fred McCall sah nicht gut aus, als er mich in seinem Arbeitszimmer empfing. Darüber vermochte nicht einmal sein Dreihundert-Dollar-Anzug mit der handgemalten Krawatte hinwegzutäuschen. Nur die hellen, leicht verwaschen wirkenden Augen in seinem gebräunten faltigen Gesicht waren noch von vitaler Leuchtkraft. Sie zeigten, daß McCall noch nicht verlernt hatte, Herr seiner Entscheidungen zu sein. Wir setzten uns. Vor den großen Terrassentüren kochte der Sommer, aber hier drin war es angehnem kühl. Fred McCall hatte mir ein Gespräch unter vier Augen zugesichert, aber ich bezweifelte, daß wir unbelauscht bleiben würden. Nicht einmal der mächtige Fred McCall konnte sich dem Spitzel- und Abhörsystem seiner Organisation entziehen. Er schaute mich an, mit gekrümmter Unterlippe und zuckenden Mundwinkeln. »Der Tod hat viele Gesichter, Mr. Trevellian«, sagte er. »Ich möchte einige davon abtreten – an Sie.«
»Das hat ja wieder großartig geklappt«, sagte Patrick Ryers zufrieden.
Fast lautlos glitt der Rolls-Royce durch die Straßen des Londoner Vororts. Patrick Ryers fühlte sich wie ein König. Autodiebstahl war sein Job. Aber einen Rolls-Royce bekam er nicht alle Tage. »Der bringt jedem von uns tausend Pfund«, sagte Patrick. »Wenn das so weitergeht, sind wir bald reiche Leute.« Er wandte kurz den Kopf und grinste Gerry Trenton an, der auf dem Beifahrersitz saß. Gerry grinste nicht. Sein Gesicht war blaß geworden. »Freu dich nicht zu früh, Patrick«, sagte er. »Sieh mal nach hinten.« Patrick Ryers schaute in den Rückspiegel. »Verdammt«, sagte er. »Die Bullen!« Er nahm den Fuß vom Gaspedal. Jetzt kam es darauf an, die Ruhe zu behalten und das Geschwindigkeitslimit nicht zu überschreiten. »Häng sie ab«, sagte Gerry Trenton. »Wenn du volle Pulle gibst, haben sie gegen uns keine Chance.« »Idiot!« knurrte Ryers. »In diesem Viertel kann ich die Maschine nicht ausfahren. Lauter enge, winklige Straßen und Gassen! Sie würden über Funk die Zentrale alarmieren und uns einkreisen. Laß dich nicht verrückt machen, Gerry. Die sind zufällig hinter uns geraten. Sie haben keinen Grund, uns zu stoppen.«
Bill Trenton lieferte den Tod frei Haus.
Mr. Füller, der Hausmeister der Northern Trust Limited Bank nahm die schweren Kisten um fünfzehn Uhr dreißig entgegen – brummig wie immer, wenn er einen Extrajob erledigen mußte. Trenton war gleichfalls sauer. Die Schlepperei brachte ihm nur zwanzig Cent ein. Zwei schäbige Nickel. Nur der Tod war zufrieden. Seine Stunde war nahe. Noch hundertzehn Minuten. Bill Trenton sah mit einem verächtlichen Blick auf die kleinen Münzen, die er von dem Hausmeister bekommen hatte. Er warf sie in die Luft und fing sie wieder auf. »Ich werde an Ihre Großzügigkeit denken, Mister«, höhnte er. »Endlich kann ich einmal Urlaub machen. In Acapulco trinke ich einen auf Ihr Wohl!« Trenton kam nicht nach Acapulco. Statt dessen geriet er in Mordverdacht.
Er hatte genug. Übergenug. Aber sie hörten nicht auf. Es schien, als wollten sie ihn bewußtlos prügeln. Oder töten. Er wußte es nicht. Er kannte die zwei Männer nicht, die abwechselnd nach ihm traten oder auf ihn einschlugen. Ihm war nur klar, daß er die Grenzen seiner Widerstandskraft längst überschritten und die Schwelle zu einer alles auslöschenden Ohnmacht erreicht hatte. Das schlimmste war, daß er sich nicht wehren konnte. Sie hatten ihn unterwegs angefallen und mit einem Totschläger betäubt. Er war auf dem Linoleumboden dieses kleinen, häßlichen Büros wieder zu sich gekommen, gefesselt an Händen und Füßen. Die Rollos an den beiden Fenstern waren herabgelassen. Von der Decke baumelte eine grüne Schirmlampe herab. Die Stille außerhalb des Raumes ließ vermuten, daß das Office in einer ruhigen Vorortstraße lag oder in einem Stockwerk hoch über dem Straßenlärm der City. »Genug, Bob«, sagte einer der Männer. »Machen wir erst mal ’ne Pause. Sie wird uns guttun. Und ihm. Vielleicht fällt ihm dann das Reden leichter. Schließlich wird er wissen, was ihn nach der Pause erwartet.« Der Sprecher war ein Sechs-Fuß-Hüne mit semmelblondem Haar und großen hellen Augen. Er war nicht älter als achtundzwanzig und hatte unter seinem auffällig karierten Jackett die Schultern eines Preisboxers. Er setzte sich auf den Rand des Schreibtisches, baumelte mit seinen Beinen und legte dabei knallrote Socken bloß, die nicht im entferntesten zu seiner braunen Hose paßten und das Gesamtbild eines eitlen, aber keineswegs geschmackssicheren Mannes abrundeten.
»Nein!« keuchte Tony Baker. »Nein!« Er wich vor dem Killer zurück, stieß einen Stuhl um und stolperte darüber, ohne zu fallen. Im nächsten Moment prallte er mit seinem Rücken gegen die Wand. Sein angstvoller Blick irrte durch den Raum, suchte eine Waffe, einen Fluchtweg. Aber er wußte, daß das alles sinnlos war. Der Tod hatte ihn eingeholt.
Der Killer kam näher, leicht geduckt. In den kleinen lauernden Augen die Konzentration des Jägers, aber auch die Mordlust einer Bestie. Er war ein Mann, der keinen Pardon kannte. Töten war für ihn nur ein Job. »Den Strick«, preßte der Killer durch seine Zähne. »Wo hast du ihn?« »Ich habe keinen.« »Eine Wäscheleine tut’s auch, mein Junge«, sagte er. Er hatte eine flache Stimme, und sie hörte sich an, als sei er völlig außer Atem. Aber dieser Eindruck war falsch. Der Killer war völlig gelassen wie immer, wenn einer seiner Aufträge sich dem Höhepunkt näherte und wenn er beweisen mußte, daß er der perfekte Mörder war. »Was wollen Sie damit?« murmelte Tony Baker. Seine Kleider klebten ihm durchschwitzt am Körper, und er bemühte sich vergeblich darum, sein konstantes Zittern abzustellen. »Dich fesseln, Tony«, sagte der Killer. »Was denn sonst?«
Trevellian und das Syndikat der nackten Puppen Als es klingelte, öffnete sie. Vor der Tür stand ein Fremder. Das Mädchen prallte vor ihm zurück, als er sich über die Schwelle schob und schon in der Diele stand. »Hallo, Virginia«, sagte er grinsend. Virginia Knowlton starrte ihn verdutzt an. Sie kannte ihn nicht. Ihr gefielen weder sein Aussehen noch das dünne, scharfe Lächeln, mit dem er sie musterte. Ihr war zumute, als schätzte er sie wie eine Ware ab. »Wer – wer sind Sie?« fragte das Girl. »Ihr Mörder«, antwortete der Mann.
Sein Killerblick traf mich wie eine Eisdusche. »Du legst ihn um!« forderte er.
»Klar«, sagte ich und starrte scheinbar ungerührt durch die Windschutzscheibe. »Was denn sonst?« In dem alten Ford herrschten Backofentemperaturen, aber AI Coon schwitzte nicht. An ihm war alles kalt, glatt und unnahbar. Ich spürte, daß er mir noch immer nicht traute. Er wartete. Er wartete darauf, daß ich Krueger abservierte. Erst danach, keine Sekunde früher, konnte ich mit AI Coons Anerkennung rechnen.
»Sie können es sich aussuchen«, höhnte er. »Soll ich mit dem Klümpchen Blei Ihren Dickschädel oder Ihr Herz garnieren?«
Er äußerte die Worte mit der seelenlosen Gelassenheit eines Mannes, dem Töten so geläufig ist wie anderen eine Grippe im Winter. Ich schwieg. Angesichts der Situation, gab es ohnehin nicht viel zu sagen. Ich war hergekommen, um mit dem Kneipenwirt Bob Chester zu sprechen. Stattdessen hatte ich diesen Burschen angetroffen. Er hielt eine Beretta in der Rechten. Sein Finger hatte den Druckpunkt erreicht. Die gemächlich auf und ab schwingende Waffenmündung illustrierte seine Worte ebenso überzeugend wie drohend. Er grinste. »Es ist fast wie beim Roulette«, bemerkte er feinsinnig. »Es geht um eine Kugel. Der Einsatz ist Ihr Leben. Ich halte die Bank und kann nicht verlieren.« Ich versuchte zu lächeln und merkte, dass mein Gesicht so steif war, als hätte ich es stundenlang einem wütenden Schneesturm ausgesetzt. Aus dem Lächeln wurde nichts. Dabei empfand ich nicht mal richtige Angst. Okay, ich war in eine plumpe Falle getappt, aber ich spürte, dass meine Zeit noch nicht gekommen war. Der Kerl redete zu viel. Er genoss seine Überlegenheit, er war grausam und er demonstrierte diese Veranlagung, indem er mich zu quälen versuchte. Wir standen in Bobs Trailer – so nannte sich die Kneipe am Highway 46, die in einem ausrangierten Pullmanwagen untergebracht war, und in die ich mich begeben hatte, weil Bob Chester, der Besitzer, mir telefonisch einen heißen Tipp versprochen hatte »Es ist schon mal vorgekommen, dass die Bank gesprengt wurde«, sagte ich.