Название | Der Himmel über Nirvana |
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Автор произведения | Charles R Cross |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783854454243 |
Zu dieser Identität gehörte auch der Sport. Er hatte mit dem Ringen weitergemacht und stieg nach dem Eintritt in die Highschool in die dortige Ringerriege auf. Die Montesano Bulldogs holten sich in diesem Jahr mit zwölf Siegen und nur drei Niederlagen den Meistertitel, allerdings ohne dass Kurt daran wesentlich beteiligt gewesen wäre: Immer öfter kam er nicht zum Training, ließ sogar Matches sausen, und bei einer ersten Mannschaft erwies sich seine Größe nun denn doch als gewaltiger Nachteil. In der zweiten Mannschaft zwei Jahre zuvor war Ringen noch eine lustige Methode zum Abreagieren gewesen, in der ersten ging es jetzt todernst zur Sache, und beim Training musste Kurt ständig gegen Jungs antreten, die ihn in null Komma nichts auf die Schultern nagelten. Zum Ende der Saison posierte Kurt für das Mannschaftsfoto in gestreiften Kniestrümpfen, und zwischen seinen Ungetümen von Mannschaftskameraden sah er eher aus wie ein Trainer als ein Mitglied der Riege.
Auf der Ringermatte inszenierte Kurt eine seiner größten Schlachten mit seinem Vater. Am Tag der Meisterschaftskämpfe, so jedenfalls erzählte Kurt die Geschichte später selbst, ging er in den Ring, um es Don, der auf der Tribüne saß, zu zeigen. Michael Azerrad gegenüber schilderte Kurt das Ganze später folgendermaßen: „Ich war auf meinen Händen und Knien und schaute zu meinem Vater hinüber, lächelte und wartete auf den Anpfiff. Ich starrte ihm ins Gesicht und tat dann gar nichts mehr. Ich verschränkte meine Arme und ließ mich einfach auf die Schultern legen.“ Kurt behauptete, das viermal hintereinander gemacht zu haben, jedes Mal drehte man ihn sofort auf den Rücken, bis Don angewidert die Halle verließ. Don Cobain versicherte, die Geschichte sei erfunden; auch Kurts Klassenkameraden erinnern sich nicht daran, vermuten vielmehr, das Team hätte jemandem, der absichtlich verlor, die Hucke voll gehauen. Leland Cobain jedoch erinnerte sich daran, dass Don ihm die Geschichte nach dem Match erzählte: „Einfach dagelegen hat er, der kleine Scheißkerl“, habe Don geschimpft. „Er wollte sich einfach nicht wehren.“
Kurt war ein Meister darin, bei seinen Erzählungen zu übertreiben – er erzählte lieber seine emotionale Wahrheit als die eigentliche. Höchstwahrscheinlich war es einfach so, dass Kurt einen überlegenen Gegner abbekommen und beschlossen hatte, sich erst gar nicht zu wehren, was natürlich vollends ausreichte, um einen Perfektionisten wie seinen Vater auf die Palme zu bringen. Aber die Art, wie Kurt die Geschichte erzählte, die Schilderung des kurzen Blicks zwischen seinem Vater und ihm zeigt, wie sehr sich ihre Beziehung in den sechs Jahren seit der Scheidung verschlechtert hatte. Immerhin hatten sie früher einmal jede freie Minute zusammen verbracht, und an dem Tag, an dem Don Kurt das Minimotorrad gekauft hatte, war er für seinen Sohn der Größte gewesen. Bei der Highschool die Straße runter gab es ein Restaurant, wo die beiden immer gemeinsam hingegangen waren; da saßen sie dann, allein, eine kleine Familie, und aßen schweigsam, verbunden in ihrer Einsamkeit: ein kleiner Junge, der sich nichts mehr wünschte, als den Rest seines Lebens mit seinem Dad zu verbringen, und ein Vater, der gern jemanden gehabt hätte, dessen Liebe für ihn niemals verging. Sechs Jahre später jedoch lagen die beiden in einem Ringkampf der Willenskraft gegeneinander, und wie bei allen großen Tragödien waren beide Kontrahenten überzeugt, es sich nicht leisten zu können zu verlieren. Kurt brauchte ganz verzweifelt einen Vater, und Don brauchte die Liebe seines Sohns, aber keiner von beiden hätte das eingestehen können.
Es war eine Tragödie von Shakespeare’schen Ausmaßen. Wie weit Kurt sich auch von der Matte entfernte, aus dem Augenwinkel sah er immer den Vater oder genauer gesagt – da die Beziehung mit seinem Vater nun praktisch tot war – dessen Geist. Fast ein Jahrzehnt nach jener Niederlage im ersten Highschooljahr feuerte Kurt in dem Song „Serve The Servants“ eine bittere Textzeile ab, eine weitere Runde in dem endlosen Kampf mit seinem größten Gegner: „Ich habe mir alle Mühe gegeben, einen Vater zu haben, aber stattdessen hatte ich einen Dad.“
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PRAIRIE BELT SAUSAGE BOY
Aberdeen, Washington, März 1982 bis März 1983
Hab keine Angst davor, ordentlich zuzuhauen, streng dich ruhig ein bisschen an.
– Aus dem Cartoon Meet Jimmy, the Prairie Belt Sausage Boy.
Auf sein eigenes Betreiben verließ Kurt im März das Haus in der Fleet Street 413 und die Obhut seines Vaters und seiner Stiefmutter, um die nächsten paar Jahre in der „Wildnis“ von Grays Harbor herumzutreiben. Obwohl er zwei längere Stopps von je knapp einem Jahr einlegte, lebte er während der nächsten vier Jahre in zehn verschiedenen Häusern, bei zehn verschiedenen Familien. Zuhause fühlte er sich in keiner von ihnen.
Zunächst mal versuchte er es mit vertrautem Terrain und zog zu seinen Großeltern väterlicherseits in deren Trailer. Da dieser außerhalb der Stadt stand, nahm Kurt, um nicht die Schule wechseln zu müssen, jeden Morgen den Bus nach Monte. Aber selbst seine Klassenkameraden merkten, wie hart diese Umstellung für ihn war. Immerhin fand er bei seinen Großeltern das offene Ohr seiner geliebten Iris, und auch mit Leland hatte er den einen oder anderen intimen Augenblick; die meiste Zeit jedoch blieb er allein. Es war ein weiterer Schritt in Richtung einer weitaus umfassenderen, tieferen Einsamkeit.
Eines Tages ging er seinem Großvater beim Bau eines Puppenhauses zu Iris’ Geburtstag zur Hand. Methodisch tackerte Kurt die winzigen Zedernschindeln aufs Dach. Aus dem Holz, das übrig blieb, bastelte er ein primitives Schachspiel. Erst zeichnete er die Umrisse der Figuren aufs Holz, dann schnitzte er mühsam jede einzelne mit dem Messer zurecht. Sein Großvater brachte ihm bei, mit der Stichsäge umzugehen, dann überließ er den Fünfzehnjährigen sich selbst und sah ihm von der Tür aus zu. Immer wieder hob der Junge den Kopf, um die Anerkennung seines Großvaters einzuholen. „Du machst das ganz prima, Kurt“, sagte der.
Leider hatte Leland nicht immer nur freundliche Worte für ihn, und bald sah sich Kurt in derselben Vater-Sohn-Dynamik, die ihm schon von Don her vertraut war. Leland war mit Kritik nicht weniger rasch bei der Hand als mit Lob, wobei zu seiner Verteidigung gesagt sei, dass Kurt einem auch arg auf die Nerven fallen konnte. Seit seinen frühen Teenagerjahren war er ständig dabei, die Grenzen auszutesten, wie weit er gehen konnte, und so viele Elternfiguren – von denen keine letztendliche Autorität über ihn hatte – er auch über die Jahre hatte, er rieb sie schließlich alle auf. Seine Familie zeichnete das Bild eines eigensinnigen, aufmüpfigen Jungen, der weder auf Erwachsene hören noch arbeiten wollte. Diese Faulheit schien ebenso zu seinem Wesen zu gehören wie seine Verdrießlichkeit, ganz im Gegensatz zu allen anderen in der Familie – sogar seine kleine Schwester Kim steuerte mit Zeitungsaustragen zur Haushaltskasse bei. „Kurt war faul“, erinnerte sich sein Onkel Jim Cobain. „Ob das nun daran lag, dass er ein typischer Teenager war, oder daran, dass er depressiv war, wer wollte das schon beurteilen können.“
Im Sommer 1982 verließ Kurt Montesano und zog zu seinem Onkel Jim nach South Aberdeen. Jim war überrascht, dass ihm diese Verantwortung übertragen wurde. „Mit ist echt die Luft weggeblieben, dass die ihn zu mir ziehen lassen wollten“, erinnerte sich Jim Cobain. „Ich rauchte doch Pot zu der Zeit. Ich hatte keine Ahnung, was der Junge brauchte, geschweige denn, was ich da tat.“ Immerhin war Jim bei all seinem Mangel an Erfahrung kein plumper Zuchtmeister. Nur zwei Jahre jünger als sein Bruder Don, war er viel hipper als dieser – und er hatte eine große Plattensammlung: „Ich hatte eine ziemlich gute Stereoanlage und einen Haufen Platten von den Grateful Dead, Led Zeppelin, den Beatles. Und ich hab das Teil schon auch ordentlich aufgedreht.“ Seine größte Freude in diesen Monaten bei Jim hatte Kurt daran, mit