Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White

Читать онлайн.
Название Bob Marley - Catch a Fire
Автор произведения Timothy White
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия Rockgeschichte
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854454656



Скачать книгу

sich schon durchbog. Er sah hinaus über das Familienland und das Dorf Nine Miles.

      Vor ihm erstreckte sich eine undurchdringliche und üppige Landschaft aus großen und kleinen Hügeln, spitz zulaufenden Bergen, immer wieder durchschnitten von Senken. Sie waren dicht bewachsen von Palmen, Bambus, Mangobäumen, Wasserbrot und Ackee, dazwischen Zedern, Mahoe und Mahagoni. An den Hängen kauerten sich die Hütten der Bevölkerung, aus Weidenzweigen geflochten und strohgedeckt oder, und das waren die massiveren unter ihnen, mit ›Spanish walling‹ gebaut (Mauerwerk in einem Holzrahmen) und gedeckt mit einem Flickwerk aus gewelltem Zinkblech. Sie waren ohne Fußbodenbelag und hatten nicht mehr als zwei winzige Räume –

      eine Kammer, um Gerätschaften und Nahrungsmittel zu verstauen, und den anderen als Schlafraum. Jede Hütte besaß vor der Tür eine niedrige Feuerstelle und ein kleines Gehege für junges Vieh. Vor der Hütte erstreckte sich ein Stück steinharten Bodens, festgetrampelt von den Füßen der Cousins und Cousins von Cousins. Fettbäuchige Ziegen, grau mit schwarzen Bäuchen, kauten auf Unrat und Resten vom Tisch und waren umschwärmt von mückenähnlichem Tropenungeziefer, genannt ›sour flies‹. Sie waren angebunden im Labyrinth der rindenlosen Baumstämme in der Umgebung der Hütte.

      Dies war der Lebensraum der Malcolms, Willoughbys, Lemoniouses, Lewises, Davises und eines Dutzends anderer, eng miteinander verwandter Familien, die in dieser Region schon seit zweihundert Jahren vor der Abschaffung der Sklaverei 1838 Ackerbau betrieben. Während der Zeit der großen Plantagen, die im frühen achtzehnten Jahrhundert begann, machte das Zuckerrohr, in einem breiten Gürtel von St. Ann’s Bay über Montego Bay bis Savanna-la-Mar angepflanzt, die im Ausland lebenden Grundbesitzer immens reich. Während das flache Land, das sich bis zum Meer erstreckte, für den Zuckerrohranbau genutzt wurde, durften die Pachtsklaven auf dem Land in den Bergen das anbauen, was sie zum Leben brauchten, und was von den Gutsbesitzern nicht beansprucht wurde, konnten sie in den Städten auf dem Markt tauschen oder verkaufen.

      Die Malcolms zählten zu den wohlhabenden unter den Nachfahren jener Sklaven, und Omeriah war zum am meisten respektierten Bürger von Nine Miles geworden, dem Custos. (Custos war ursprünglich ein jamaikanischer Titel für Kolonialbeamte, aber im Laufe der Jahre hatte sich seine Bedeutung verändert und umfasste jetzt auch Landbesitzer und einheimische Persönlichkeiten, die wegen ihres außergewöhnlichen Reichtums, ihrer Klugheit oder ihres diplomatischen Geschicks hoch geschätzt wurden.)

      Ein sehr kräftig gebauter Mann Mitte fünfzig mit einem runden Kopf, starkem, kantigem Kinn, einer breiten Nase und karamellfarbenen Augen, hatte Omeriah eine sanfte, ewig junge Art, die ihn besonders bei Kindern und Frauen beliebt machte. Außer den neun Kindern mit seiner Frau Alberta hatte er noch ein weiteres Dutzend mit verschiedenen Damen im Distrikt. Die meisten Verbindungen war er jedoch nach dem Tode seiner rechtmäßigen Frau im Jahre 1935 eingegangen, als auch seine Schwester Rittenella gestorben war. Dennoch, Alberta hatte die frühen Seitensprünge ihres Mannes hingenommen, ohne sich zu beklagen, ja, sie zeigte sogar einen Anflug von Stolz. Schließlich war ihr bewusst, dass er kein reiner Hallodri war, denn er hatte auf anständige und diskrete Weise dafür Sorge getragen, dass für alle seine unehelichen Nachfahren gesorgt war.

      Ebenso ehrgeizig und fleißig wie liebesbedürftig, hatte Omeriah klug ein beträchtliches Stück allerbesten Ackerlandes in einem Bezirk namens Smith bestellt, einem fruchtbaren Tal zwischen Eight Miles und dem Dorf Rhoden Hall im Distrikt Stepney. Außerdem betrieb er eine Bäckerei, einen Gemischtwarenladen und ein lose geführtes Unternehmen, das nicht nur englische Stoffe für Kleider, Anzüge und Hosen verkaufte, sondern auch noch Dienstleistungen wie die Reparatur von Schuhen und allen erdenklichen Maschinen anbot. Zudem gehörte ihm eine bescheidene, aber gewinnbringende Kaffeerösterei. Seine Frau, ehemals Alberta Willoughby, war ebenfalls, an ländlichen Maßstäben gemessen, ziemlich wohlhabend, denn ihre Eltern konnten ein ziemlich ausgedehntes Gelände bewirtschaften, das dicht bepflanzt war mit Kaffee, Bananen, Orangen und Tangerinen.

      Der Respekt, den Omeriah bei seinen Nachbarn besaß, gründete sich jedoch nicht nur auf seine materiellen Besitztümer (und auch nicht auf seine Vielzahl von Kindern), sondern eher noch auf den Ruf als kenntnisreicher Kräuterfachmann und Myalman –

      eine Person, die das Wissen und die Macht besaß, die Machenschaften des Obeah abzuwenden oder einzudämmen und Menschen zu heilen.

      Omeriah hatte die althergebrachten Künste des Myalman von seinem Vater, Robert ›Uncle Day‹ Malcolm gelernt, der von den Kromanti-Sklaven abstammte, die auf Schiffen Ende des siebzehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts von der Goldküste nach Jamaika gebracht worden waren. Die Kromanti waren ein besonders wilder Stamm der Akan und hatten weder von den Sklavenbesitzern noch den Kolonialherrschern unterdrückt werden können. Die Kromanti-Führer Tackey und Cudjoe hatten zwei der blutigsten Sklavenaufstände zur Zeit der großen Plantagen angestachelt. Nicht einmal die unbezähmbaren Maroons, die früh in das undurchdringliche Cockpit Country im Inneren Jamaikas entkommen waren und auf Grund eines Abkommens mit den Briten, das sie vor Verfolgung schützte, bei der Unterdrückung anderer Aufständischer helfen mussten, vermochten den Freiheitswillen der Kromanti einzudämmen. Ja, die Maroons bedienten sich schließlich sogar des Kromanti-Dialekts als ihrer Geheimsprache und lernten die Heilkräfte solcher Inselkräuter wie Kema Weed, Lion’s Tail und Hunderter anderer kennen.

      Auf Jamaika wachsen mehr Sträucher, Obstbäume, sonderbare Gemüsesorten und eigenartige Kräuter und Gewürze und Wurzelknollen als in den meisten Ländern, die um ein Vielfaches größer sind, und es ist eine treffende Ironie, dass viele verschiedene Arten, die inzwischen zu noch größerer Vielfalt gekreuzt sind, ursprünglich von der Royal Navy für die britische Pflanzeraristokratie an diese Gestade gebracht worden sind, damit man die Sklaven ernähren konnte, ohne auf zusätzliche Importe angewiesen zu sein. Aber die Afrikaner sortierten Schösslinge und Setzlinge aus und entkamen dann mit ihren Brüdern in entfernte Winkel des Urwalds, wo sie unabhängige Siedlungen gründeten.

      Die entlaufenen Sklaven wurden immer listiger und rachedurstiger, weit mehr noch als die Maroons, die den Kromanti noch eine Huldigung erwiesen, indem sie mit schauriger Regelmäßigkeit den uralten Kromanti-Fluch, den sie von ihnen gelernt hatten, auch in Anwendung brachten. Durch ihn wendet sich die Hand des Unterdrückers gegen ihren Besitzer. Die Akan waren nicht von der Ansicht abzubringen, dass es Hexerei gewesen war, die sie nach Westindien gebracht hatte, und daher erschien es ihnen nur gerecht, mit denselben Waffen zurückzuschlagen: So mancher grausame Sklavenhalter beging Selbstmord, kaum dass der Fluch über ihn ausgesprochen worden war.

      Obwohl er seit seiner Jugend in den myalistischen Kromanti-Künsten unterwiesen worden war, hatte Omeriah weder Gelegenheit gehabt noch die Neigung verspürt, irgendeinen Menschen mit dem Fluch zu belegen. Im Gegenteil, er verabscheute solche Praktiken und tat alles, um zu vereiteln, was er als Missbrauch der spiritistischen Kräfte ansah. Und doch war sich Omeriah auch bewusst, dass der Medizinmann und der Wahrsager wissen müssen, wie man etwas geschehen lassen kann, um es wieder ungeschehen zu machen, und daher hatte sich Omeriah vertraut machen müssen mit Obeah, den Dunklen Wissenschaften, Guzu-Guzu und mit der Hierarchie der Verbündeten des Magiers, die aus einer anderen Welt kamen, und hauptsächlich mit den sogenannten Gefallenen Engeln unter ihnen: Luzifer, dem verruchten Schacherer; Rutibel, sonst bekannt als Gabriel, der Racheengel, der in seiner Rechten ein gezogenes Schwert trägt; den friedfertigeren Zanz und Zangiel, von denen man sagt, dass sie an Jesu Haupt gestanden hätten in seinem Grab, als er von den Toten auferstand; und schließlich den launischen Heiligen Michael, Saschael und Raphael, ebenfalls Angehörige der Ehrengarde aus Engeln, die bei Christi Wiederauferstehung anwesend waren.

      Aber sei auf der Hut, so wurde Omeriah von seinem Vater gewarnt, denn die Geister, die von den Obeahmen auf Jamaika beschworen werden, sind keine göttlichen Boten, sondern himmlische Aasfresser. Und in diesen Letzten Tagen bieten sie Wissen an der Schwelle zur Hölle, und man solle eher für sie beten und mit ihnen Mitgefühl haben, als sie zu beschwören.

      Uncle Day erklärte Omeriah, dass diejenigen, die der Berufung folgen, ›aufzustehen, um zu heilen‹, nach einem Verständnis streben sollten, das sich gründet auf den Glauben, und dass sie den Herrn ersuchen sollten, ihnen Übereinkunft zu gewähren mit dem Reichtum der Erde und mit den heilbringenden Pflanzen, Kräutern und Gewürzen, so dass sie jene Befähigung erlangen können,