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Название einfach unverschämt zuversichtlich
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290177942



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hatte, so meinte ich immer meinen Gott. Ob ich vor Maria stehe und zu ihr bete oder ihn im inneren Gespräch mit Gott anspreche. Oder ob ich eine Frucht esse und sie vom Vietnamesischen her «cai trai», Frau Frucht, nenne, Frau Frucht Apfel «cai trai tao», Frau Frucht Banane «cai trai chuoi» oder Frau Frucht Kürbis «cai trai bi», so kommen doch alle von der gleichen Frucht, vom Herzen «cai trai tim», Frau Frucht Herz.

      Wir Menschen geben Gott viele Namen. Gott ist aber immer Gott, ob wir ihn Gustav oder Jacqueline nennen … oder Frau Frucht Herz.

      Erschienen in FAMA 3/1999: «Erkundungen zu Spiritualität»

       |32|

      Erinnerungen an eine Kindheit in der Türkei

      Esen Leyla Esendal

      An einem kalten Februarabend kam ein kleines Mädchen in einem Land, das man Türkei nennt, auf die Welt und betrat somit eine islamisch geprägte Kulturwelt. Man rückte ein wenig zusammen und machte ihm Platz. Einige Tage nach seiner Geburt nahm sein Grossvater es auf den Schoss mit den Worten BISMILLAHIRRAHMANIRRAHIM (im Namen Gottes des barmherzigen Erbarmers). Es wurde EZAN in des Mädchens Ohr gerufen, dann dreimal sein Name. Man betete zusammen und zum Schluss sprach jeder für sich das FATIHA (Sura 1 im Koran): «Dem Herrn der Welten, dem barmherzigen Erbarmer, dem der Tag des Gerichts gehört, Dir dienen wir, Dich flehen wir an. Führe uns den geraden Weg, den Weg derer, denen Du Deine Gnade gibst und nicht derer, über die Dein Zorn kommt und die abirren.» So betrat das Mädchen den Weg, den Weg des Islam, und so wurde ein Name sein ständiger Begleiter: «ALLAH». Es vernahm ihn im Ruf des Muezzins, im Wiegenlied, in Glückwünschen zu seiner Geburt und in Schutzformeln, womit man Gott um seinen Schutz vor allem Bösen und um Glück und Segen bat. Das Baby vernahm alles mit geschlossenen Augen, so wie es dies später beim Koranhören zu tun pflegte: ganz in sich gekehrt, etwas empfangend.

      Ein besonderer Teppich

      Tage vergingen. Das Baby gedieh … Das Zimmer roch nach Lavendel. Der Duft kam aus der Wäschetruhe, aus der ihre Grossmutter alle paar Tage ein frisches, grosses Kopftuch holte. Wenn sie das kleine Mädchen in die Arme nahm, versteckte es seinen Kopf unter diesem Tuch, und auch wenn es beleidigt war oder sich wehgetan hatte. Wenn es so dasass, spielte es mit dem Rosenkranz, den die Grossmutter immer bei sich trug. Dabei wiederholte es unendlich die für es unverständlichen Worte: ELHAMDÜLILLAH … ELHAMDÜLILLAH … ELHAMD … (Dank an Gott). Der EZAN, das Wiegenlied, die im Namen Allah eingebetteten Wünsche, Gebete, das grosse, weisse Kopftuch, der Rosenkranz – alles um das kleine Mädchen herum. Hinzu kam der Gebetsteppich, der fünfmal am Tag entlang Kibla ausgebreitet und nach dem Gebet wieder zusammengerollt in den Schrank verräumt wurde. Dieser Teppich gab dem Tag einen bestimmten Takt, eine Ordnung. Es war so, als ob die Zeit nach seinem Zeichen ablief und nicht umgekehrt. Er brachte unerklärliche Schwingungen in den Raum und in das Leben. Dieser Gebetsteppich war am Anfang nur ein sehr reizvoller, besonderer Spielplatz. Die Grossmutter bewegte sich so komisch |33| darauf. «Nein, nein, mein Kind», sagte die Mutter, «Nine macht ‹amin, amin›. Sie sagt Allah.» So gehörten zu den ersten Vokabeln automatisch diese Wörter: Amme (Mami), Baba (Papi), Amin, Amin, Nine (die Grossmutter), pisi pisi (Katze), Allah.

      Zauberwelt

      Die Zeit flog vorbei wie ein kleines Kind auf dem Schlitten im Schnee. Das kleine Mädchen lebte das unbeschwerte Leben eines Kindes. Aber der Islam berührte immer wieder seine Zauberwelt. Mal als ein kleines Gebet, mal als ein magisches Wort aus dem Munde der Erwachsenen, mal als eine Geschichte aus dem Leben Mohammeds. Auch im Bezug auf die Tierwelt tauchte hie und da eine islamische Geschichte auf. «Die Spinne ist und bleibt eklig, auch wenn sie damals Mohammed geschützt hatte», dachte das Mädchen, behielt diese Meinung aber für sich. Die Ameisen waren besser dran. Einmal sagte eine Grosstante, dass jede Ameise, die man rette, einem im Jenseits helfen würde. Das Mädchen konnte mit dem Jenseitsbegriff nicht viel anfangen, dennoch malte seine reiche Phantasie komische Bilder, z. B. alte Menschen, die in einem riesengrossen Garten mit sehr vielen Blumen über die Dattelbäume fliegen. Aber das Mädchen ahnte, dass es sich um etwas handelte, das man ernst nehmen musste. Schliesslich soll dieser Garten der Schönste sein und jede und jeder begehrte, eingelassen zu werden. «Wenn das so ist … na, dann an die Arbeit! Es wird den Ameisen geholfen!» Nachdem das Mädchen bei einer intensiven Rettungsaktion im Garten, ohne es zu bemerken, auf ein Ameisennest trat und die Ameisen sein ganzes Bein hinaufkletterten und es dazu noch bös bissen, verzichtete es dann doch auf deren zugesagte Hilfe im Jenseits.

      Die innere Welt des Mädchens wurde Tag für Tag mit verschiedenen, neu erworbenen Blumen geschmückt und bereichert. Es war in eine vom Islam geprägten geistigen Welt eingebettet und bezog die für sein Gedeihen nötige Nahrung aus dieser «Quelle des Lebens.» Es war so, als ob eine wärmende, schützende Decke diese kleine, noch zierliche Welt umhüllte, so wie das grosse, weisse Kopftuch der Grossmutter.

      Praktizierte Lebensform

      Diese Glaubenswelt formte die Menschen, die zu ihr gehörten und bestimmte ihre Lebensform. Der Islam war überall und in jeder Handlung des Alltags zu spüren, wenn man das Verhalten der Menschen beobachtete: wie sie die Geschehnisse beurteilten, wie sie sich gegenseitig ermahnten, wenn sie über jemanden etwas Unangenehmes sagten, wie sie bei jeder Gelegenheit sich selbst oder einander an die göttlichen Gesetze erinnerten …, da war der Islam ständig gegenwärtig. «Halkin gözü, hakkin gözü», sagte man (wie du von anderen gesehen wirst, wirst du auch von Gott gesehen). Auf diese Weise wurde jede und jeder zur Selbstkontrolle und Weiterentwicklung verpflichtet. Das kleine Mädchen beobachtete alles – je älter, desto bewusster – und auf diese Weise bekam es den ersten «Religionsunterricht» als praktizierte Lebensform. So sah es zum Beispiel wie seine Mutter der bettlägerigen |34| Grossmutter, die sie pflegte, manchmal zuhörte: «… und zu den Eltern sollst du gut sein. Wenn jemand von ihnen oder alle beide bei dir im Haus hochbetagt geworden sind, dann sag nicht ‹pfui› zu ihnen und fahr sie nicht an, sondern sprich ehrerbietig zu ihnen und senke für sie in Barmherzigkeit den Flügel der Selbsterniedrigung und sag: ‹Herr, erbarm Dich ihrer ebenso mitleidig, wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein war›.» (Sura 17/23f – Übersetzung von Anne Marie Schimmel) Das Mädchen beobachtete, wie die Älteren ein auf den Boden gefallenes Stück Brot aufhoben, es küssten und an die Stirn drückten, und es dann so verstauten, dass es nicht zertreten werden konnte. Es beobachtete die fastenden Älteren in der Familie, wie sie innig beteten, bevor sie nach einem langen Tag, an dem sie weder assen noch tranken, den ersten Schluck Wasser zu sich nahmen und eine Olive assen. Es ass mit, als hätte auch es gefastet. Diese Teilnahme ermöglichte ihm später, vor der Nahrung und allen Gaben Gottes Dankbarkeit und Ehrfurcht zu spüren.

      Grosse Ehrfurcht

      Wenn das Mädchen krank war – und es war oft krank, kam die Grossmutter zu ihm und murmelte lange Gebete und dann hauchte sie ihren gebetvollen Atem in sein Gesicht. Sie sagte ihm, dass Allah es sehr liebe und es durch diese Gebete heilen möchte. Dies tat ihm so gut, dass es die Spinnen und Ameisen, die mit Gott Zwiesprache halten durften, bald nicht mehr beneidete. Obwohl das Mädchen am Anfang oft nicht begreifen konnte, was für eine Bedeutung hinter den Geboten oder Gebeten steckte, folgte es den Älteren, denn alle, die ihm diese Gebete direkt oder indirekt beibrachten, zeigten grosse Ehrfurcht davor. In ihm häuften sich viele Bilder wie Schnappschüsse, die sein inneres Auge auffing. Manche dieser Schnappschüsse hatten solch klare Konturen und kräftige Farben, dass sie den Weg des Mädchens wie bunte Laternen beleuchteten. Zwei dieser Bilder seien beschrieben. Sie geben die Möglichkeit zum Verständnis für die alltägliche, islamische Lebensform.

      Dankbar und gewissenhaft

      Es war ein herrlicher Tag im Mai. Ich war zehn. In allen Gärten im Quartier herrschte eine freudige Aufregung. Von den Bienen und Vögeln bis zu den kleinsten Käfern und Blumen genoss die ganze Natur die Wärme der Sonne. Auch der rheumageplagte Körper des Strassenkehrers Mehmet Efendi. Er kehrte wie immer