einfach unverschämt zuversichtlich. Группа авторов

Читать онлайн.
Название einfach unverschämt zuversichtlich
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290177942



Скачать книгу

Leben, und in der Liebe, der konkreten und der allumfassenden.»

      Erschienen in FAMA 1999/3: «Erkundungen zu Spiritualität»

      Vreni Schneider Biber

      Eines Tages kommt ein Kollege in die Sitzung und erklärt: «Ich ziehe mich jetzt zurück aus der Südafrika-Arbeit. Ich muss mehr zu mir selber kommen.» Etwas später höre ich, er besuche nun Zen-Meditationskurse. Ich werde traurig und wütend, sein Rückzug trifft mich.

      Nicht das Lieblose

      Ich feiere gerne mit Frauen Gottesdienste, aber je länger je mehr langweilen mich die immer gleichen Kerzen, die bunten Tücher, das ausgegossene Wasser, die schweren Steine. Wo bleibt die Phantasie, die Vielfalt in der Sprache der Gesten? Muss es denn immer ein Sonnenblumenkern sein, den wir mitnehmen und pflanzen sollen? Es gibt doch auch Schneeglöcklein und Tulpen und ihre Zwiebeln und warum nicht auch mal eine ganz gewöhnlich Bohne?

      Das Gewöhnliche, das Alltägliche, das Profane ist für mich der Ort und die Sprache des Spirituellen. Dabei meine ich nicht das Banale, sondern das Einfache; nicht das Kitschige, sondern das Schöne; nicht das Zufällige, sondern das Gesuchte; nicht das Lieblose, sondern das Gepflegte.

      Ohne Menschen ist Spiritualität in all ihren Formen für mich geist-los und lieb-los. Ich sah einmal eine Fotografie von einer wunderschönen Frau aus weissem Marmor. Das Faszinierende an diesem Bild, das, was es für mich zu einem Ort von Spiritualität machte, waren die Menschen, die diese Statue betrachteten: völlig versunken in das Schauen der Schönheit, in das Begehren nach Vollkommenheit. Die Fotografin bzw. der Fotograf hat Anbetung dargestellt, völlig profan.

      Nüchtern, alltäglich, beziehungsreich

      Für eine Veranstaltung wurde ich angefragt, kurz darzustellen, was ich unter Spiritualität verstehe und lebe; da hat mich eine Kollegin angesprochen: «Du hast doch keine Ahnung von Spiritualität.» Ich wusste, was sie meinte. Sie kannte mein Misstrauen |26| gegenüber allem, was majestätisch, erhaben, tiefsinnig, in frommer Sprache und falscher Demut daherkommt. Ich habe versucht zu sagen, was ich meine, wenn ich etwas mit der Ruach, Gottes Geistkraft, in Verbindung bringe. Da geht es um Kampf, um Gerechtigkeit, um Leidenschaft, um Grenzen-Überschreiten, um Weinen und Lachen, um Sagen und Hören, um Übersetzen, um Entdecken und Nachdenken. Es gibt eine Beschreibung der Weisheit im biblischen Buch der Sprüche. Da erscheint sie als einladende, bewirtende Frau. Die Weisheit, die Sophia, ganz alltäglich, grosszügig allerdings, zugeneigt, offen. Eines hat mich an diesem Buch immer fasziniert: Eine gewisse Nüchternheit und Alltäglichkeit, mit der wichtige Beziehungen, Situationen und Verhaltensweisen von Menschen angesprochen werden, mögen sie nun das Miteinander unter Menschen oder mit Gott betreffen. Dieses Buch redet über gelebte Spiritualität und deshalb über Beziehungen.

      Bewegung zu den Menschen hin

      Spiritualität, die für sich allein, als Haltung des Rückzugs von andern, gepflegt wird, macht mich zutiefst misstrauisch. Ausdrücke wie «meine innere Mitte suchen», erwecken bei mir die Lust auf sarkastische Überlegungen. Mercy Oduyoye, eine feministische Theologin aus Ghana, hat in Harare an der Vollversammlung des Ökumenischen Rates im Jahr 1998 die Befürchtung ausgesprochen, dass das boomende Christentum in Afrika wie eine Zwiebel sein könnte: Wenn man sie öffnet, schält, ist am Schluss nichts mehr da. Manchmal verdächtige ich gewisse spirituelle Abenteuer, die Menschen empfohlen werden, dass sie zum Zwiebelschälen führen, und Menschen schliesslich leer, enttäuscht über sich selber und den Geist, den man ihnen gestohlen hat, zurücklassen.

      Reiche können sich solche Spiritualität leisten, weil sie die entdeckte Hohlheit flugs mit materiellen Gütern füllen können. Arme brauchen nicht die Entdeckung ihrer Armut, sondern die Zusage, dass sie die Fülle des Geistes bekommen, wie es die erste Seligpreisung in der Bergpredigt Jesu verheisst. Spiritualität hat für mich mit Suche zu tun, mit Bewegung, aber nicht in mir selber, sondern mit der Suche nach Gerechtigkeit, mit der Bewegung zur Welt und den Menschen hin. Dafür brauche ich die Ruach, den Geist und die Weisheit. Sie weckt in mir Zorn und Wut, Sehnsucht und Leidenschaft.

      Unbezwingbarer Geist des Protests

      Letzthin habe ich ein Fotobuch aus Südafrika gefunden: Am 9. August 1956 standen 20 000 Frauen vor dem Regierungsgebäude in Pretoria, um gegen das Passgesetz zu protestieren. Sie waren von überall her gekommen und standen nun dicht gedrängt in grossen Halbkreisen und warteten darauf, dass ihre Führerinnen die Petition ablieferten. Wie im Apartheidstaat üblich: Der Premierminister hat die Frauen nicht empfangen. Seither heisst dieser Tag «Frauentag», und für viele Frauen, die vorher nicht politisch waren, war es der Beginn des Kampfes um das Menschsein. So erzählt |27| es auch Helen Joseph, eine weisse Mittelstandsfrau, damals 51 Jahre alt, in ihrem Buch «Allein und doch nicht einsam». Als Protest haben die Frauen ihre Arme zum ANC-Gruss erhoben und so eine halbe Stunde still zusammengestanden. «Nach der Protestkundgebung gingen die Frauen – genau so ruhig und diszipliniert wie sie gekommen waren – die Treppe zur der Strasse hinunter; nur sangen sie jetzt. Und dann waren die Gartenterrassen wieder leer – nicht wirklich leer, denn etwas von dem unbezwingbaren Geist des Protests muss zurückgeblieben sein. Und vielleicht ist er immer noch da, auch wenn man ihn nicht sehen und nicht greifen kann.»5 So ist der Terrassenplatz vor dem verhassten Regierungsgebäude zu einem Ort der Spiritualität geworden. Ich kenne noch andere solche Orte, und sie machen mich jeweils andächtiger als Kapellen und Kirchen mit Kerzen und Weihrauch, Wandgemälden und Kanzeln. Es sind Orte, an denen Zeuginnen und Zeugen des Kampfes um die Gerechtigkeit gedacht wird. Das könnten Kirchen auch sein, wenn sie nur nicht von uns Menschen zu Orten des Rückzugs, der Feigheit, der Anpassung, zu Orten schwelgender, spiritueller Vernebelung gemacht worden wären.

      Fürbitte

      Eine der intensivsten spirituellen Erfahrungen ist für mich das Gedenken in einem liturgischen Rahmen. Es gibt dafür mehrere Formen, zwei von ihnen habe ich als sehr hilfreich für widerständige Gruppen empfunden und zwar gerade auch, wenn Menschen darunter sind, denen religiöse Sprache und Formen fremd sind. Die eine ist das Gedenken für Menschen, die im Kampf um Gerechtigkeit gestorben sind. Da mag es denn heissen: «Ich denke an … die … gesagt, getan, bedeutet hat.» Die andere ist das Gedenken an jene, die kämpfen, leiden, hoffen. Die Fürbitte in verschiedenen Formen und in so profaner Sprache, wie möglich, ist eine grosse Hilfe gegen die Verzweiflung, die Mutlosigkeit, die Resignation, die alle bedroht; sie setzt sich mit den Mächten der Ungerechtigkeit auseinander. Auf einer Tagung haben wir jeweils am Morgen und am Abend einen Moment der gemeinsamen Besinnung angeboten. Beim ersten Mal waren wir kirchlich sozialisierten Teilnehmenden so ziemlich unter uns. Beim dritten Mal waren auch die bekennenden A-Kirchlichen dabei und haben das Gedenken mitgetragen. Eine Freundin aus dem linken Spektrum hat zu mir gesagt: «Darum beneide ich euch. Ihr habt eine gemeinsame Sprache, in der Dinge gesagt werden können, die verbinden.»

      Sprache der Liebe

      Spiritualität hat etwas mit Übersetzen, Deuten und Sprache zu tun. Eine Spiritualität, die sprachlos macht oder gar die Sprachlosigkeit als höhere Form der Vergeistigung anpreist, steht für mich in der Gefahr, lieb-los zu werden. Sprachverweigerung ist intensivste Liebesverweigerung. Das hat mich ein Ehepaar gelehrt, dessen Streitigkeiten |28| jeweils so ausgetragen wurden, dass der Mann schwieg, von einer Woche bis zu zwei Monaten. Während einer solchen Phase, wurde ich zum Essen eingeladen. Das Gespräch ging im Dreieck über mich. Ich bin noch nie so nahe an einen hysterischen Schreianfall geraten. Schweigen kann seine Zeit haben, Schweigen kann wohltuend und sogar verbindend sein, aber es braucht die Deutung der Sprache, die Begrenzung durch Sprache, sonst wird Schweigen chaotisch und tödlich.

      Ich habe grosse Hemmungen beim Tanzen im gottesdienstlichen Rahmen und habe mich gefragt, warum. Zum einen bin ich extrem scheu, wenn es darum geht, dass andere mich anschauen wenn ich mich bewege, und zum andern kommt es mir so künstlich vor. Pina Bausch, die Choreografin