einfach unverschämt zuversichtlich. Группа авторов

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Название einfach unverschämt zuversichtlich
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290177942



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die Unterdrückung werden selbst-bestimmt, von innen her motiviert und mit Macht erfüllt.»3 Die Macht der Erotik vereinigt in sich Spiri­tualität und Sexualität – beide entspringen ihr aus derselben Quelle. |22|

      Lesbischsein als Gabe und Aufgabe

      Das menschenfreundliche Gottesverständnis des «Sei du dein» deckt sich in einem wichtigen Aspekt mit dem, was ich zur Spiritualität des Coming-out zu sagen habe. Mein Lesbischsein zu leben – ich weiss, dass dies zwar nicht der Beginn, aber eine konsequente Weiterführung meiner Geschichte mit dem Göttlichen, dem innersten Wesenskern ist. Es ist eine Gabe und bedeutet für mich, dass ich mit meinem Leben und ganz besonders in der Beziehung zu meiner Lebenspartnerin meine ureigene Art sehe, göttliche Liebe in der Welt sichtbar zu machen.

      Mein Coming-out hat mir ein neues, inneres Bewusstsein gegeben für meine Kraftquellen, aber auch dafür, wie Diskriminierung funktioniert, äussere und verinnerlichte. Von Audre Lorde habe ich gelernt, dass damit auch eine Aufgabe verbunden ist. Sehr klar wurde mir dies an einem Treffen von Lesben in Deutschland 1993. Tags zuvor waren fünf türkische Frauen bei einem rassistisch motivierten Anschlag getötet worden. Wir gingen auf die Strasse. Nicht nur für die Opfer des Brandanschlags, sondern auch für uns. In diesem Akt des Widerstandes trafen das Mystische des «Sei du dein» und das Politische der «Macht der Erotik» zusammen.

      Das eigene Leben zur Sprache bringen

      Ich wollte von einigen Frauen wissen, inwiefern sie einen Zusammenhang zwischen ihrem Coming-out und ihrer Spiritualität sehen. Dabei habe ich bewusst darauf verzichtet, «Coming-out» näher zu definieren oder mein Verständnis von Spiritualität zu erörtern. Sie selber sollten die beiden Begriffe füllen und mit ihrem eigenen Leben verbinden. Von den 18 angeschriebenen Frauen haben sich 16 entweder schriftlich oder mündlich zu meiner Frage geäussert. Vier Frauen konnten spontan keinen Zusammenhang nennen.

      Die übrigen Frauen äusserten sich zu drei Themenkreisen: Heimkehr zu mir selbst, Bruch-Erfahrungen, tragendere Beziehungen.

      Heimkehr zu mir selbst

      Wohl nicht zufällig umschreiben die meisten Frauen ihre Coming-out-Erfahrung mit Begriffen wie «Heimkehr», «Identitäts- und Selbstfindung» und setzen dies in Zusammenhang mit Spiritualität: «Spiritualität heisst für mich, im freundlichen Angesicht Gottes immer mehr die zu werden, die ich im tiefsten meiner selbst bin. Und wenn mein Lesbischsein einen Teil meiner Identität ausmacht, dann ist das Coming-out ein Schritt auf dem Weg zu einem ‹Leben in Fülle› und gehört ganz wesentlich zu meiner Spiritualität.» |23|

      «Für mich hat Spiritualität mit Sinn-Suche im Allgemeinen und Coming-out mit Sinn-Suche im Besonderen zu tun. Durch mein Coming-out habe ich das Eingebundensein ins Lebendige ganz stark erfahren und glaube dadurch meine eigene Identität gefunden zu haben (endlich daheim!).»

      Die Suche nach der eigenen Identität ist für einige Frauen in einer noch immer weitgehend homophoben Gesellschaft sehr schmerzhaft. Darum ist es besonders wichtig «zu spüren, dass dieser ‹gute Geist› mich auch beim Prozess, eine positive Identität als lesbische Frau zu entwickeln, unterstützt.»

      Bruch-Erfahrungen

      Drei Bereiche kommen hier zur Sprache: Eine Frau bezieht sich auf ihr Coming-out, das für sie keine Heimkehr zu sich selbst in beglückendem Sinne war, denn die Tragödie ihrer Kindheit scheint sich in vermeintlich sicheren Frauenräumen zu wiederholen: «Meine Mutter war nicht die einzige Frau, die mein Coming-out als Einladung zur Selbstbedienung auffasste.» Die Auseinandersetzung mit Gewalt, ganz besonders mit Frauengewalt, ist für sie «ein zentraler Punkt meiner Religiosität – oder kurz die Frage, wie ich in dieser Welt leben kann. Bei allem was mir zu sehr nach Heile-Welt und Kuscheldecke-Spiritualität aussieht, kriege ich das Gruseln.» Diese Frau entlarvt mit ihrem Coming-out vielschichtig gleich mehrere Mythen: jene von der heilen Familie genauso wie jene von heiler Lesbenwelt. Sie wehrt sich gegen eine «Wir»-Vereinnahmung und fordert uns stattdessen heraus, immer noch genauer hinzusehen, wo Frauen ausgegrenzt werden.

      Einige haben die traditionellen Bilder von Gott und vom Religiösen hinter sich gelassen. Sie suchen eine neue Sprache, stimmigere Rituale, die ihrem Frausein und den Brüchen, aber auch den Ganzheitserfahrungen in ihrem Leben und in der Welt gerechter zu werden vermögen. Für sie ist der Weg des Coming-out verbunden mit einem Abschied vom Männergott: «Mein Coming-out hat meine patriarchal geprägte Spiritualität absolut in Frage gestellt. Weibliche Spiritualität ist für mich lebendiger, weil Leben, Lust und Leidenschaft sein dürfen.»

      Coming-out hat eine prophetische Dimension. Diese klagt in unserer Gesellschaft und Kirche die Sünde der Homophobie und des Heterosexismus an und fordert Lesben, Schwule und Bisexuelle dazu auf, ihre Liebesfähigkeit nicht zu verleugnen. Für Frauen, die sich einer christlichen Gemeinschaft zugehörig fühlen, ist es schwierig, zwischen ihrem Christin- und Lesbesein zu balancieren; beinahe unlösbar scheint der Konflikt bei Frauen und Männern in (katholischer) kirchlicher Anstellung zu sein: «Ich muss mir gut überlegen, wo und wem ich mich öffentlich zeigen kann, ohne mich selber zu gefährden, zum Beispiel meine Stelle in der Kirche zu verlieren. In der Kirche, wo Menschenwürde und Liebe im Mittelpunkt stehen sollten, wird meine Würde verletzt, weil ich mich nicht so zeigen darf, wie ich bin. So bin ich gezwungen, meine Spiritualität abzuspalten.» In diesem Beitrag wird sehr deutlich, wie die Kirche sich selber ihrer Seele beraubt, indem sie Menschen daran hindert, aus der Fülle ihrer Existenz zu schöpfen. |24|

      Ein weiterer Beitrag beschreibt die Folgen dessen, was die kirchliche Lehre zur gleichgeschlechtlichen Liebe Einzelnen antut: «Das Coming-out war für mich zu Beginn eine der grössten spirituellen Erprobungen. Ich sah mich konfrontiert mit der gängigen Meinung, Homosexualität und Glaube bzw. Spiritualität seien nicht vereinbar. Ein Leben ohne Ausrichtung auf das Göttliche konnte ich mir jedoch nicht vorstellen, es ist mein Lebenselixier. Dann eher mein Leben ‹freiwillig› beenden.» Diese Frau hatte selber schon so viel eigenen Boden, dass sie ihrer inneren Führung mehr vertraute als «den selbsternannten Sprachrohren Gottes: Da war es für mich sehr wichtig, dass die spirituelle Führung in meinem Leben weiterging.»

      Tragendere Beziehungen

      «Wenn eine Frau die Wahrheit sagt, schafft sie damit die Möglichkeit für mehr Wahrheit in ihrer Umgebung.»4 Adrienne Rich spricht eine Erfahrung aus, die vielen von uns vertraut ist: Indem wir uns selber zeigen, ermutigen wir andere, ehrlicher zu sich und zu anderen zu sein – und dies beschränkt sich nicht auf Lesben und Schwule allein. «In den Momenten, wo ich von meiner Liebe erzählte, spürte ich sehr viel Nähe und ein gutes Einverständnis mit den Menschen – ein tief spirituelles Gefühl.» Beziehungen zu FreundInnen und Bekannten werden nicht nur ehrlicher, vielfach erleben die betreffenden Frauen auch, dass sie an Tiefe gewinnen und vielem standhalten können: «Ich staune oft über die Tiefe, die sich da ergeben hat, wenn Beziehungen mit dem Thema gewachsen sind.» Diese gemeinschaftliche Dimension des Coming-out ist zentral. Gemeinsam bringen wir uns immer mehr an den Ort, wo jede sich selber sein und von dort aus ihre Möglichkeiten entfalten kann.

      Ein Heilungs- und Befreiungsweg

      Eines scheint bei aller Unterschiedlichkeit der Antworten allen gemein zu sein: Im Coming-out haben die Frauen näher zu ihren je eigenen konkreten Lebensthemen gefunden. Meiner Meinung nach ist es dies, was Cusanus mit «Sei du dein» bezeichnet hat. Sie sind sich, anderen und dem, was sie unbedingt angeht (Tillich) dadurch näher gekommen. Nicht immer sind damit nur Glücksgefühle verbunden, für alle aber scheint dies ein Heilungs- und Befreiungsweg zu sein, der sie stärker in Berührung bringt mit ihrer innersten Mitte, der sie in die Gemeinschaft mit anderen, die Ähnliches erfahren haben, ruft, der sie in Berührung mit der «Macht der Erotik», wie Audre Lorde sie versteht, bringt, die es nicht zulässt, Spiritualität von Sexualität abzuspalten. Sehr treffend hat dies eine der Frauen mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht: «Mein Coming-out hat mich – und andere – ermutigt, noch mehr mit dem konkreten Leben in Kontakt zu kommen. Es hat mich