einfach unverschämt zuversichtlich. Группа авторов

Читать онлайн.
Название einfach unverschämt zuversichtlich
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290177942



Скачать книгу

Pflege sozialer Beziehungen gehörte immer schon in den Zuständigkeitsbereich von Frauen. Überspitzt gefragt: Wird hier nicht weibliches Sozialverhalten zur Definition Gottes erhoben? Beziehungen sind so vielfältig wie Menschen selbst, sie werden in Familien anders gelebt, als in Institutionen und Konzernen, anders von Männern als von Frauen. Ohne Differenzierung gerät Gott als Macht in Beziehung nur wieder zu einer Bestätigung der herrschenden Geschlechterordnung anstatt aus ihr zu befreien. Meines Erachtens bedarf es dazu Gottesvorstellungen, die aus einer geschlechtlichen Engführung herausfinden und die Seins- und Handlungsmöglichkeiten auf allen Gebieten, privat und öffentlich, erweitern. Dazu gehören Gottesvorstellungen, die uns in unserem Tun nicht nur bestätigen, sondern auch herausfordern. Ich halte fest an einem Gott der Fremdheit, der Irritation, des Unerwarteten und des Unverwertbaren. Um nicht selbst immer wieder das grammatikalische männliche Geschlecht dafür zu nutzen, habe ich von der «Clownin Gott» gesprochen.26 Es ist eigentlich Unsinn, denn Clowns sind sowieso schon geschlechterübergreifend, mal männlich, mal weiblich. Da sie aber immer noch häufiger von Männern gespielt werden und die androzentrische Gottesrede korrigiert werden soll, spreche ich von der Clownin. Es ist eine Metapher, die allerlei Assoziationen freisetzt. Clowns sind Figuren des Staunens und der Liebe zum Leben, weshalb sie es intensiv und in allen Facetten ausprobieren. Sie scheitern regelmässig damit, denn sie wollen die herrschenden Regeln weder lernen noch beherzigen. Doch jedes Scheitern eröffnet wieder neue kreative Möglichkeiten. Ihr Blick ist der vom Rand auf die Mitte, weshalb sie immer gut sind für eine kritische Analyse und Umgestaltung der Verhältnisse. Darin sehe ich göttliches Wirken am Werk. Freilich trifft es uns in aller unserer Bezogenheit, ohne diese |57| selbst zu einem Kriterium zu erheben. Und es ist ein Wirken, das wir selbst fortsetzen können – in clownesker menschlicher Existenz.

      Erschienen in FAMA 2/2003: «Intimität»

      Jacqueline Sonego Mettner

      Ich gehöre offenbar zu den Menschen, die Gott brauchen und die annehmen, dass Gott sie braucht. Es ist meine Kraft.

      Ich brauche Gott vor allem, um Mut und Grossmut zu lernen und um meinen Glauben an die Sternengrösse der Menschen nicht zu verlieren. Rose Ausländer schreibt davon:

      Die Menschen

      Immer sind es / die Menschen

      Du weisst es

      Ihr Herz / ist ein kleiner Stern

      der die Erde / beleuchtet27

      Rose Ausländer

      Ich weiss und erfahre – Gott sei Dank – dass es immer Menschen sind, durch die ich den Grossmut, die Weite, den Zorn und die Liebe Gottes lerne und erfahre. Gott hat keine andern Hände, Augen, Lippen, Herzen, Füsse als die unsern. Das ist oft wunderbar: Die kleinen Füsse meiner Tochter in meiner Hand, das Aufblitzen von Schalk und Leben in den Augen einer alten Frau, das Berührtwerden von Jugendlichen durch Ungerechtigkeit und der beginnende Eifer, etwas dagegen zu tun. Es sind immer Menschen und trotzdem brauche ich Gott, dem ich die Güte zutrauen kann, wenn ich sonst nur noch Verrat sehe.

      Ich brauche Gott über meine Erfahrung hinaus als einen ohnmächtig-mächtigen Grund, der trägt, wo Menschen versagen, sich versagen, wo Bosheit, Neid, Missgunst, |58| ungelebtes Leben alles versanden lässt, alles zudeckt, alles nichtig und lächerlich macht, alles zersetzt in eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Ich brauche Gott, um die Schönheit, das Bleibende, das, was gemeint war, die Würde menschlicher Bedürftigkeit vollmundig und vollmächtig behaupten zu können und ich brauche Gott, damit ich dafür nicht blind werde, sondern die Kostbarkeit, das Heitere und das Rührende des Lebens immer neu und anders sehen kann.

      Ich brauche das Aufgestörtwerden aus meiner Bequemlichkeit, meiner Einrichtung in tausend scheinbaren und wirklichen Verpflichtungen, in Ablenkungen von meinem eigenen Leben. Ich brauche Gottes Empörung und Untröstlichkeit über das Unrecht, die Lüge, die Gewalt und die Zerstörungen dieser Welt. Ich brauche seinen Schmerz über den Missbrauch ihres Namens, damit ich mich weder einlullen lasse durch ein harmloses Geschwätz von einem niedlichen, kleingehackten Gott noch mich einschüchtern lasse durch das imperiale Gerede von der «richtigen» Christlichkeit im Fürwahrhalten von dogmatischen Leerformeln wie Jesus-Christus-Gottes-Sohn-Herrscher-der-Welt-Erlöser-von-der-Sünde.

      Gott, die tröstet und getröstet werden will

      Ich vertraue darauf, dass «für Gott Sucher die wichtigsten Menschen sind» (H. D. Hüsch). Einen Christus als Imperator brauche ich nicht, aber mit Jesus lebe ich als dem Gewährsmann für Gottes Güte und Gerechtigkeit, für ihre mächtig-ohnmächtige Passion für alle und mit allen Entrechteten und Gequälten. Ich weiss, dass es immer die Menschen sind, durch die Gott wirkt. Trotzdem möchte ich Gott bitten dürfen für die Kranken, für die Sterbenden, für die Toten, für die Trauernden, für die Fremden, für die Kinder, für die Alten, für die Verlassenen und für die Aufbrechenden, für die entrechteten und gedemütigten Frauen und Männer, für die hirnverbrannten Männer und Frauen, für die geschändete Erde. Ich möchte mich in Gottes Arme werfen können auch wenn kein Mensch da ist, der hilft. Ich möchte von Gott getröstet werden und zugleich wissen, dass es Gott ist, die den Trost braucht, mindestens so sehr.

      Näfäsch – die Kehle

      Ich will Gott loben und singen. Dass das hebräische Wort für Seele näfäsch auch die Kehle bezeichnet, hat mich schon immer berührt. Im Weinen, im Schreien, in der Sprache, im Schweigen, im Gesang, im Essen und Trinken, im Hunger und im Durst geschieht für mich vielfältig Gott.

      Ich singe Gott, ihr allein zur Ehre, und finde mich dabei befreit von mir selbst, vom bedrückenden Staub der Schwermut, der sich manchmal auf die Sinne zu legen und alles zu verstopfen droht.

      Von Gott kommt keine ohne Auftrag zurück. Ich empfinde dies als wahr. Als oft ängstlicher Mensch hilft mir Gott, mich nicht zu ducken, sondern für ihr Recht zu streiten. Wunderbar ausgedrückt von Hilde Domin: |59|

      Ich will einen Streifen Papier

      so gross wie ich

      ein Meter sechzig

      darauf ein Gedicht

      das schreit

      sowie einer vorübergeht

      schreit in schwarzen Buchstaben

      das etwas Unmögliches verlangt

      Zivilcourage zum Beispiel

      diesen Mut den kein Tier hat

      Mit-Schmerz zum Beispiel

      Solidarität statt Herde

      Fremd-Worte

      heimisch zu machen im Tun

      Mensch

      Tier das Zivilcourage hat

      Mensch

      Tier das den Mit-Schmerz kennt

      Tier

      das Gedichte schreibt

      Gedicht

      das Unmögliches verlangt

      von jedem der vorbeigeht

      dringend

      unabweisbar

      als rufe es

      «Trink Coca-Cola»28

      Hilde Domin

      Kein Wort von Gott in diesem Gedicht, aber für mich ist es pure Gottesrede, Gott als das Fremd-Wort, das heimisch werden will in unserm Tun. Grossmütig, unserer Verführbarkeit eingedenk mit Schalk und hoffentlich Barmherzigkeit, aber unerbittlich, nichts Geringeres fordernd und hoffend als unsere Stern-Menschlichkeit.

      Erschienen in FAMA 1/1998: «Gott oh Gott»

       |60|