einfach unverschämt zuversichtlich. Группа авторов

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Название einfach unverschämt zuversichtlich
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290177942



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uns nichts mehr angeht, unter die Haut geht, neben uns schreit ein Sterbender und wir wenden den Kopf nicht, neben uns wird ein Kind gegen eine Mauer geschleudert und wir erschrecken nicht. Demgegenüber scheint auf jeder noch so bescheidenen Anteilnahme, jedem noch so billigen Erbarmen der Schimmer eines goldenen Zeitalters zu liegen. Wir können noch sehen, wir können noch hören, wir können noch leiden, noch lieben.11

      Marie Luise Kaschnitz

       |46|

      Ich glaube nicht an Gott. Aber ich erfahre so etwas wie eine göttliche Kraft in Momenten der Liebe und höchsten Lust, wenn die Zeit stillsteht und ich ganz ausser mir verloren bin in Dir; ich spüre sie, die göttliche Lebenskraft, im Rausch des Tanzes, wenn der Rhythmus des Lebens meinen Körper durchpulst, in den Klängen der Musik, deren Melodie in mir widerhallt; ich höre sie manchmal, diese Kraft, in der Stille, die zu mir spricht; ich sehe sie in der Unendlichkeit des Meeres, in der Weite des Himmels …

      Die Seele der Dinge

      lässt mich ahnen

      die Eigenheiten

      unendlicher Welten

      Beklommen

      such ich das Antlitz

      eines jeden Dinges

      und finde in jedem

      ein Mysterium

      Geheimnisse reden zu mir

      eine lebendige Sprache

      Ich höre das Herz des Himmels

      pochen

      in meinem Herzen.12

      Rose Ausländer

      Ich glaube nicht an Gott. Und doch ist da manchmal der verzweifelte Wunsch, es gäbe etwas, eine transzendente Macht, die alles zum Guten lenkt, uns nicht allein lässt in all dem Elend und Tod, eine Macht, die die Krankheit der Freundin wegzaubert, die Wunden der Opfer heilt, die Tränen der Trauernden abwischt, der Gewalt und dem Hass zwischen den Menschen ein Ende setzt.

      Ein Tag wird kommen, an dem die Menschen schwarzgoldene Augen haben, sie werden die Schönheit sehen, sie werden vom Schmutz befreit sein und von jeder Last, sie werden sich in die Lüfte heben, sie werden unter die Wasser gehen, sie werden ihre Schwielen und ihre Nöte vergessen. Ein Tag wird |47| kommen, sie werden frei sein, es werden alle Menschen frei sein, auch von der Freiheit, die sie gemeint haben. Es wird eine grössere Freiheit sein, sie wird über die Massen sein, sie wird für ein ganzes Leben sein …

      Ein Tag wird kommen, an dem die Menschen rotgoldene Augen und siderische Stimmen haben, an dem ihre Hände begabt sein werden für die Liebe, und die Poesie ihres Geschlechts wird wiedererschaffen sein … und ihre Hände werden begabt sein für die Güte, sie werden nach den höchsten aller Güter mit ihren schuldlosen Händen greifen, denn sie sollen nicht ewig, denn es sollen die Menschen nicht ewig, sie werden nicht ewig warten müssen …13

      Ingeborg Bachmann

      Ich glaube nicht an Gott. Aber ich glaube daran, dass «Gott» geschieht, wann immer wir das Leben und unser Menschsein heiligen, wann immer wir uns mit Achtung einander zuwenden, uns berühren lassen von der Not und den Bedürfnissen der anderen und voll Zorn das Unrecht, das ihnen angetan wird, beim Namen nennen. Ich glaube daran, dass «Gott» geschieht, wenn wir uns gegen die Normativität des Faktischen die Vision einer anderen Welt, von Schalom und einem «Leben in Fülle» für alle Menschen bewahren und sie fragmentarisch Gestalt werden lassen in unserem Leben. Deshalb bin ich bis heute Theologin geblieben.

      Ich habe keinen Respekt

      Vor dem Wort Gott

      Habe grossen Respekt

      Vor dem Wort

      Das mich erschuf

      Damit ich Gott helfe

      die Welt zu erschaffen14

      Rose Ausländer

      Erschienen in FAMA 1/1998: «Gott oh Gott»

       |48|

      Magdalene L. Frettlöh

      Kann Gott Gewichtsprobleme haben? Die Frage mag lächerlich und unsinnig erscheinen, wenn wir Gewicht in Gramm, Kilo und Zentner aufwiegen, bei der Suche nach dem Idealgewicht den Body-Mass-Index (BMI) anlegen und die Teilnahme an einer Weight-Watchers-Gruppe empfehlen. Von göttlichen Essstörungen zu sprechen, gar Gott wegen krankhaften Unter- oder Übergewichts ins Spital zu überweisen – das scheint doch eine menschlich-allzumenschliche Vorstellung von Gott zu sein und mag für einige bereits die Grenze zur Blasphemie überschreiten.

      Anders aber verhält es sich, wenn wir Gewicht nicht nur als physikalische, sondern ebenso als soziale Kategorie auffassen. Wer in diesem Sinn Gewicht hat, ist wichtig und bedeutend, angesehen und geachtet, wird geehrt und hochgeschätzt. Eine Person von Gewicht hat Würde und verdient Respekt. Sie hat Autorität und Macht, hinterlässt Eindruck und nimmt Einfluss. Ein Leichtgewicht zu sein, ist dann gerade nicht erstrebenswert.

      Gottes Gewichtsprobleme

      Hat Gewicht aber mit Beziehung und Kommunikation, mit sozialer Anerkennung und Beachtung zu tun, dann kann auch Gott sehr wohl Gewichtsprobleme bekommen, wenn nämlich Menschen Gottes Namen entehren und missbrauchen, Gottes Gebote ignorieren, wenn ihnen Gott gleichgültig geworden ist oder wenn sie Gott vor den Karren eigener Machtinteressen spannen. Und gerade dort, wo Gott selbstverständlich bedeutungsschwer und hochgeachtet zu sein scheint, nämlich in Theologie und Kirche, gibt es spezifische Gefahren der Geringschätzung Gottes. So lässt sich auch theologischer- und kirchlicherseits eine Art Trend zu Light-Produkten erkennen, die einen bedenkenlosen und ungefährlichen Genuss ohne Risiken und Nebenwirkungen verheissen: Gott ist lieb, aber nicht gewalttätig; Gott ist sanft, aber nicht zornig; Gott ist verständnisvoll und nicht eifersüchtig; Gott ist nahe und entzieht sich nicht; Gott hat Mitleid, aber ist nicht länger allmächtig; Gott segnet, doch Fluchen liegt Gott fern; Gott lässt zu, aber mischt sich nicht ein, mit einem Wort: Gott stört nicht.

      Gerade der weithin vollzogene Abschied von einem allmächtigen Gott (anstatt das Allmachtsprädikat neu zu interpretieren), der Verzicht auf die Vorstellung eines Jüngsten Gerichts (anstatt dieses als Forum der Zurechtbringung aller Geschöpfe und der Selbstrechtfertigung Gottes zu erwarten), die Schwierigkeiten, befreiend von Sünde und Sühne zu reden, der Verlust des Respekts vor der Heiligkeit Gottes – um nur einige Motive zu nennen – gehören zu jenem Trend, der nur vermeintlich ein |49| glaubwürdigeres Christentum verspricht,15 faktisch aber Gott das Ihr gebührende Gewicht nimmt.

      Gewichtsprobleme sind Beziehungsprobleme

      Auch bei Gott sind Gewichtsprobleme also Beziehungsprobleme, geht es doch bei der Frage der angemessenen Gewichtung Gottes nicht um Gott an und für sich, sondern um Gott in Beziehung, Gott in Kommunikation, dogmatisch gesprochen: Gott im Bunde mit den Menschen. Was wir traditionell Eigenschaften Gottes nennen, sind darum viel eher Beziehungsweisen Gottes, ja Massstäbe (hebr. middot) des Beziehungsverhaltens Gottes, die zeigen, wer Gott für uns ist, wie Gott uns entgegenkommt, begegnet und begleitet, und was Gott von uns erwartet. Denn Gottes Verbündelung mit uns zielt auf Gegenseitigkeit, auf unsere Bestätigung und Betätigung dieser PartnerInnenschaft. Gott sucht BündnispartnerInnen auf Augenhöhe. Und nur deshalb kann Gott auch Gewichtsprobleme bekommen. Eine Gottheit, die sich selbst genügen will, braucht keine Gewichtsschwankungen zu fürchten.

      Kavod – Schwere

      Unter den biblischen Beziehungsweisen Gottes gibt es nun eine, der buchstäblich besonderes Gewicht zukommt: Im Hebräischen heisst sie kavod. Die Grundbedeutung von kavod ist «Schwere», «Gewicht». Die intensive Form des entsprechenden Verbs (kabbed) begegnet etwa im Elterngebot. «Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!» heisst: