einfach unverschämt zuversichtlich. Группа авторов

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Название einfach unverschämt zuversichtlich
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290177942



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1/1998: «Gott oh Gott»

       |42|

      Li Hangartner

      Unausweichlich ist die Tatsache, dass es das Wort gibt, ihr können wir nicht entfliehen. Es gibt dieses Wort, auch wenn es nichts über das Gemeinte auszusagen vermag. Und solange es dieses Wort gibt, haben wir keine Ruhe. Es ruft Bilder hervor, weil es unmöglich ist, Gott jenseits von Bildern zu denken. Doch kein Bild sagt etwas aus über Gott, Gottesbilder sind Bilder von Menschen, und die Frage, wer Gott ist, verstrickt uns unweigerlich in die Frage: Und wer sind wir Menschen?

      Gott lebt in bleibender Unerkennbarkeit

      über allem menschlichen Verstehen.

      Doch das Innere des Menschen

      ist ein Spiegel von Gott,

      den wir beständig reinigen müssen.6

      Gregor von Nazianz

      Trüb und beschlagen, lässt mein Spiegel nicht einmal den Schimmer eines Ganzen erahnen. Auch noch so häufiges Putzen bringt nichts: Blind gewordnes Wort blickt mich an. Ich drehe mich um.

      Nicht Hinwegsehen

      Ich glaube nicht an Gott, den Allmächtigen, nicht an den unendlich Gütigen. In diesen Bildern liegt die Versuchung, über das, was unheil ist, hinwegzusehen. Sie nehmen die leidvollen Erfahrungen von Gewalt und Ungerechtigkeit nicht ernst, erkennen nicht, dass Folterung, Hunger und Gleichgültigkeit die Menschheit und Gott vernichten. Doch welche Aussage über Gott hält stand «in der Gegenwart verbrennender Kinder» (Elie Wiesel)?

      Ich glaube, dass Gott ist. «Gott ist die dringlichste Aufforderung, Wirklichkeit wahrzunehmen» (Dorothee Sölle), die Augen nicht zu verschliessen vor der bitteren Realität, vor Gewalt und Leiden, vor Opfern und Tätern. Auch im Moment des Hasses steckt ein Moment der Wahrheit. Gott als Aufforderung, die Wirklichkeit wahrzunehmen, heisst den bedrängenden Fragen nach Gut und Bös standzuhalten, beides ist den Menschen zurechenbar. Kein Gott nimmt mir die Last der Frage nach den Finsternissen dieser Welt. Im Gegenteil, Gott macht mir das Leben schwer. |43|

      Gott ist der Trümmerhaufen, der hinter uns zum Himmel wächst (Walter Benjamin) und den Blick verstellt aufs Paradies, der uns zwingt hinzuschauen, zwingt zu verharren, damit wir den Schmerz spüren, den Unrecht, Zerstörung, Gleichgültigkeit bewirken. Zu sagen: Gott ist, heisst, sich nicht einverstanden erklären mit dem, was ist, heisst klagen, die bittere Wahrheit beklagen, protestieren, rufen und ausrufen, zürnen, schreien. Heisst weinen. Lässt nicht der Prophet Jeremia Gott sagen: «Ich werde heimlich weinen»? Heisst das nicht, dass Gott dort ist, wo wir weinen?

      Ausgezogen aus dem Paradies

      Die jüdische Mystik kennt die Vorstellung, dass Gott aus dem Paradies ausgezogen ist und ihre Kinder im Exil begleitet. Gott hält es allein nicht aus im Paradies, hat sich gleichsam selbst vertrieben und begleitet uns auf unserem Weg, irrt und leidet mit uns. Gott ist meine Unruhe und meine Verzweiflung, meine Sehnsucht und mein Hoffen. Gott ist ein anderer Name für das schmerzliche Bewusstsein von dem, was nicht ist, die ständige und quälende Erinnerung an das, was sein könnte und doch nicht sein wird. Gott beruhigt nicht und tröstet nicht, fügt nicht zusammen, was zertrennt ist, und heilt nicht, was verwundet ist.

      Gott ist unsere Macht und unsere Lust, die Welt zu schaffen, jeden Tag neu zu schaffen. Täglich wird Gott inkarniert in unzähligen Engagements, nehmen Frauen und Männer ihre Macht wahr, damit Gott und Menschen nicht dem Tod ausgeliefert werden, sondern ins Leben auferstehen können. Gott ist die Zusage, dass Umkehr möglich ist, menschenmöglich. Und Gott ist die inständige Bitte, dass wir nochmals von vorne anfangen können, beschrieben von der Dichterin Hilde Domin:

      Abel steh auf

      es muss neu gespielt werden

      täglich muss neu gespielt werden

      täglich muss die Antwort noch vor uns sein

      …

      steh auf

      damit Kain sagt

      damit er es sagen kann

      Ich bin dein Hüter

      Bruder7

      Hilde Domin

      Erschienen in FAMA 1/1998: «Gott oh Gott»

       |44|

      Doris Strahm

      Ich glaube nicht an Gott. Ich suche nach den Spuren der Gegenwart dessen, was die Menschen seit alters her Gott genannt haben, in meiner, in unserer Lebenswelt. Ich suche nach den Spuren dessen, was der Sinnlosigkeit, dem Schmerz des menschlichen Daseins und dem abgrundtief Bösen, das Menschen einander antun, standhält. Deshalb bin ich Theologin geworden.

      Die Sprache, die einmal aufschwang, Dich zu loben

      Zieht sich zusammen, singt nicht mehr

      In unserem Essigmund

      …

      Und dennoch wirst Du fordern, dass wir Dich

      Beweisen unaufhörlich, so wie wir sind

      In diesem armen Gewande, mit diesen glanzlosen Augen

      Mit diesen Händen, die nicht mehr zu bilden verstehen

      Mit diesem Herzen ohne Trost und Traum.8

      Marie Luise Kaschnitz

      Ich glaube nicht an Gott. Doch manchmal ahne ich etwas vom göttlichen Geheimnis des Lebens, das mich umhüllt, in dem ich lebe und bin. Manchmal erfahre ich in der Begegnung mit einem Du eine Ahnung von jenem grösseren Du, das nicht dingfest gemacht und erkannt werden kann, aber in jeder echten Begegnung sich für Augenblicke enthüllt.

      Man findet Gott nicht, wenn man in der Welt bleibt, man findet Gott nicht, wenn man aus der Welt geht. Wer mit dem ganzen Wesen zu seinem Du ausgeht und alles Weltwesen ihm zuträgt, findet ihn, den man nicht suchen kann. Gewiss ist Gott «das ganz Andere»; aber er ist auch das ganz Selbe: das ganz Gegenwärtige. … Wenn du das Leben der Dinge und der Bedingtheit ergründest, kommst du an das Unauflösbare, wenn du das Leben der Dinge und der Bedingtheit bestreitest, gerätst du vor das Nichts, wenn du das Leben heiligst, begegnest du dem lebendigen Gott. 9

      Martin Buber

       |45|

      Ich glaube nicht an Gott. Aber ich sammle Texte, Geschichten, in denen der Atem des Göttlichen mich anweht: Geschichten aus der Bibel, Geschichten von heute und Gedichte, die wie Zaubersprüche manchmal Wunden heilen, Verborgenes ans Licht holen, von der Schönheit und von der Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens erzählen – und die Sehnsucht lebendig erhalten nach einer Welt, in der das Wunder trotz allem täglich geschehen kann.

      Unsere Kissen sind nass

      von den Tränen

      verstörter Träume.

      Aber wieder steigt

      aus unseren leeren

      hilflosen Händen

      die Taube auf. 10

      Hilde Domin

      Ich glaube nicht an Gott. Aber ich glaube an «das von Gott in uns», wie die Quäker sagen, an den göttlichen Funken in uns, der uns fähig macht zur Liebe, zur Zärtlichkeit, zur Freude, zur Hingabe, zum Staunen, zur Vergebung, zur Anteilnahme, zum Mitleiden.

      Was wir noch können

      Was ist, was sein wird, womöglich sein wird, und dass wir solche Dinge wahrnehmen und beklagen, Grausamkeiten noch wahrnehmen und beklagen, Ungerechtigkeiten noch wahrnehmen