Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe. Sigmund Freud

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Название Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe
Автор произведения Sigmund Freud
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788075836731



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Beispiele auf ihre jeweiligen Bedingungen zurückzuführen. Ich werde wiederum Selbstbeobachtungen hierzu verwenden, zu denen sich die Anlässe bei mir nicht besonders häufig finden.

      1 In früheren Jahren, als ich Hausbesuche bei Patienten noch häufiger machte als gegenwärtig, geschah es mir oft, dass ich, vor der Türe, an die ich klopfen oder läuten sollte, angekommen, die Schlüssel meiner eigenen Wohnung aus der Tasche zog, um – sie dann fast beschämt wieder einzustecken. Wenn ich mir zusammenstelle, bei welchen Patienten dies der Fall war, so muss ich annehmen, die Fehlhandlung – Schlüssel herausziehen anstatt zu läuten – bedeutete eine Huldigung für das Haus, wo ich in diesen Missgriff verfiel. Sie war äquivalent dem Gedanken: »Hier bin ich wie zu Hause«, denn sie trug sich nur zu, wo ich den Kranken lieb gewonnen hatte. (An meiner eigenen Wohnungstür läute ich natürlich niemals.) Die Fehlhandlung war also eine symbolische Darstellung eines doch eigentlich nicht für ernsthafte, bewusste Annahme bestimmten Gedankens, denn in der Realität weiss der Nervenarzt genau, dass der Kranke ihm nur so lange anhänglich bleibt, als er noch Vorteil von ihm erwartet, und dass er selbst nur zum Zweck der psychischen Hilfeleistung ein übermässig warmes Interesse für seine Patienten bei sich gewähren lässt.

      2 In einem bestimmten Hause, wo ich seit sechs Jahren zweimal täglich zu festgesetzten Zeiten vor einer Türe im zweiten Stock auf Einlass warte, ist es mir während dieses langen Zeitraums zweimal (mit einem kurzen Intervall) geschehen, dass ich um einen Stock höher gegangen bin, also mich » verstiegen« habe. Das eine mal befand ich mich in einem ehrgeizigen Tagtraum, der mich »höher und immer höher steigen« liess. Ich überhörte damals sogar, dass sich die fragliche Tür geöffnet hatte, als ich den Fuss auf die ersten Stufen des dritten Stockwerks setzte. Das anderemal ging ich wiederum »in Gedanken versunken« zu weit; als ich es bemerkte, umkehrte und die mich beherrschende Phantasie zu erhaschen suchte, fand ich, dass ich mich über eine (phantasierte) Kritik meiner Schriften ärgerte, in welcher mir der Vorwurf gemacht wurde, dass ich immer »zu weit ginge«, und in die ich nun den wenig respektvollen Ausdruck » verstiegen« einzusetzen hatte.

      3 Auf meinem Schreibtische liegen seit vielen Jahren neben einander ein Reflexhammer und eine Stimmgabel. Eines Tages eile ich nach Schluss der Sprechstunde fort, weil ich einen bestimmten Stadtbahnzug erreichen will, stecke bei vollem Tageslicht anstatt des Hammers die Stimmgabel in die Rocktasche und werde durch die Schwere des die Tasche herabziehenden Gegenstandes auf meinen Missgriff aufmerksam gemacht. Wer sich über so kleine Vorkommnisse Gedanken zu machen nicht gewöhnt ist, wird ohne Zweifel den Fehlgriff durch die Eile des Momentes erklären und entschuldigen. Ich habe es trotzdem vorgezogen, mir die Frage zu stellen, warum ich eigentlich die Stimmgabel anstatt des Hammers genommen. Die Eilfertigkeit hätte ebensowohl ein Motiv sein können, den Griff richtig auszuführen, um nicht Zeit mit der Korrektur zu versäumen.

      Wer hat zuletzt nach der Stimmgabel gegriffen? lautet die Frage, die sich mir da aufdrängt. Das war vor wenigen Tagen ein idiotisches Kind, bei dem ich die Aufmerksamkeit auf Sinneseindrücke prüfte, und das durch die Stimmgabel so gefesselt wurde, dass ich sie ihm nur schwer entreissen konnte. Soll das also heissen, ich sei ein Idiot? Allerdings scheint es so, denn der nächste Einfall, der sich an Hammer assoziiert, lautet » Chamer« (hebräisch: Esel).

      Was soll aber dieses Geschimpfe? Man muss hier die Situation befragen. Ich eile zu einer Konsultation in einem Ort an der Westbahnstrecke, zu einer Kranken, die nach der brieflich mitgeteilten Anamnese vor Monaten vom Balkon herabgestürzt ist und seither nicht gehen kann. Der Arzt, der mich einlädt, schreibt, er wisse trotzdem nicht, ob es sich um Rückenmarksverletzung oder um traumatische Neurose – Hysterie – handle. Das soll ich nun entscheiden. Da wäre also eine Mahnung am Platze, in der heiklen Differentialdiagnose besonders vorsichtig zu sein. Die Kollegen meinen ohnedies, man diagnostiziere viel zu leichtsinnig Hysterie, wo es sich um ernstere Dinge handle. Aber die Beschimpfung ist noch nicht gerechtfertigt! Ja, es kommt hinzu, dass die kleine Bahnstation der nämliche Ort ist, an dem ich vor Jahren einen jungen Mann gesehen, der seit einer Gemütsbewegung nicht ordentlich gehen konnte. Ich diagnostizierte damals Hysterie und nahm den Kranken später in psychische Behandlung, und dann stellte es sich heraus, dass ich freilich nicht unrichtig diagnostiziert hatte, aber auch nicht richtig. Eine ganze Anzahl der Symptome des Kranken war hysterisch gewesen, und diese schwanden auch prompt im Laufe der Behandlung. Aber hinter diesen wurde nun ein für die Therapie unantastbarer Rest sichtbar, der sich nur auf eine multiple Sklerose beziehen liess. Die den Kranken nach mir sahen, hatten es leicht, die organische Affektion zu erkennen; ich hätte kaum anders vorgehen und anders urteilen können, aber der Eindruck war doch der eines schweren Irrtums; das Versprechen der Heilung, das ich ihm gegeben hatte, war natürlich nicht zu halten. Der Missgriff nach der Stimmgabel anstatt nach dem Hammer liess sich also so in Worte übersetzen: Du Trottel, Du Esel, nimm Dich diesmal zusammen, dass du nicht wieder eine Hysterie diagnostizierst, wo eine unheilbare Krankheit vorliegt, wie bei dem armen Mann an demselben Ort vor Jahren! Und zum Glück für diese kleine Analyse, wenn auch zum Unglück für meine Stimmung, war dieser selbe Mann mit schwerer spastischer Lähmung wenige Tage vorher und einen Tag nach dem idiotischen Kind in meiner Sprechstunde gewesen.

      Man merkt, es ist diesmal die Stimme der Selbstkritik, die sich durch das Fehlgreifen vernehmlich macht. Zu solcher Verwendung als Selbstvorwurf ist der Fehlgriff ganz besonders geeignet. Der Missgriff hier will den Missgriff, den man anderswo begangen hat, darstellen.

      1 Selbstverständlich kann das Fehlgreifen auch einer ganzen Reihe anderer dunkler Absichten dienen. Hier ein erstes Beispiel: Es kommt sehr selten vor, dass ich etwas zerschlage. Ich bin nicht besonders geschickt, aber infolge der anatomischen Integrität meiner Nervmuskelapparate sind Gründe für so ungeschickte Bewegungen mit unerwünschtem Erfolg bei mir offenbar nicht gegeben. Ich weiss also kein Objekt in meinem Hause zu erinnern, dessengleichen ich je zerschlagen hätte. Ich bin durch die Enge in meinem Studierzimmer oft genötigt, in den unbequemsten Stellungen mit einer Anzahl von antiken Ton-und Steinsachen, von denen ich eine kleine Sammlung habe, zu hantieren, so dass Zuschauer die Besorgnis ausdrücken, ich würde etwas herunterschleudern und zerschlagen. Es ist aber niemals geschehen. Warum habe ich also unlängst den marmornen Deckel meines einfachen Tintengefässes zu Boden geworfen, so dass er zerbrach?

      Mein Tintenzeug besteht aus einer Platte von Untersberger Marmor, die für die Aufnahme des gläsernen Tintenfässchens ausgehöhlt ist; das Tintenfass trägt einen Deckel mit Knopf aus demselben Stein. Ein Kranz von Bronzestatuetten und Terrakotta-Figürchen ist hinter diesem Tintenzeug aufgestellt. Ich setze mich an den Tisch, um zu schreiben, mache mit der Hand, welche den Federstiel hält, eine merkwürdig ungeschickte, ausfahrende Bewegung und werfe so den Deckel des Tintenfasses, der bereits auf dem Tische lag, zu Boden. Die Erklärung ist nicht schwer zu finden. Einige Stunden vorher war meine Schwester im Zimmer gewesen, um sich einige neue Erwerbungen anzusehen. Sie fand sie sehr schön und äusserte dann: ›Jetzt sieht Dein Schreibtisch wirklich hübsch aus, nur das Tintenzeug passt nicht dazu. Du musst ein schöneres haben.‹ Ich begleitete die Schwester hinaus und kam erst nach Stunden zurück. Dann aber habe ich, wie es scheint, an dem verurteilten Tintenzeug die Exekution vollzogen. Schloss ich etwa aus den Worten der Schwester, dass sie sich vorgenommen habe, mich zur nächsten festlichen Gelegenheit mit einem schöneren Tintenzeug zu beschenken, und zerschlug das unschöne alte, um sie zur Verwirklichung ihrer angedeuteten Absicht zu nötigen? Wenn dem so ist, so war meine schleudernde Bewegung nur scheinbar ungeschickt; in Wirklichkeit war sie höchst geschickt und zielbewusst und verstand es, allen wertvolleren in der Nähe befindlichen Objekten schonend auszuweichen.

      Ich glaube wirklich, dass man diese Beurteilung für eine ganze Reihe von anscheinend zufällig ungeschickten Bewegungen annehmen muss. Es ist richtig, dass diese etwas Gewaltsames, Schleuderndes, wie Spastisch-ataktisches zur Schau tragen, aber sie erweisen sich als von einer Intention beherrscht und treffen ihr Ziel mit einer Sicherheit, die man den bewusst willkürlichen Bewegungen nicht allgemein nachrühmen kann. Beide Charaktere, die Gewaltsamkeit wie die Treffsicherheit, haben sie übrigens mit den motorischen Äusserungen der hysterischen Neurose und zum Teil auch mit den motorischen Leistungen des Somnambulismus gemeinsam, was wohl hier wie dort auf die nämliche unbekannte Modifikation des Innervationsvorganges hinweist.

      Das Fallenlassen von Objekten, Umwerfen, Zerschlagen derselben scheint sehr häufig