»Deine Eltern sind weise!«
»Wenn du das nächste Mal auf den Hof kommst, stelle ich sie dir vor – wenn du Freude daran hast, sie kennenzulernen?«
»Doch das kann etwas dauern. Ich will zuerst einige Tage zu Anna auf die Berghütte.«
Joschka schaute Rosi an.
»Du willst Bunny mitnehmen? Das ist sehr beschwerlich. Dort oben gibt es kein Gras. Vor der Berghütte dehnt sich ein Geröllfeld aus. Da fühlt sich dein Bunny bestimmt nicht glücklich. Darf ich dir einen Vorschlag machen?« Ohne Rosis Antwort abzuwarten, sagte Joschka: »Ich nehme deinen Bunny in Pflege! Du kannst sicher sein, daß er es gut bei mir hat.«
»Das wäre eine Idee!« sagte Rosi leise.
»Mußt dir wirklich keine Gedanken um Bunny machen! Ich würde sehr gut für ihn sorgen.«
Rosi mußte einen Augenblick überlegen.
»Gut, dann bin ich einverstanden! Danke für deinen Vorschlag. Kann ich dann Bunny morgen früh bringen?«
»Ja, das kannst du! Ich kann ihn auch heute abend schon holen. Dann verlierst du morgen früh keine Zeit.«
Rosi blinzelte Joschka an. Die Abendsonne schien ihr ins Gesicht.
Sie überlegte.
»Die Entscheidung liegt bei dir! Du mußt wissen, ob du ihn mir anvertrauen willst?«
»Joschka!« Rosi sprach seinen Namen zum ersten Mal aus. »Ich vertraue dir.«
»Danke! Ich werde dich nicht enttäuschen! Nicht in bezug auf die Betreuung von deinem Bunny und auch nicht in irgendeiner anderen Art. Des mußt mir glauben!«
Sie sahen sich an. Rosi errötete, und auch Joschkas Wangen färbten sich rot. Ihre Herzen klopften. Doch keiner der beiden konnte oder wollte jetzt schon einen weiteren Schritt tun.
»Ja, dann sollten wir zurückgehen! Ich bringe dich zu den Schöllers und nehme Bunny mit. Sollte er keine ruhige Nacht haben, dann gebe ich dir gleich morgen früh Nachricht!«
»Das ist ein guter Vorschlag! Kaninchen können sehr sensibel sein. Es war alles etwas turbulent für Bunny. Erst der Umzug von daheim in Stefans Wohnung, dann die Fahrt nach Waldkogel, danach der Aufenthalt bei den Schöllers und jetzt kommt Bunny zu dir.«
»Keine Sorge! Außerdem kommt morgen Beate und schaut nach unseren Lämmern. Sie kann dann auch nach Bunny sehen.«
»Ja, das wäre fein. Dann gehen wir! Hier, dein Hut!«
Sie gingen langsam nebeneinander her. Dabei kam es einige Male vor, daß sich ihre Hände berührten. Aber keiner der beiden verfügte über den Mut, die Hand des anderen zu ergreifen. Dabei waren sich ihre Herzen schon nah.
Die Sonne stand schon sehr tief, als sie zu den Schöllers kamen. Die beiden waren nicht zu sehen. Rosi ging hinauf in ihr Zimmer und holte den Hasenstall mit Bunny. Es wurde ein längerer Abschied, nicht nur, weil Rosi Joschka immer und immer noch etwas über Bunny sagen wollte. Joschka erzählte auch von den Tieren, die er schon als Kind ganz alleine versorgen durfte, dazu gehörten auch Hasen.
»Tat es dir nicht weh, als sie getötet wurden und das Fell über die Ohren gezogen bekamen?«
»Mein erster Hase war grau, wie Bunny! Er starb an Altersschwäche!«
Rosi lächelte Joschka an.
»Glaube nicht, ich weiß nicht, daß Viehhaltung auf einem Hof zum Erwerb gehört.«
Joschka seufzte.
»Das ist nun einmal so. Aber das gilt bei uns auf dem Unterbühler Hof nicht für alle Tiere. Wir haben Kühe, Ziegen, Schafe, Schweine, Hühner, Gänse und Hasen. Einige davon, die werden niemals beim Schlachter landen. Zu denen habe ich ein besonderes Verhältnis. Die werden erst erlöst, wenn sie alt sind und leiden.«
»Das ist schön! Dann nochmals vielen Dank, Joschka!«
»Gute Nacht, Rosi!«
Er streckte ihr seine Hand hin. Rosi ergriff sie. Sie fühlte sich groß und fest an und war doch gleichzeitig so sanft. Sie hielten sich einen Augenblick länger an den Händen und schauten sich in die Augen. Joschka lächelte Rosi an. Sie sah die Zuneigung in seinen Augen. Ihr Herz klopfte. Langsam zog sie ihre Hand zurück.
»Gute Nacht, Joschka!«
Immer noch schaute er sie an.
Dann flüsterte er leise:
»Dein Bunny kommt nicht in den Hasenstall. Ich nehme ihn heute abend mit zu mir in mein Zimmer!«
Rosi brachte bei so viel Verständnis kein Wort heraus. Sie nickte nur. Sie drehte sich um und winkte ihm an der Haustür noch einmal zu. Dann ging sie hinein.
Joschka wartete noch einen Augenblick. Durch die Scheiben in der Haustür konnte er sehen, wie das Licht im Treppenhaus erlosch. Dann sah er Licht unter dem Dach. Rosi kam noch einmal zum Fenster und winkte ihm zu. Joschka nahm seinen Hut vom Kopf und schwenkte ihn in der Luft. Dann schlug er den Weg über die Wiesen ein, der ihn auf dem kürzesten Weg zum Unterbühler Hof brachte.
*
Stefan war nur noch ein Schatten seiner selbst. Er bereute seine Unbeherrschtheit zutiefst. Dazu mußte er sich die Vorwürfe seiner Eltern und Freunde anhören. Sie fanden alle, daß er sein Glück mit Füßen getreten hatte, obwohl sie Rosis Reaktion auch für sehr übertrieben hielten. Doch das half Stefan nicht weiter.
Bei jedem Geräusch im Treppenhaus raste er zur Wohnungstür, immer in der Hoffnung, Rosi käme zurück. Doch es war jedesmal vergeblich, und Stefan versank nur noch mehr in seinem Kummer. So vergingen die Tage.
Eines Abends, es war am vierten Tag nach Rosis Verschwinden, stand ihre Schwester Maggy vor seiner Tür. Sie grüßte nur kurz und stürmte dann in die Wohnung.
»O Gott, wie sieht es denn hier aus!«
Stefan entschuldigte sich nicht für die Unordnung in der Küche und den anderen Räumen. Er selbst sah unrasiert aus. Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren ein Zeichen der schlaflosen Nächte.
»Was ist? Hast du etwas von Rosi gehört?« fragte Stefan mit gebrochener Stimme.
»Von Rosi direkt nicht. Aber ich habe hier etwas, was dich vielleicht interessieren könnte! Ich habe mich auch schon erkundigt und habe intensive Nachforschungen angestellt!«
Maggy holte aus ihrer Handtasche einen amtlich aussehenden Briefumschlag.
»Hier! Rosi ist geblitzt worden! Es war schon Rot, als sie über die Kreuzung in Kirchwalden fuhr!«
Maggy reichte Stefan die Unterlagen. Während er den Bußgeldbescheid las und sich das Bild ansah, ging Maggy in die Küche. Sie zog ihre Jacke aus und fing an, Ordnung zu machen. Stefan kam ihr nach und lehnte sich gegen den Rahmen der Küchentür.
»Dann muß sie in der Gegend von Kirchwalden sein! Sie war jedenfalls am ersten Tag dort, am Tag ihres Verschwindens!«
»Richtig! Denken kannst du also noch, Stefan. Hör zu! Ich habe die Stelle da angerufen und ihnen eine wirklich tränendrückende Geschichte erzählt – von dir – von dem Kaninchen und so weiter – von deiner Reue und von der großen Verzweiflung. Jedenfalls hat es gewirkt.«
Maggy trat neben Stefan.
»Diese Straße führt nach Waldkogel. Das ist ein kleines Dorf am Ende einer Landstraße. Verstehst du?«
Stefan schaute Maggy mit großen Augen an. Seine Gedanken sprudelten nur so.
»Das könnte bedeuten, daß Rosi in