Название | Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit? |
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Автор произведения | Mirjam Mous |
Жанр | Учебная литература |
Серия | Data Leaks |
Издательство | Учебная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783401809236 |
»Schlafen?« Ich versuche, es wie einen Scherz klingen zu lassen. »Während du mich hier zutextest?«
Sie kichert nachsichtig. »Rufst du mich, wenn du etwas brauchst?«
»Ja-ha.«
Sobald sich die Tür hinter ihr zugeschoben hat, streife ich die Decke ab. Mit der Motorik eines steifen alten Mannes hebe ich die Beine aus dem Bett.
Wo soll ich die Dosen verstecken?
Ich stelle sie vor mir auf den Boden – alle drei nebeneinander – und bleibe vorgebeugt auf der Bettkante sitzen, während ich meinen Zeigefinger über die Deckel gleiten lasse. Bohnen, Tomatensuppe und Sardellen. Ob sie wohl auch ein solches Geschmackserlebnis bringen wie die Ananasscheiben?
»Hey«, sagt Prissy.
Ich habe nicht gehört, dass die Tür aufging, und erschrecke fast zu Tode.
»Kannst du nicht anklopfen?«, schnauze ich sie an und schiebe die Dosen blitzschnell unters Bett.
»Was hast du da?«, fragt sie.
Ich versuche, die Konserven mit den Füßen und Unterschenkeln abzuschirmen. »Nichts.« Aus den Augenwinkeln überprüfe ich meine Bettdecke. Der Beutel ist noch immer so gut wie verborgen.
»Und ob da was ist.«
»Musst du keine Camfies liken?«, sage ich. »Oder mit deinen Freundinnen chatten?«
»Komm schon, Holden.« Prissy plumpst vor mir auf den Boden und wackelt mit den Zehen.
Die sehen aus, als wäre ein ganzes Regal voller Birnenkonserven draufgefallen, aber das liegt am blauen Nagellack.
»Du wolltest mir erzählen, was in dem Beutel ist«, sagt sie. »Versprochen ist versprochen.«
»Weil du mich erpresst hast. Das zählt nicht.«
Sie schnalzt verärgert mit der Zunge, beugt sich plötzlich zur Seite und langt mit einem Arm unter mein Bett. Ich fasse sie am Kragen ihrer Bluse und will sie daran hindern, aber sie hat schon eine Dose erwischt und hält sie triumphierend in die Höhe.
»Wow.« Sie studiert das Etikett. »Ist das, was ich glaube, das es ist?«
»Untersteh dich, es auszuposaunen«, sage ich eindringlich. »Ich habe keine Lust auf Genöle.«
»Natürlich nicht. Ich bin keine Petze.« Prissy stellt die Dose wieder ab. »Wie bist du da drangekommen?«
»Gefunden.«
»Ja, klar.« Sie platzt fast vor Neugierde. »Aber wo?«
»Sag ich nicht.«
Sie äfft meine Worte mit Kleinkinderstimme nach und legt sich rücklings auf den Boden – mit einem tiefen Seufzer, der sich auf halber Strecke in einen Jauchzer verwandelt, als sie die beiden anderen Konserven unter meinem Bett entdeckt.
»Du hast ja noch mehr davon!« Sie rollt sie zu sich hin. »Himmel, Holden, wenn du die verkaufst … Wie viel sind sie wohl wert?«
»Ich behalte sie«, sage ich.
Ihre blauen Augen weiten sich. »Du hast doch wohl nicht vor, das Zeug zu essen? Willst du dich umbringen, oder was?«
»Sehe ich vielleicht aus wie eine Leiche?«
Sie schnappt nach Luft. »Du hast es schon getan? Du hast echte Lebensmittel probiert?«
Wie sie mich anschaut! Als wäre ich vollkommen irre, aber auch irgendwie ein Held – und dann kann ich die Geschichte plötzlich nicht mehr für mich behalten. Ich erzähle Prissy alles über den Hirsch und das Camfie, den Schutzkeller in der Höhle, den Tunnel, den ich gefunden habe, und wie ich über eine Luke in einer Hausruine wieder rauskam.
»Und wo war das?«, fragt sie ein bisschen zu gierig.
Horrorvorstellung: Prissy mit ihren grässlichen Freundinnen auf Raubzug in meinem Keller.
Obwohl ich nicht wirklich glaube, dass sie sich das trauen würden, ist mein schwacher Moment augenblicklich vorbei.
»Irgendwo in diesem gigantischen Naturschutzgebiet außerhalb der Stadt«, lautet meine vage Antwort. »Ich habe nicht so genau darauf geachtet. Ich war nur damit beschäftigt, am Leben zu bleiben.«
»Warum hast du nicht die Notfalltaste an deinem ID-Bändchen gedrückt?«
»Einfach so.«
»Du hast den Tracker rausnehmen lassen? Ist nicht dein Ernst!«
»Halt die Klappe, Pris!«, zische ich.
»Dann mach auch nicht so blöde Sachen.« Sie gibt mir einen Klaps aufs Knie und steht auf. »Und jetzt werde ich Mama überreden. Solange sie noch in Jubellaune ist wegen deiner Rückkehr …«
Mir tut es schon längst leid, dass ich den Mund nicht habe halten können. »Du sagst nichts, ja?«
»Nei-hein.«
Ich warte, bis sich die Tür hinter ihr schließt. Hastig wickele ich die Konserven in einen Pullover und lege ihn hinter einen Stapel anderer Pullis in meinen Schrank. Dann ziehe ich den Beutel unter der Bettdecke hervor, in dem nur noch die Fackeln stecken.
Sobald ich mir die Verpackung genauer anschaue, macht mein Herz einen Satz. Das sind überhaupt keine Fackeln. Das hier ist unendlich viel besser, um nicht zu sagen: geradezu episch!
Ich tanze mit meinem Fund durchs Zimmer. Ein paar Schritte nur, dann protestieren meine Knöchel.
Morgen, denke ich. Morgen werde ich sie testen. Auf dem großen Platz, denn da ist immer richtig was los. Und alle werden ihre aufgepimpten Augen voller Kunstwimpern, Farblinsen und Schminke vor lauter Schreck weit aufreißen!
Prissy
Ein flammend rotes Minikleid mit einem goldfarbenen Herzen auf der Vorderseite. Gestreifte Strümpfe bis über die Knie und ein niedliches herzförmiges Krönchen.
Ich bin sofort verliebt.
»Schau mal, wie unglaublich schön, Mam.« Ich lege mein Homepad vor sie.
Das Showmodel auf dem Monitor dreht sich, damit man sie von allen Seiten bewundern kann.
»Hm.« Mama will sich wieder in ihr Sudoku vertiefen.
»Wenn wir es jetzt bestellen, bekomme ich es noch rechtzeitig«, sage ich schnell.
»Aber, Liebes …« Sie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »… du hast schon ein Kostüm.«
»Das kann ich aber nicht anziehen. Laut Reese sind weiße Eisköniginnenkleider völlig out.«
»Sie hat leicht reden«, sagt Mama. »Aber wer darf das wieder bezahlen?«
Ich habe große Lust, gegen das Sofa zu treten. »Warum bist du bloß immer so knauserig?«
»Warte nur, bis du später selbst …« Mama hört auf zu reden. »Hat das vielleicht was mit diesem Jungen zu tun?«
»Welchem Jungen?« Ich spüre förmlich, dass sich meine Blutgefäße weiten. So nervig.
»Den ich am Camphone hatte.« Sie lacht gutmütig. »Er soll dich als Mensch mögen, Liebes. Nicht wegen der Sachen, die du trägst.«
Er ist ein unheimlicher Stalker, würde ich ihr am liebsten ins Gesicht brüllen. Ich traue mich nicht. Nachher will sie noch, dass ich an Happy Day zu Hause bleibe.
»Du kapierst es echt nicht«, sage ich.
Mama seufzt. »Es ist ja nicht so, dass ich dir das Kleid nicht gönnen würde, das verstehst du doch, oder?«
Das Showmodel auf meinem Homepad dreht immer noch seine Runden. Ich muss an die Ballerina in meinem Schmuckkästchen denken – mein letztes Geburtstagsgeschenk von damals, als Papa noch