Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.. Gerstäcker Friedrich

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Название Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Книги о Путешествиях
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Издательство Книги о Путешествиях
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am Boden gespielt, erschreckt in die Höhe fuhr und einen leisen Schrei ausstieß. Bruder Ezra drehte sich rasch danach um und das Kind kaum am Boden erblickend, warf er, mit Mißachtung jedes Unfalls, den Hut von sich auf die Erde, fiel neben dem noch immer furchtsam zu ihm emporschauenden Kinde auf die Knie nieder und rief mit, vor innerer Rührung fast erstickter aber auch jubelnder, jauchzender Stimme:

      »Iti iti Pudenia, iti iti aiu, potii.«2

      Und die Kleine, die ihn erst staunend betrachtet hatte, streckte die Händchen nach ihm aus und lachte ihm entgegen, und der gute kleine Mitonare griff sie auf, nahm sie auf den Arm und sprang jauchzend mit ihr im Zimmer umher, bis ihn das hinten wie wüthend über solches Betragen schlenkernde Buch zum Einhalten zwang, so sehr sie sich Beide darüber freuten. Jetzt hatte er aber auch, mit dem Kind, Alles vergessen, was ihn bis dahin gedrückt oder weh gethan, und das Mädchen nur herzend, das sich wunderbarer Weise Alles von ihm gefallen ließ, was er mit ihr vornehmen mochte, als ob es gewußt hätte daß ihr von dem Manne sicher nichts Uebeles drohe, plauderte er mit ihr das tollste wildeste Zeug, nannte sie bei allen Schmeichelnamen und fing endlich sogar an mit ihr in seinem gebrochenen Englisch, von dem er aber in den letzten Jahren noch viel mehr vergessen als dazu gelernt hatte, zu schwatzen und lachen und Geschichten zu erzählen aus Bibel und Heidenzeit, von Meer und Land, wie es ihm durch den Sinn zuckte, dem lieben lächelnden Kind gegenüber. Und Sadie stand daneben, die linke Hand auf den Tisch gestützt und mit der rechten in den Locken des Kindes spielend und seinen Scheitel streichend, während die kleine Sadie jauchzte und lachte über den neuen wunderlichen Spielgefährten, ihre Aermchen um seinen Nacken legte und ihn an den steifen Hemdkragen und Halstuchspitzen zupfte. Und Mitonare ließ sich das Alles ruhig gefallen, und hatte tausend und tausend Fragen und Liebkosungen für das Kind.

      »Und wie lange bleibst Du auf Tahiti, Mitonare?« sagte da Sadie – »hast Du auch Atiu verlassen, und willst nicht wieder zurückkehren nach dem lieben Land?«

      Da wurde der kleine Mann plötzlich ernsthaft, setzte das Kind, das ihn noch gar nicht lassen wollte nieder auf den Boden und sagte, recht herzhaft mit dem Kopfe schüttelnd und einen scheuen Blick nach der Thür werfend:

      »Wär' es auf mich angekommen, hätt' ich die Insel nicht verlassen mein Lebelang, außer Dich hier, Pudenia, vielleicht einmal wieder aufzusuchen und – wenn es anging, zurückzuholen zu Deinen alten Lieblingsstellen; aber es ist jetzt eine schlimme Zeit – die Leute sind irre geworden an ihrem Gott und mit Gewalt wollen sie die Liebe bringen, und mit Blut den Glauben begießen, daß er wachse und gedeihe.«

      »Aber ich verstehe Dich nicht« sagte Sadie.

      »Sie haben was vor hier auf Tahiti!« fuhr der Bruder Ezra leise fort, als ob er sich fürchte irgend ein Geheimniß zu verrathen, »was es ist, weiß ich noch nicht, aber die Bibelstellen die Vater Rowe gepredigt riechen nach Blut. Die Beretanis haben Kriegsschiffe hier, wie ich sehe, aber die Wi-Wis sind auch nicht müßig, und vorgestern waren zwei große Schiffe auf Atiu in Sicht, von denen Raiteo behauptet, daß sie den Feranis gehörten und viel Kanonen an Bord hätten mit Pulver und schweren Kugeln.«

      »Und was können unbewaffnete Menschen dagegen thun?« frug Sadie wehmüthig mit dem Kopfe schüttelnd.

      »Unbewaffnete, Nichts« erwiederte Bruder Ezra rasch, »aber Bewaffnete desto mehr; Bibeln waren nicht in den Kisten, die sie vom Bord desselben Wallfischfängers, der jetzt, wenn mich nicht Alles täuscht, hier im Hafen liegt, in Atiu an Bord und zu sicheren Verstecken in die Berge schafften.«

      »Die Missionaire werden nie die Hand reichen zu Gewalt und Blutvergießen« rief Sadie.

      »Wenn ich 'was nicht sehen mag, dreh' ich den Kopf weg,« sagte der Mitonare trocken – »es giebt Leute genug überall, die, einen Dollar zu verdienen, leicht ein schlechtes Werk thun, wie viel eher denn nicht ein gutes – ihre Landsleute mit Waffen zu versehen, daß sie sich selbst beschützen können.«

      »Du nanntest erst Raiteo, Mitonare?« frug Sadie – »wie geht es ihm und was treibt er jetzt – ist er ein besserer Mensch geworden?« —

      »Was er in diesem Augenblicke treibt weiß ich wahrlich nicht«, sagte der kleine Mann finster, »aber als ich kam stand er draußen auf Posten, und ging dann mit dem ehrwürdigen Bruder Rowe in die Stadt zurück; – ist nicht das erste Mal daß sie in einem Joche ziehn.«

      »Raiteo hier auf Tahiti?« rief Sadie erstaunt.

      »Raiteo Mitonare« erwiederte Bruder Ezra trocken.

      »Mitonare? – Raiteo? der seinen Vater verrathen würde um ein Stück Kattun zu verdienen oder ein Stück Geld?«

      »Raiteo Mitonare« bestätigte aber auf das Bestimmteste der kleine Mann und setzte, langsam dabei mit dem Kopfe nickend hinzu – »Menschen sind einmal bös, und dann wieder gut – Raiteo hat seine Sünden eingesehen und ist frommer Mann geworden – aber trägt noch keine Hosen« fügte er, trotz aller Unbequemlichkeit, doch mit einem gewissen Grad von Eifersucht hinzu; »hat noch sein Lendentuch und seine nackten Beine und bloßen Kopf – und nur am Sabbath in der Kirche einen Frack – kann nicht gut ohne Frack in die Kirche kommen.«

      »Raiteo Mitonare« wiederholte aber wiederum Sadie, die sich noch immer nicht von ihrem Erstaunen erholen konnte – »und das auf Atiu – wo sie ihn kennen.«

      Bruder Ezra verneinte das aber. Auf Atiu eigentlich nicht, der Wahrheit die Ehre zu geben, denn wenn auch sein frommer christlicher Sinn dort gerade bei ihm zum Durchbruch gekommen, habe doch auch Manches wieder, gerade in der Erinnerung der Bewohner der Insel, gegen ihn gesprochen und Bruder Rowe, der sich von seiner wirklichen Sinnesänderung überzeugt, hätte ihn eben nur mitgenommen, um ihn vielleicht mit bei der, in den nächsten Tagen zu haltenden Versammlung von »Kirchenältesten« zu wissen und dann auf irgend eine der Nachbarinseln, auf denen er nicht gerade persönlich bekannt sei, zu versetzen.

      Sadie blickte erstaunt auf den kleinen Mann, denn eine wunderbare Veränderung war jedenfalls in dessen ganzem inneren Wesen vorgegangen. Er, der noch vor wenigen Jahren jedem Wort von den Lippen der Missionaire in frommer, furchtsamer Scheu gelauscht, und weit eher an seiner eigenen Existenz, als an der Wahrheit ihrer Sätze und Glaubensformeln gezweifelt hätte, sprach jetzt, selbst von dem strengsten ihrer Schaar, gleichgültig; ja Sadie konnte sich über den Ausdruck in seinen Zügen und Worten nicht länger täuschen, fast ironisch, und das bittere Lächeln das um seine Lippen spielte mochte der Furcht noch den Platz gönnen, aber strafte die Ehrfurcht Lügen.

      Bruder Ezra schaute noch eine Zeit lang gerade vor sich nieder, er fühlte daß Sadiens Blick auf ihm haftete – daß sie die Veränderung entdeckt die in ihm vorgegangen, und scheute sich auch gerade ihr vielleicht das zu gestehen, was in ihm arbeitete – was ihm den Schlaf raubte und den Frieden und ihn manchmal wie eine furchtbare Sünde drückte und doch auch wieder mit jedem Tage, in seiner nächsten Umgebung selbst, die neue Nahrung fand. Als er aber einmal scheu und flüchtig den Blick zu ihr aufschlug, und die zärtliche, liebende Angst sah die aus diesen treuen Augen leuchtete, da mochte es ihm wohl durch das Herz zucken, daß sie – seine Pu-de-ni-a, sein liebes liebes Kind das er gehegt und gepflegt und wie einen Augapfel gewahrt – ja das zu ihm bis jetzt mehr wie zu einem zweiten Vater als einem Freunde aufgesehen, Schlimmes – Schlimmeres von ihm denken könne als er ertragen mochte, und in der Furcht die Hand bittend gegen sie ausstreckend sagte er leise:

      »Mitonare ist kein böser Mensch geworden, Pu-de-ni-a; er liebt seinen Gott und – thut auch – thut Alles was in der Bibel steht aber – andere Männer, Männer die auch sagten daß sie der liebe Gott geschickt – sind zu ihm gekommen und haben ihm, wo er in Verzweiflung war, Trost gebracht – wo er weinte, seine Thränen getrocknet, wo er unschlüssig stand, einen neuen Pfad gezeigt und – wenn er sich auch bis jetzt noch nicht getraute den neuen Pfad zu wandeln – hat er doch bis jetzt – «

      Er stockte, als ob er sich nicht mehr getraue weiter zu reden, und Sadie fuhr langsam und traurig seine Hand ergreifend fort:

      »Den alten Pfad seiner Religion verlassen und nur die äußere Form beibehalten, seinen Gott damit zu täuschen.«

      »Aita Pudenia, aita« – rief aber der kleine Mann da rasch und ängstlich vielleicht, weil er die



<p>2</p>

Kleine kleine Pudenia, kleines, kleines Herzchen, mein kleines Mädchen.