Название | Parcours d`amour |
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Автор произведения | Jacques Varicourt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847605072 |
Die Familie
Die eigene Familie hier auch nur zu erwähnen, bringt mich höchstwahrscheinlich um mein Erbe. Aber, wenn ich sowieso schon enterbt bin, mütterlichseits, wie es mir mein Vater im „Voraus“ prophezeit hat, bzw. er es vielleicht auch nur vermutete, er es mir so Stück für Stück beibringen wollte letztes Jahr: Dann scheiße ich natürlich auf alles, natürlich nicht auf meinen Pflichtanspruch, denn der steht mir ja zu. Jener Anspruch ist irgendwann einmal, gesetzlich, Gott sei Dank, so festgelegt worden. Egal wie viel es dann auch sein wird, man nimmt, was man kriegt, und „nicht“ das, was man „verdient“, ich meine damit die Betrachtungsweise aus der Sicht der anderen, die ja immer im Rechten sind, weil sie alles besser wissen, jedenfalls glauben sie das. Welche Familie unterscheidet sich da schon? - Es war im Sommer 1979 als mein Vater, Jürgen Stobbe sen., gegen Mittag, vorzeitig von der Arbeit nach Hause kam, und meine Mutter „Eva“ und deren beste Freundin „Doris“, nur mit einen hauchdünnen Höschen bekleidet, engumschlungen, tanzend, der realen Welt weit entrückt, alles um sich herum vergessend, antraf. Beide hatten gerade einige zärtliche Berührungen, ein paar Liebkosungen der Brüste, ein paar intime Küsse auf die Innenseiten ihrer Oberschenkel ausgetauscht. Nebenbei allerdings Gardinen aufgehängt, sowie dem gut gekühlten Sekt zugesprochen. Sie waren in bester Laune gewesen, bis mein Vater, das Wohnzimmer, vor ohrenbetäubender Discomusik dröhnend, sehr langsam und sehr neugierig betrat, denn er hatte mich, seinen Sohn, mit meiner Freundin erwartet, und nicht seine Ehefrau in den Armen einer „anderen“. Daraufhin, nach dieser Fehlerwartung, platzte meinem Vater der Kragen. „Was ist das denn?“ Hörte man ihn sagen. Doch diese Frage war nur der Anfang vom Ende einer langen, nicht immer leichten Beziehung. Unerträgliches Geschrei auf beiden Seiten entstand. „Mon Papa“ übertönte in seiner sprachlichen Gewalt, in seinem aufflammenden Hass, in seiner Frustration sogar die stampfende Discomusik der schwedischen Popgruppe „ABBA“. Papa war außer sich, kaum noch zu verstehen, so leidenschaftlich, so inbrünstig, so irre, überschlug sich seine, vom Alkohol geformte, tiefe, bisweilen weinerliche, ja sogar bis ins „Animalische“ unerhört laut klingende Stimme. Er war geschockt, zu tiefst getroffen - er war fertig mit der Welt. Dann jedoch, nach einem durchaus plausiblen, logischen, ernsthaften und sachlichen Streitgespräch, welches die drei sichtlich erregt führten - Argumente verschiedener Ursprünge prallten aufeinander-, glätteten sich die aufgeschäumten Wogen wieder. Selbst die streitsüchtige Doris beruhigte sich so nach und nach, denn auch sie war verheiratet. Auch sie hatte somit etwas zu verlieren, in der noch nicht ganz so toleranten Gesellschaft der siebziger Jahre. Doch mein Vater, in diesem Moment einen Ehrenmann, versprach zu schweigen, „zu niemanden ein Wort,“ hieß die Vereinbarung. Alle Beteiligten schworen ihren ganz persönlichen Eid... So also hielt der Alltag, erneut wieder Einzug, in unsere kleine Familie, in Neuwiedenthal, im Wiedauweg, unserer Straße, Nr. 6. Vater und Mutter einigten sich, nicht zuletzt meinetwegen. Man gewährte sich, nach einem sehr langen weiteren Gespräch, ohne Doris, als ich schon schlief, sexuelle Freiheiten. Mutter hatte weiterhin ihre jungen Freundinnen, Vater bevorzugte, wenn er auf Montage war, „Frisches“ von der Seitenstraße. Junge Mädchen, ein wenig verrucht, ein wenig drogenabhängig, ein wenig anlehnungsbedürftig, und zum Sex allzeit bereit, gegen Bezahlung, das war sein Ding. Hier fand er, als Mann, die Bestätigung, die ihm meine Mutter versagte. Eva (meine sonderbare Mutter) wollte nämlich ihre Bisexualität, häufig sehr exzessiv, sehr aggressiv und sehr intensiv ausleben. Sie suchte überall ihre Gespielinnen, im Wohnhaus, im Wohnblock gegenüber, auf der Arbeit; z. B. bei Reynolds Aluminium, auf irgendwelchen Stadtteilfesten, in der Jazztanzgruppe, in Schwimmbädern, auf Kuren, im Urlaub, ja sogar in der eigenen Familie, sie war sexsüchtig. Mutti hatte sich außerdem, in der Vergangenheit, an meine Tante: „Ruth Stobbe“ rangeschmissen, stieß allerdings bei ihr auf ein totales Unverständnis, angewidert, verärgert und irritiert, wies Ruth sie zurück in ihre lüsternen Schranken. Bei Irmgard, auch eine Tante von mir, der Ehefrau von ihrem Bruder Manfred, hatte sie mehr Erfolg. Es kam zwar nicht zum Geschlechtsakt, aber sie fand bei Irmgard, in Zeiten des Kummers, fürsorgliche Hilfe sowie Beistand. Irmgard und Mutti führten ein Verhältnis wie eine „ältere und jüngere Schwester“ - bei der Mutti, die dominierende Rolle gerne für sich in Anspruch nahm.