Weltschmerz und Wahnsinn. Magdalena Ungersbäck

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Название Weltschmerz und Wahnsinn
Автор произведения Magdalena Ungersbäck
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991077695



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heirateten, sie zog zu mir auf die Farm, wir bekamen drei Söhne, gewannen Rodeo-Wettbewerbe und waren glücklich. Mit den Pferden, Rindern und Kindern. Sie war keine typische Farmerin. Sie hatte lange blonde Haare, war herzlich und entspannt, wollte immer im Mittelpunkt stehen. Sie war eitel, fast edel, und trotzdem liebte sie das Leben hier. Sie blieb immer sie selbst und passte sich trotzdem an. Sie arbeitete hart, packte überall mit an und gleichzeitig führte sie jede Bewegung mit einer derartigen Eleganz aus, wie man sie nur von Filmstars kannte. Sie war ein Wunder. Dass sie sich für mich entschieden hatte, war ein Wunder. Unser wunschlos glückliches Leben war ein Wunder. Zu schön, um wahr zu sein. Benjamin kam zuerst zur Welt. Er war unser ganzer Stolz. Später wurde er ein starker, mutiger Junge mit dem nötigen Ehrgeiz, hart zu schuften. Wir lernten Benny Westernreiten und auch Rodeo. Er war ein kleines Talent. Doch es stellte sich schnell heraus, dass er wohl für etwas Größeres, als Farmer zu sein, geboren war. Er war körperlich kräftig. Aber den Mut, die Geschicklichkeit und die mentale Stärke hatte er klar von Sarah. Die Liebe zum Vaterland von mir. So entstand sein Wunsch, Soldat zu werden, bei dem wir ihn stets unterstützten, auch wenn Sarah sich natürlich immer Sorgen um ihn machte. Luke kam vier Jahre nach Benny zur Welt und war als Kind schon ganz anders als er. Er schaute Benny immer beim Reiten zu, doch selbst wollte er nie auf ein Pferd steigen. Luke war ein ruhiges Kind, lieb und naiv. Er zeichnete viel: die Farm, die Rinder, Benny beim Reiten, Sarah und mich beim Essen. Und damals schon waren seine Zeichnungen wahre Kunstwerke. Das Künstlerische, die freien und weltoffenen Gedanken, hatte er von Sarah. Was ihn mit mir verband, war bloß die Anlage zur Schwermut, zur Nachdenklichkeit und Schweigsamkeit. Sarah nannte es aber eine philosophische Ader. Klingt zumindest besser. Luke ist also ernsthaft philosophisch und noch dazu ein wahrer Künstler. Nicht für ein Farmerleben geeignet, das war schon deutlich, als er vier Jahre alt war. Später erfüllte Sarah ihm den Wunsch, das Kunststudium zu finanzieren. Ich war dagegen, denn mit Kunst verdient man schließlich nur wenig Geld, aber ich gab nach. Als Benny acht und Luke vier Jahre alt war, kam Josh zur Welt. Ich hatte starke Hoffnung, dass er dafür geboren ist, die Farm zu übernehmen, nachdem bei Benny und Luke immer deutlicher wurde, dass das womöglich nichts werden würde. Unser Jüngster machte mir Hoffnungen. Er war schon als Kind ein frecher, aufgeweckter Kerl. Neckisch und spitzbübisch. Ein richtiger Witzbold. Das hatte er von Sarah, diese liebenswürdig-freche Art. Von mir hatte er bloß den Willen zur Farmarbeit, mehr nicht. Wie Benny brachten wir auch Josh das Westernreiten und Rodeo bei. Auch er war talentiert. Er half auch immer bei der Farmarbeit und ich wurde immer zuversichtlicher. Doch als er achtzehn Jahre alt wurde, offenbarte er uns, dass er ins Fernsehen wolle. Er wollte Moderator werden, ein richtiger Showmaster. Ich zeigte ihm den Vogel und nannte seine Absichten Hirngespinste. Er solle gefälligst Zukunftspläne für den Hof schmieden! Benny war schon beim Militär, Luke studierte Kunst in New York und jetzt wollte auch noch Josh etwas anderes, etwas unbegreiflich Dummes machen. Sarah unterstütze ihn sofort. Und ich war rasend vor Wut. Aber natürlich beruhigte mich Sarah wieder und so leitete sie alles in die Wege, damit Josh sich in irgendeine Ausbildung zum Moderator hineinzwängen konnte und sich dann hart und voller Enthusiasmus selbst bis ins Fernsehen kämpfte. Er kämpfte lange für dieses Ziel und es gab bereits Erfolge. Von Anzeichen dafür, dass er es weit schaffen könne, sprach er zu seinem zwanzigsten Geburtstag, als wir ihn in Houston besuchten, wo er damals lebte. Auch Benny und Luke waren gekommen und wir freuten uns alle sehr. Als Sarah und ich nach Hause fuhren, zurück zu unserer Farm, passierte es. Ein Lastwagen war als Geisterfahrer auf der Autobahn unterwegs. Es war mitten in der Nacht. Ich war müde und konnte nicht rechtzeitig ausweichen. Er rammte uns und das Licht ging aus. Als ich im Krankenhaus aufwachte, fragte ich nach Sarah. Die Ärzte schüttelten nur den Kopf und ließen mich allein zurück. Ich hatte das Wichtigste in meinem Leben verloren. Seit diesem Zeitpunkt hörte sich für mich die Erde zum Drehen auf. Das war vor vier Jahren.

      Ziemlich bald nach Sarahs Tod begann Josh mit diesen selbstgemachten, ach so lustigen Videos. Er erzählte, dass es gut lief, dass er immer mehr Abonnenten bekam und bald verdiente er sein Geld damit. Erstaunlich schnell hatte er eine Million Abonnenten und so brach er alles ab, was er sich schon für sein Moderatoren-Dasein erkämpft hatte. Natürlich war ich erstaunt, wie er es geschafft hatte, eine solch surreale Menge an Abonnenten zu bekommen. Mit diesen Videos. Und reich wurde er obendrein auch noch. Trotzdem war ich wütend und bin es jetzt immer noch. Sarah und ich haben ihn immer unterstützt und dachten, wir würden ihn bald im Fernsehen sehen. Jetzt bewegt er sich in einem für mich undefinierbaren, unerreichbaren Medium. Diese ganze neue Technologie ist ein Graus. Ich hasse sie. Sie ist eine absurde, unnötige Erfindung, die voller Probleme steckt. Nie hat man „Soziale Medien“ gebraucht. Nie hat man sich unvollständig gefühlt, als es noch kein Internet gab. Nie. Alles war einfacher, leichter. Jetzt scheint es unabkömmlich. Unverständlich. Für mich gibt es nur ein Tastenhandy und einen Fernseher. Alles andere überfordert mich. Pure Überforderung.

      Seit Sarah nicht mehr da ist, bin ich anders. Noch mürrischer als zuvor. Alles macht mich wütend, nichts macht Sinn. Benny kämpft in fremden Kriegen, Luke kämpft mit Zeichnungen um sein tägliches Brot und Josh kämpft mit meiner Verachtung. Ich könnte Josh danken, dass er Reichtum erlangt hat und ein Luxusleben in Miami führt. Egal womit, auch wenn es „Social Media“ ist. So kann ich zumindest sicher sein, dass er Luke hilft, bevor dieser verhungert. Denn ich habe nicht genug Geld, um ihn zu finanzieren und hierher zurück will er sicher nicht. Doch Dankbarkeit liegt nicht in meiner Natur. Ich bin von allem so enttäuscht. Alle meine Söhne sind grundlegend verschieden und doch sind alle wie Sarah. Ich vermisse meine Frau und ich ertrage es nicht, ständig von meinen Kindern an sie erinnert zu werden. Deshalb ist es ohne die Jungs leichter. Ich musste ihnen erst lernen, mich zu hassen, damit ich von Erinnerungen verschont werde. Unvorstellbar, aber wahr. Vielleicht rede ich es mir auch nur ein und entschuldige so mein Verhalten. Ich erinnere mich doch selbst ständig an sie. Es ist hoffnungslos. Ich will einfach alles genauso wie es früher war. Als Sarah mich anlächelte und ich somit meine Wut auf alles und jeden noch unter Kontrolle hatte und die Hoffnung, dass einer meiner Söhne die Farm übernehmen würde, noch existierte.

      Jeff stellt die Gläser laut hin und starrt mich an, bringt mich so aus meinen Gedanken zurück in die Wirklichkeit.

      „Gibst du mir noch einen?“ Ich strecke ihm das leere Whiskeyglas hin.

      „Sicher“, meint er und schenkt mir ein.

      Auf dem Fernseher neben dem Tresen sieht man unseren Präsidenten, während er eine Rede schwingt. Er will Amerika wieder groß machen und groß halten. Richtig so, endlich jemand mit einem Plan. Das wird auch höchste Zeit. Ich finde, er macht seinen Job gut. Er sagt, was sich viele denken und sich nicht sagen trauen. Er tut unvorstellbare Sachen und doch tut er sie für den richtigen Zweck. Nicht für andere, sondern für uns und für Amerika. Jeff beobachtet meinen Blick zu dem Präsidenten.

      „Na? Bist du begeistert?“, fragt er.

      „Begeistert bin ich selten. Zufrieden trifft es eher. Er tut etwas für uns, das ist gut“, antworte ich ihm und trinke weiter.

      „Ja, da hast du recht!“

      Kurze Stille.

      „Wie geht es eigentlich deiner Enkelin? Wie alt ist sie jetzt?“

      Jeff lächelt selig bei dem Gedanken an sie.

      „Rachel ist jetzt dreizehn. Es geht ihr gut. Ein enthusiastisches und kluges Kind ist sie!“, sagt er stolz.

      „Das freut mich!“

      Jeff ist ein paar Jahre älter als ich und hatte früh Kinder bekommen. Deshalb hat er jetzt schon ein paar Enkelsöhne und eine Enkeltochter, die sein ganzer Stolz ist.

      „Sie ist übrigens ein richtiger Fan von Josh! Sie ist süchtig nach seinen Videos und vergöttert ihn richtig!“, erzählt Jeff weiter.

      Ich lächle milde.

      „Wenn du ihn wiedersiehst, könntest du ihn vielleicht um ein Autogramm für Rachel bitten? Oder wenn er einmal hier sein sollte, sag mir Bescheid, damit ich Rachel einmal mitnehme und sie ihn sehen kann!“, sagt er ganz begeistert.

      Mein Gesicht verhärtet sich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn jemals wiedersehe, nachdem ich ihn das letzte Mal von der Farm verjagt habe.

      Ich