Reiterhof Dreililien 1 - Das Glück dieser Erde. Ursula Isbel

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Название Reiterhof Dreililien 1 - Das Glück dieser Erde
Автор произведения Ursula Isbel
Жанр Книги для детей: прочее
Серия Reiterhof Dreililien
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788726219586



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mir, es ist wunderbar hier! Vielleicht ist der erste Eindruck nicht gerade überwältigend, wenn alles noch kahl ist und wenn’s noch dazu regnet, aber wart nur ab, wie schön unser Tal sein kann!“

      Er sagte das so eindringlich, daß es mir richtig leid tat, so abwertend von seiner Heimat gesprochen zu haben. Weil ich nicht wußte, was ich sagen sollte, schwieg ich, und auch er sagte nichts mehr. Eine Weile standen wir verlegen voreinander, zwischen uns den Zaun, und mir wurde plötzlich bewußt, daß wir uns ja völlig fremd waren.

      Da schwang er sich plötzlich über den Zaun, streckte die Hand aus und sagte: „Ich bin Matty.“

      Meine Verlegenheit wich. Ich nahm seine Hand, lächelte und erwiderte: „Und ich Elinor. Du kannst aber auch Nora sagen.“

      Wieder sah er mich an. Ich merkte, daß er einen seltsam forschenden Blick hatte, als wollte er ergründen, was hinter meiner Stirn vorging. „Wenn’s dir recht ist, sage ich lieber Nell zu dir“, gab er zurück. „Das paßt besser, finde ich.“

      Nell – so hatte mich bisher noch niemand genannt. Doch die Abkürzung gefiel mir. Es klang weich und herb zugleich, gerade die richtige Mischung.

      Plötzlich wurde ich so froh, ich fühlte mich richtig gut.

      Ich war nicht allein, die Welt war voller Menschen. Ich hatte Matty kennengelernt und einen neuen Namen bekommen. Es erschien mir wie ein gutes Vorzeichen, eine Art Neubeginn. Ob es Zufall war oder Schicksal, daß sich diese Hoffnung erfüllte, weiß ich bis heute nicht.

      4

      Matty begleitete mich noch ein Stück den Weg entlang, oder vielmehr begleitete ich ihn, denn es war die Auffahrt zum Hof. Dann ging ich allein weiter in Richtung zum Wald. Matty mußte arbeiten, aber wir hatten uns für den Nachmittag verabredet. Er wollte mir den Stall und die Pferde zeigen.

      Ich war in so gelöster Stimmung, daß es mich nicht einmal besonders störte, als ich wieder in die Nähe von Tante Karens Haus kam und Vater und Kirsty sah, wie sie Arm in Arm in den Wald gingen. Vater zog ein komisches altes Leiterwägelchen hinter sich her, und Herr Alois lief geschäftig voraus.

      Keiner bemerkte mich, denn ich kam aus einer anderen Richtung. Ich ging ins Haus. In der Küche lag ein Zettel auf dem Tisch: „Sind im Wald, Holz holen. Essen ist im Backrohr.“

      Ich sah im Backofen nach. Da war frischer Apfelstrudel mit Rahmkruste in einer Backform. Er sah so gut aus und roch so verführerisch, daß ich Hunger bekam. Ich setzte mich auf die Eckbank, aß und sah dabei aus dem Fenster. Auf dem Ofen summte der Wassertopf, die

      Wanduhr tickte eintönig, und nun fand ich es friedlich und anheimelnd in dieser Bilderbuchküche mit der Vorfrühlingslandschaft hinter den Fensterscheiben und den bunten Teppichen auf dem abgetretenen Holzboden.

      Nach dem Essen ging ich ins Mansardenzimmer und legte mich aufs Bett. In der noch kahlen Eiche vor dem Haus sang ein Vogel. Ich schloß die Augen und lauschte. Dann wurde ich müde und schlief ein.

      Als ich wieder aufwachte, bellte Herr Alois im Garten. Ich sah auf die Uhr und merkte, daß es höchste Zeit war, mich auf den Weg zu machen, wenn ich Matty nicht warten lassen wollte.

      Diesmal hatte ich keine Lust, wie eine Ente auszusehen. Ich zog meine geliebte Steppjacke aus bunten Stoffresten an und krempelte die Jeans über den Stiefeln hoch. Dann ging ich nach unten.

      Im Flur begegnete ich meinem Vater. Er hatte nasse Haare und sah erhitzt und jung aus. „Wohin gehst du?“ fragte er. „Man bekommt dich ja den ganzen Tag kaum zu Gesicht.“

      Die alte Abwehr stieg in mir auf. „Ich weiß nicht, wer da wen nicht zu Gesicht bekommt“, sagte ich spitz. „Ich gehe spazieren.“

      Er sah verwundert aus, sagte aber nichts mehr, und ich verließ das Haus.

      Herr Alois scharrte wild zwischen den Rosensträuchern. Als ich vorüberkam, hob er den Kopf und erwies mir die Ehre eines Schwanzwedeins. Es war das erste Freundschaftszeichen, und ich freute mich darüber. Richtig beschwingt ging ich den Pfad zwischen den Birken und Haselnußsträuchern entlang.

      Matty wartete schon auf mich. Ich fand, daß er bedrückt aussah; so, als wäre seit unserer ersten Begegnung am Vormittag etwas geschehen, was ihm zu schaffen machte.

      Er hatte einen großen, gefleckten Jagdhund bei sich, der auf dem rechten Auge einen schwarzen und auf dem linken einen weißen Fleck hatte. Er ließ sich ohne weiteres von mir streicheln, und ich sagte: „Er sieht aus, als trüge er eine Augenbinde! Ihr habt wohl viele Tiere auf eurem Hof?“

      Die Frage schien eine unangenehme Gedankenverbindung in Matty auszulösen, denn ein Schatten ging über sein Gesicht, und er erwiderte nur kurz: „Ja, eine Menge.“

      Langsam schlenderten wir in Richtung zum Dreililienhof. Ich fühlte mich eingeschüchtert durch Mattys düstere Miene, und auch er sagte einige Zeit kein Wort. Als das Schweigen unbehaglich wurde, murmelte ich: „Wenn du mich lieber doch nicht mit in euren Stall nehmen willst – ich meine, wenn es dir ein andermal besser paßt oder so -, dann brauchst du es mir nur zu sagen. Ich verstehe das schon.“

      Matty sah rasch auf. Zwischen seinen sandfarbenen Augenbrauen stand eine steile Falte. „Das ist schon in Ordnung“, sagte er. „Es hat nichts mit dir zu tun, weißt du. Ich... hatte Schwierigkeiten mit meinem Vater.“

      Ich dachte an meine eigenen Probleme und nickte. „Ich verstehe“, sagte ich wieder, obwohl ich ja nicht wußte, worum es in Mattys Fall ging. „Bist du der einzige Sohn?“

      Er schüttelte den Kopf. „Ich hab noch einen Bruder.“

      Von nahem sah der Dreililienhof noch immer mächtig und eindrucksvoll aus, doch ich bemerkte Zeichen des Verfalls an den Mauern. Ein großer Torbogen verband die Gebäude der viereckigen Wohnanlage, breit genug, um vollbeladene Fuhrwerke durchzulassen. Vor langer Zeit mochten wohl auch Kutschen durch dieses Tor in den Innenhof von Dreililien gefahren sein.

      Man sah noch Reste einstigen Reichtums, doch über allem lag ein Hauch von Vernachlässigung: Die Gläser der Laterne, die von der Decke des Torbogens hing, waren zerbrochen, eine Dachtraufe in Form eines wasserspeienden Drachen baumelte lose von der Dachkante, große Stücke des Pflasters der Einfahrt fehlten, und die schmiedeeisernen Fenstergitter rosteten.

      Trotzdem strahlte dieser Ort eine eigenartige Schönheit aus, wie man sie nur bei verfallenen und vernachlässigten alten Bauten findet; eine schwermütige Stimmung, die anziehend wirkte.

      Matty führte mich nicht durch den Torbogen in den Innenhof, sondern um die Außenseite des Hofes herum. Als wir den Mauervorsprung erreichten, schlug mir unverkennbarer Stallgeruch entgegen. Ich hörte Poltern, leises Gewieher und Schnauben.

      Vor einer geschnitzten Doppeltür machte Matty halt und zog einen der Türflügel auf. Der gefleckte Jagdhund lief sofort eifrig voraus, und ich folgte ihm und Matty in den Stall.

      Ich habe mich manchmal gefragt, weshalb ich solche Furcht empfand, als ich den Stall von Dreililien zum erstenmal betrat. Es waren wohl die vielen Pferde und die fremden Gerüche und Geräusche, die mich beunruhigten. Später lernte ich, daß Pferde sanft und gutmütig sind, wenn man sie gut behandelt und mit ihnen umzugehen versteht.

      Damals aber war alles so neu für mich – das warme Halbdunkel des Stalles nach der Helligkeit des Frühlingsnachmittages, die vielen Pferde, die uns aufmerksam entgegensahen, das Scharren und Stampfen ihrer Hufe.

      Als wir zur Stallgasse kamen, stieß eines der Pferde ein durchdringendes Wiehern aus. Ich zuckte zusammen, aber Matty lächelte mir beruhigend zu und sagte: „Das ist nur Hazel. Sie begrüßt mich immer so, wenn ich in den Stall komme.“

      „Was macht ihr mit all den Pferden?“ fragte ich.

      „Wir züchten sie“, sagte Matty. „Hast du nicht gewußt, daß Dreililien ein Gestüt ist?“

      Ich schüttelte den Kopf. Er ging von einer Box zur anderen, streichelte die Pferde und erklärte dabei: „Das dort ist Isabell. Und das Marnie. Das ist unser Deckhengst Ask; er