Reiterhof Dreililien 1 - Das Glück dieser Erde. Ursula Isbel

Читать онлайн.
Название Reiterhof Dreililien 1 - Das Glück dieser Erde
Автор произведения Ursula Isbel
Жанр Книги для детей: прочее
Серия Reiterhof Dreililien
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788726219586



Скачать книгу

Leben. Ich sehnte mich nach meinem Zimmer in der Stadt, nach den Lichtreklamen der Straßen, dem täglichen Einerlei, über das ich so oft geklagt hatte.

      Und ich dachte: Es wird nie wieder so sein wie früher.

      Dann schlief ich ein, endlich. Als ich wieder erwachte, war es Morgen. Der Wind hatte sich gelegt, aber es regnete noch immer.

      Barfuß tappte ich ans Fenster und sah hinaus. Der Himmel hing grau und schwer über dem Tal. Wenn ich mich nach links beugte, konnte ich den Viereckshof sehen, der auf den zweiten Blick noch ebenso mächtig wirkte wie am vergangenen Tag. Rauch stieg aus einem der Kamine.

      Ich fror so, daß meine Zähne klapperten. Es mußte schon spät sein, denn als ich mich vom Fenster abwenden wollte, sah ich, wie das Auto meines Vaters den Weg entlang fuhr und vor dem Haus hielt. Zitternd beobachtete ich, wie Vater und Kirsty ausstiegen und einen großen Sack aus dem Gepäckraum zerrten, in dem vermutlich Kohlenvorräte waren.

      Als ich eine halbe Stunde später in die Küche kam, brannte Feuer im Herd. Jetzt, wo der Raum warm war, wirkte er richtig gemütlich, obwohl man merkte, daß hier lange niemand gewohnt hatte. Die hellen Naturholzmöbel machten einen freundlichen Eindruck, hinter den Sprossenscheiben sah man den Wald, und dem alten Schaukelstuhl mit der Häkeldecke fehlte nur die strikkende Großmutter. Es gab Korbsessel, die knarzten, wenn man sich hineinsetzte, und Flickenteppiche auf dem Holzboden.

      Mein Vater deckte den Tisch, während Kirsty Müsli vorbereitete. „Wir haben frische Milch mitgebracht“, sagte sie zu mir. „Hast du bei dem Sturm schlafen können?“

      „Ich mag keine Milch“, erwiderte ich. „Und ich habe verdammt schlecht geschlafen.“

      „Du mußt Spazierengehen“, sagte mein Vater. „Diese Luft! Einfach herrlich!“ Er sah glücklich aus.

      Herr Alois thronte auf der Eckbank und schielte mich unter seinen braunen Stirnlocken hervor an. Sein Fell war naß, und er hatte einen Milchschnurrbart.

      Nach dem Frühstück ging ich wirklich spazieren – nicht, weil ich es besonders verlockend fand, allein durch den Regen zu stapfen, sondern ganz einfach, weil mir nichts Besseres einfiel. Ich hatte zwar eine Menge Bücher und meinen Kassettenrecorder mitgebracht, doch im Moment war mir weder nach Lesen noch nach Musik zumute.

      Die vierzehn Tage lagen wie eine endlose Wüste vor mir. Ich fragte mich, wie ich sie je überstehen sollte. Vater und Kirsty waren natürlich in voller Aktion. Vater stürzte sich sofort mit Feuereifer darauf, einen losen Fensterladen zu reparieren, und Kirsty pusselte mit roten Backen im Haus herum. Später wollten die beiden in den Wald gehen und Holz holen. Ich kam mir ausgeschlossen und überflüssig vor.

      In meinen roten Stiefeln und dem gelben Regenumhang sah ich wie eine Ente aus. Doch was machte das schon? Bestenfalls traf ich unterwegs eine Kuh oder ein paar Bauernjungen. Als ich versuchte, Herrn Alois zum Mitkommen zu bewegen, sah er mich düster an und stellte sich taub.

      Da es mir im Wald zu naß und zu einsam war, schlug ich den Weg ein, der in die Auffahrt des Viereckshofes mündete. Es regnete jetzt nur noch leicht. Die Luft war mild und roch nach aufgebrochener Erde und Frühling. Widerstrebend gestand ich mir ein, daß das Tal schön war, still und seltsam unberührt wie eine Landschaft aus einer alten Sage.

      Als ich an die Wegkreuzung kam, wählte ich den Pfad zur Linken, der zwischen Zäunen und Hecken entlang führte. Knorrige Eichen, Birken und Haselnußsträucher neigten sich über die Einfriedungen. Ich erreichte ein niedriges Gebäude aus rohen Holzstämmen, und da stand plötzlich ein Pferd hinter dem Zaun und sah mir mit großen Augen entgegen.

      Ich blieb stehen. Ich mochte Pferde, doch sie waren mir auch ein bißchen unheimlich. Ich hatte bis jetzt noch nie nähere Bekanntschaft mit einem Pferd gemacht. Im Park hatte ich manchmal jemanden vorüberreiten sehen und leichten Neid verspürt. Jetzt stand zum erstenmal ein Pferd dicht vor mir, und ich war froh, daß uns ein Zaun trennte, denn es erschien mir sehr groß und gewaltig.

      Das Pferd streckte die Nase über den Querbalken. Ich sah, daß es eine sternförmige Zeichnung auf der Stirn hatte. Es schnaubte und versuchte an meinem Ärmel zu zupfen.

      Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück und sagte mit nicht ganz fester Stimme: „Wenn du nach Zucker suchst, tut’s mir leid. Ich hab nichts dabei.“

      Es sah mich an, als hätte es mich verstanden. Seine großen, haselnußbraunen Augen hatten einen feuchten Schimmer. Ich merkte plötzlich, daß sie sehr sanft blickten.

      Diese Augen waren es, die meine Angst vertrieben. Ich trat nahe an den Zaun heran und streckte behutsam die Hand aus. Das Pferd beschnupperte mich ebenso behutsam. Wie weich seine Lippen und Nüstern waren!

      Es war, als würde mich jemand streicheln. Ich schloß die Augen und genoß die Berührung, und das Gefühl von Kälte, das seit Tagen in meiner Brust saß und mir die Kehle zuschnürte, wich.

      Ich war so versunken, daß ich zusammenzuckte, als ich eine Stimme hörte. Erschrocken öffnete ich die Augen, als hätte mich jemand bei einer Heimlichkeit ertappt.

      Ein Junge stand auf der Koppel. Er mußte hinter dem Heuschober hervorgekommen sein, denn er lehnte dort an der Wand und sah mich an. Er schien auf Antwort zu warten.

      Da ich nicht verstanden hatte, was er gesagt hatte, schwieg ich. Das Pferd wandte sich von mir ab und ging zu ihm, und er streichelte seinen Hals.

      Nach einer verlegenen Pause sagte der fremde Junge: „Do you speak English?“

      Ich mußte lachen. „Ja“, erwiderte ich. „Wenn’s sein muß, schon. Aber vielleicht sollten wir es doch lieber mit Deutsch versuchen.“

      Er errötete bis an die Wurzeln seiner blonden Haare. Er war ziemlich groß, mochte aber etwas jünger sein als ich. Stockend sagte er: „Ach so... ich... ich dachte, du wärst vielleicht Irin oder Schottin, weil...wegen deiner roten Haare, und weil du mich vorher nicht verstanden hast.“

      Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich geschmeichelt. „Ich hab dich nicht kommen hören“, erwiderte ich. „Ist das dein Pferd?“

      „Nein“, sagte er. „Sie gehört meinem Vater.“

      „Ist es eine Stute?“ fragte ich.

      Er nickte. „Ja. Hazel heißt sie.“

      „Hazel?“ Er nickte wieder, und wir schwiegen eine Weile. Dann deutete ich mit dem Kinn auf den Viereckshof und fragte: „Ist das euer Hof dort?“

      „Ja“, sagte er.

      „Er ist sehr groß“, murmelte ich respektvoll. „Der größte Hof, den ich je gesehen habe.“

      Er hörte auf, die Stute zu streicheln, und kam langsam näher. Hazel folgte ihm wie ein Hund. „Bist du mit Kirsty hergekommen?“

      „Hm. Kennst du sie?“

      „Flüchtig. Ihre Tante kannte ich besser. Sie war in Ordnung. Seid ihr verwandt, du und Kirsty?“

      Er stand jetzt vor mir am Zaun, und ich sah, daß er sehr blaue Augen und weißblonde Wimpern und Brauen hatte. Die Stute streckte den Kopf über seine rechte Schulter und blies mich an.

      „Nein“, sagte ich kurz. „Wir sind nicht verwandt. Mein Vater ist ... er ist mit ihr befreundet.“

      Der blonde Junge sah mich an, als wüßte er, was das für mich bedeutete. Aber natürlich konnte er es nicht wissen. Ich bildete es mir wohl nur ein – vermutlich, weil ich mir so sehr wünschte, daß jemand mich verstand.

      „Wird sie jetzt ganz hierherziehen?“ fragte er.

      Ich schüttelte heftig den Kopf. „Nein. Wir sind nur zu den Osterferien hergekommen.“

      „Lebst du in der Stadt?“ Wieder kam es mir vor, als könnte er erraten, wie es für mich war, diese zwei Wochen hier verbringen zu müssen, ohne einen Menschen, zu dem ich gehen konnte.

      Ich sagte: „Ja, ich wohne in München. Ist es nicht furchtbar langweilig und öde, hier draußen