Reiterhof Dreililien 1 - Das Glück dieser Erde. Ursula Isbel

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Название Reiterhof Dreililien 1 - Das Glück dieser Erde
Автор произведения Ursula Isbel
Жанр Книги для детей: прочее
Серия Reiterhof Dreililien
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788726219586



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gehöre ich. Ich will mich nicht auf dem Land vergraben. Ich würde sterben vor Langeweile. Was soll ich unter Hühnern und Dorftrotteln? Keiner wird mich je dazu bringen, aufs Land zu ziehen...

      Ich war so sicher, daß nichts und niemand mich dazu bewegen könnte, meine Meinung zu ändern. Zwei Wochen später aber, zu Beginn der Osterferien, fuhren wir doch aufs Land – zu Tante Karens Haus.

      2

      Vater hatte immer wieder versichert, es wäre ja nur für zwei Wochen, nur für einen kurzen Urlaub. „Du weißt doch, ich hatte das ganze letzte Jahr keine Ferien und habe ein bißchen Erholung dringend nötig“, sagte er.

      Schließlich hatte ich nachgegeben. Doch ich nahm mir vor, mich während dieser Ferien von meiner schlechtesten Seite zu zeigen und sowohl Vater als auch Kirsty die Freude am Landleben gründlich zu verderben, damit sie gar nicht erst auf die Idee kamen, einen Dauerzustand daraus zu machen. Ich wollte mich so unmöglich benehmen, daß sie beide froh waren, wenn wir Tante Karens Haus den Rücken kehrten und in die Stadt zurückfuhren. Dann aber kam alles anders, als ich erwartet hatte.

      In der Stadt regnete es, als wir losfuhren, und auf dem Land goß es wie aus Kübeln. Die meisten Bäume waren noch kahl, das Gras braun vom Winter. Mein Vater fuhr, und Kirsty saß neben ihm. Sie hatte ihren Hund mitgebracht. Er kauerte neben mir auf dem Rücksitz und tat so, als wäre ich nicht vorhanden.

      Ich habe Hunde gern, doch dies war Kirstys Hund; und ich glaube, er spürte meine Abneigung gegen sie. Als wir Kirsty abholten, hatte er mich nur kurz angesehen und mich nicht einmal beschnuppert, während er meinen Vater mit einem gnädigen Schwanzwedeln begrüßte. Er war ein halbhoher Bastard mit wuscheligen, dunkelbraunen Locken, Schlappohren und dicken Pfoten. Um die Schnauze war er schon etwas grau. Kirsty nannte ihn „Herr Alois“.

      Herr Alois saß also neben mir und seufzte von Zeit zu Zeit abgrundtief, die Nase auf den Pfoten. Ich versuchte nicht, ihn Zu streicheln, weil mir klar war, daß er etwas dagegen hatte. Eigentlich wirkte er ziemlich kummervoll. Bei einer besonders scharfen Kurve drehte sich Kirsty um, streichelte den Hund und sagte: „Ihm wird beim Fahren so leicht schlecht.“

      In der Ferne sah man schon die Berge. Wir verließen die Autobahn und bogen auf eine kleine Landstraße ab, die durch ein verschlafenes Nest führte. Natürlich war kein Mensch unterwegs. Alles wirkte wie ausgestorben. Vermutlich saßen die Bauern in ihren Häusern und schliefen auf ihren Ofenbänken oder machten komische Volksmusik, wie man sie manchmal im Radio hört.

      Bei dem Gedanken, wie die Leute hier leben mußten, lief mir ein Schauder über den Rücken. Neben einem Haus am Straßenrand standen ein paar triefnasse Schafe und blökten. Herr Alois raffte sich trotz seiner Übelkeit auf und bellte durch die Scheibe, daß es mir in den Ohren gellte.

      Wir fuhren über eine Brücke, an einer Mühle vorbei und durch ein Waldstück, wo das Wasser von den Abhängen auf die Straße sprudelte, so daß wir nur noch im Schrittempo fahren konnten. Dann ging es in Schlangenlinien bergauf. Rechts stand ein Wegkreuz ohne Christusfigur, links streckte ein verwitterter Baum seine dürren Äste gegen den Himmel, und mir kam es vor, als würde ich geradewegs in die Verbannung fahren.

      Ausgerechnet da sagte mein Vater: „Schön ist es hier!“

      Diesmal seufzte ich, doch keiner außer Herrn Alois schien es zu hören. Er spitzte die Ohren, rollte mit den Augen und schloß sie dann voller Überdruß. Vor uns tauchte eine Ortstafel im Regen auf. Jägerhäusl, Mariabrunn, Dreililien, stand darauf.

      „Dreililien“, wiederholte Vater. „Ist es das?“

      Kirsty nickte. „Ja. Hinter der Biegung geht’s scharf nach links.“

      Wir fuhren einen Berg hinauf und wieder hinunter. Hinter Regenschleiern tauchte eine Kirche auf. Sie stand auf einer Anhöhe und sah aus wie eine Dorfkirche im Bilderbuch.

      Wie groß der Ort war, der sich um die Kirche scharte, ließ sich im Regen nicht erkennen. Wir bogen auch kurz vor der Ortseinfahrt ab, fuhren über einen holprigen Weg an steil abfallenden Felsen und einem Wildbach vorbei, den die Regenfluten in ein reißendes Gewässer verwandelt hatten. Die Wolken hingen hier so tief, daß der Gipfel der Felswand darin verschwand.

      Die Bäume bogen sich im Wind, und kahle Äste scharrten über das Wagendach. Doch mein Vater schien keine Angst um sein Auto zu haben. Er sagte nur mehrmals: „Das ist ja wildromantisch!“, was ich albern fand.

      Der Weg führte abwärts und mündete in ein Tal, das wie ein keilförmiger Einschnitt zwischen Wäldern lag. Und inmitten dieser Talsenke stand ein dunkler Viereckshof, größer als alle Bauernhöfe, die ich je gesehen hatte. Eine Anzahl von kleinen Nebengebäuden war inder Talsenke verstreut.

      „Ist er das?“ fragte mein Vater, und Kirsty erwiderte: „Ja, das ist Dreililien.“

      Ich traute meinen Ohren kaum. Kirsty hatte doch immer vom „Häuschen“ ihrer Tante gesprochen. Ich hatte mir eine Art Hexenhaus wie im Märchen darunter vorgestellt. Doch sie hatte auch gesagt, daß Dreililien unser Ziel sei, und nun fuhren wir auf diesen riesigen Hof zu, der einer Festung glich.

      Kirsty streckte die Hand aus und deutete nach links auf einen kleinen, dunklen Umriß am Rand des Tales. Es war ein Haus, das ich für eine Art Nebengebäude des Hofes gehalten hatte. Sie sagte mit einem zärtlichen Untertön in der Stimme: „Dort ist es.“

      Ein Seitenweg zweigte von der Auffahrt zum Hof ab. Er war mit Birken und Haselnußsträuchern gesäumt und führte direkt zu Tante Karens Haus. Zwischen den schlanken weißen Stämmen sah man im Hintergrund immer wieder die Umrisse des Viereckshofes.

      Ich fragte mich, wer dort wohnen mochte. Ein reiches altes Bauerngeschlecht vielleicht, das seit vielen Generationen hier lebte. Oder ein Millionär, der in diesem Tal wie ein König residierte und Pferde züchtete.

      Pferde . . . Seltsam, daß ich plötzlich an Pferde denken mußte. Es kam wohl von den vielen Zäunen, die das Tal in Quadrate und Rechtecke teilten und mich an die Koppeln in einem Film über Pferde erinnerten.

      Dann hielten wir vor Tante Karens Haus. Ich verließ den Wagen nur langsam und zögernd, während Kirsty schon zur Haustür lief, ohne zu warten, bis mein Vater den Schirm herausgekramt hatte. Sie breitete ihren Regenmantel wie ein Zelt über den Kopf, und Herr Alois folgte ihr kläffend.

      Ich warf nur einen flüchtigen Blick auf das Haus. Es interessierte mich nicht besonders. Für mich sah es wie ein ganz gewöhnliches, gelbes Haus mit tiefgezogenem Dach aus. Das Rosenspalier um die Eingangstür war noch kahl, und die geschlossenen Fensterläden erzeugten einen Eindruck von Verlassenheit.

      Ich versteckte mich unter meinem Schirm und ging hinter meinem Vater her. Es war kalt im Freien. Ein Schauder überlief mich. Kirsty schloß die Haustür auf.

      3

      Gegen Abend ging der Regen in Sturm über, und der Wind heulte ums Haus, rüttelte an den Fensterläden und verursachte eine Menge ekelhafter Geräusche, die mir unheimlich waren. Außerdem war es kalt im Haus, und das Bettzeug fühlte sich klamm an.

      Bei flackerndem Kerzenschein zog ich mich aus und dachte mit grimmiger Genugtuung, daß diese Ferien ja schon gut anfingen: Der elektrische Strom funktionierte nicht, es waren keine Sicherungen im Haus, die Öfen in Küche und Wohnzimmer konnten nicht geheizt werden, da im Keller kein Heizmaterial mehr war; und ohne Feuer und Strom gab es auch keine warme Mahlzeit und keinen heißen Tee.

      Kirsty hatte sich mehrmals entschuldigt, und mein Vater hatte immer wieder versichert, daß das alles eine interessante Abwechslung vom perfekten Stadtleben sei; ich aber hatte nicht versucht, meine mürrische Miene zu verbergen.

      Jetzt lag ich im Mansardenzimmer Zwischen schrägen Wänden, und es dauerte lang, bis ich einschlafen konnte. Nicht nur die Kälte und der Wind hielten mich wach; auch der Gedanke an Vater und Kirsty. Es war sinnlos, mir etwas vorzumachen. Die beiden liebten sich, und ich war nun nicht mehr der einzige Mensch in Vaters Leben. Kirsty war ihm wichtiger. Ich wußte auch, daß es mehr als nur eine flüchtige Verliebtheit war. Die beiden waren ein