Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Sascha Bechmann

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Название Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation
Автор произведения Sascha Bechmann
Жанр Документальная литература
Серия Kommunizieren im Beruf
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823302230



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Vorstellungen oder Ideen) evozieren. Die sogenannte Frame-Theorie geht davon aus, dass in Begriffen Sprach- und Weltwissen gemeinsam angelegt sind und dass solche Begriffe abstrakte Vorstellungswelten auslösen.5 Die Idee von einer Krankheit wird auf diese Weise durch Welt- und Erfahrungswissen maßgeblich beeinflusst. Im Modell des CDM (dt. PEF) sind die Informationen über die eigenen Vorstellungen und das Wissen über die eigene Erkrankung tragende Säulen des wechselseitigen Aushandlungsprozesses, da dieser wesentlich auf dem Teilen und der Bereitstellung gemeinsam nutzbaren Wissens basiert. Es handelt sich nämlich um einen „Interaktionsprozess mit dem Ziel […], unter gleichberechtigter und aktiver Beteiligung von Patient und Arzt auf Basis geteilter Informationen zu einer gemeinsam verantworteten Übereinkunft zu gelangen“6. Ideas werden im ICE-Modell verstanden als „every opinion of the patient about a possible diagnosis, treatment, or prognosis“7.

      1.2.2 Concerns

      Auf der Ebene der Konsequenzen sind u.a. Befürchtungen (concerns) verortet. Hier wird die emotive Dimension der Arzt-Patient-Kommunikation erkennbar, die ebenfalls von Bedeutung für den w. o. genannten Aushandlungsprozess ist (an dessen Ende im Idealfall gegenseitiges Verständnis und Vertrauen steht). Levenstein et al. erkennen bereits 1986 insbesondere diese emotive Dimension des Patienten-Frameworks als zentral für den Prozess der Patientenzentrierung über den Weg der Zusammenführung von Arztperspektive und Patientenperspektive:

      When a patient consults a physician, he has a certain agenda in mind. We have chosen to define this in terms of his expectations, feelings and fears. The doctor also has his agenda, which in general may be stated as the correct diagnosis of the patient’s complaints and the implementation of preventive procedures that are appropriate for the patient’s age, sex and risk factors. For individual patients he may have a more specific agenda based on previous knowledge of the patient and his family. In the patient-centred method, the physician’s aim is to ascertain the patient’s agenda and to reconcile this with his own.1

      Matthys et al. beschreiben diese emotive Dimension sehr treffend als „the expressed fear/worry of the patient about a possible diagnosis or treatment“2.

      Die gesprächsinteraktionale Berücksichtigung von Ängsten und Befürchtungen stellt eine Abkehr von der traditionellen schulmedizinischen Konzeption dar, in der allein die somatischen Komponenten von Bedeutung sind.3 Dabei bilden somatische Phänomene und psychische Prozesse eine untrennbare Einheit, die auch im Gespräch nicht aufgelöst werden darf: „Gegenstand des Arzt-Patienten-Gesprächs sind […] mehr oder weniger gravierende Beschwerden, Krankheiten und somatische Ausnahmezustände, und diese sind unweigerlich mit einem bestimmten, mehr oder weniger starken Erleben und entsprechenden Emotionen verbunden“4. Diese Festlegung gilt nicht nur für Erkrankungen, sondern auch für lebensverändernde Situationen, in denen Ärzte die Rolle des Aufklärers übernehmen. So kann auch die Mitteilung einer Schwangerschaft ohne medizinische Risiken bereits zahlreiche Ängste auslösen. An diesem Beispiel lässt sich die Komplexität psychischer Prozesse infolge eines somatischen Befunds gut zeigen, denn eine Schwangerschaft ist

      die Einheit aus einer Gravidität und den Sorgen um die Entwicklung des Fetus, Unsicherheiten darüber, welche Veränderungen dies für das eigene zukünftige Leben bedeutet, Überlegungen, ob die Partnerschaft der neuen Situation gewachsen sein wird, und letztlich auch der Freude auf das Kind.5

      Eine Asymmetrie der Informationsinteressen von Arzt und Patient lässt sich in diesem Beispiel, in dem krankheitsbezogene Parameter eigentlich keine Rolle spielen, sehr gut ablesen. Sie zeigt sich in prinzipiell allen Ereignissen, in denen somatische und psychische Komponenten verschmelzen. Für die Medizin kann angenommen werden, dass dies immer dann der Fall ist, wenn Ärzte Diagnosen stellen – seien es schwerwiegende Erkrankungen oder leichtere Verletzungen. Selbst ein gebrochenes Bein „ist so die Einheit aus der Fraktur von Tibia und Fibula und Befürchtungen, Sorgen etc. […]“6 über vielerlei Folgen (berufliche Einschränkung, Heilungsdauer und -qualität, Folgeschäden etc.). Insofern spielen Ängste und Befürchtungen, also die Erlebnissituation, in der modernen patientenzentrierten Kommunikation eine wesentliche Rolle: „Im Hinblick auf seine Beschwerden sind beim Patienten Angst, Sorge, Befürchtungen, Unsicherheit und eine Minderung des Selbstwertgefühls […] die wesentlichen Emotionen und Formen des Erlebens“7. In sachorientierten Gesprächen kommen diese psychischen Komponenten der Patientenperspektive kaum zur Sprache, sodass die Abkopplung von Erleben und Emotionen u.U. zu einer Verdrängung dieser Emotionen führt, die sich negativ auf das Befinden des Patienten auswirkt. Dies gilt gleichermaßen auch für die Beziehungsebene zwischen Arzt und Patient selbst: Jegliche Interaktion zwischen Ärzten und Patienten löst aufseiten des Patienten ein „spezifisches Erleben“8 aus, das im Idealfall Zufriedenheit und Beruhigung darstellt, in denjenigen Fällen aber, in denen concerns unausgesprochen bleiben, als Enttäuschung, Unzufriedenheit und Verärgerung manifest wird. Gesprächssituationen, in denen Patienten nicht zugleich mit ihren Beschwerden auch ihre Gefühle thematisieren können oder (in der traditionell sachorientierten Anamnese) dürfen, können „als [defizitär, S.B.] empfunden werden und dazu führen, dass der Patient von der Arzt-Patienten-Interaktion enttäuscht ist“9.

      Gerade in der Einbindung der emotiven und psychosozialen Dimension in das Gespräch liegt ein wesentlicher Faktor, der für das Gelingen der Interaktion als Ganzes verantwortlich ist.

      Nach Lalouschek (1993) erfordert diese Einbindung „neben der Erhebung der somatischen Anamnese die Erfassung des familiären und beruflichen Hintergrunds [der Patienten] sowie deren erlebensmäßig-emotionale Struktur“10. Gemeint ist dabei, die Befürchtungen und Ängste der Patienten (concerns) in den Prozess der Bewertung von patientenseitigen Aussagen einzubeziehen. In dieser Einbeziehung erkennt Lalouschek den Schlüssel zum Erfolg einer patientenzentrierten Kommunikation, die sich als prozesshaftes Erarbeiten eines gemeinsamen Krankheitskonzepts manifestiert:

      Über die Herausarbeitung lebens- und krankheitsgeschichtlicher Zusammenhänge erfolgt die gemeinsame Erarbeitung eines Krankheitskonzepts. Dieses Vorgehen ist schließlich die Grundlage einer tragfähigen Arzt-Patient-Beziehung.11

      Der Hinweis auf diesen Integrationsgedanken ist deswegen wichtig und notwendig, weil die Bearbeitung von Emotionen in der Vergangenheit nicht oder zumindest nicht häufig auch Teil der ärztlichen Verantwortung gewesen ist bzw. von den Ärzten als weniger wichtig bewertet wurde. Einen Hinweis auf dieses Problem, der sicher als Mahnung verstanden werden darf, formuliert Lalouschek 1993 auf der Basis ausgewerteter Patientengespräche wie folgt:

      Wenn PatientInnen Erleben und Emotionen thematisieren, wird die affektive Dimension dieser Darstellung normalerweise nicht interaktiv manifestiert, sondern vom Arzt / von der Ärztin als Teil des ,somatischen Problems‘ behandelt oder als dysfunktional dethematisiert. Wenn es doch zur Manifestation von Emotionen kommt, wird im Normalfall die somatisch-technische Perspektive wieder etabliert. Bei den kommunikativen Mustern der Emotionsbearbeitung im herkömmlichen Arzt-Patient-Gespräch handelt es sich daher vorwiegend um die Regulation von Emotionen in Form von Glaubensbekundungen und nicht um interaktiv weiterführende Prozessierungsstrategien wie Fokussierung, Deutung, Eingehen oder Hinterfragen.12

      Bis heute scheint dieses Grundproblem nicht gelöst zu sein. Die Regeln, nach denen Arzt-Patient-Gespräche ritualisiert, formalisiert und institutionell determiniert sind, scheinen sich nur langsam – und wesentlich durch die Kenntnis der patientenseitigen Dimensionen, die im ICE-Modell erst in neuerer Zeit in den Vordergrund treten (in ihrer Wichtigkeit für den Interaktionsprozess zahlreich belegt durch Studien, s. Kap. 3.1) – zu verändern. So stellt Fiehler noch im Jahr 2005 fest: „Arzt-Patienten-Gespräche sind eine besondere Form institutioneller Kommunikation. Sie dienen der Erfüllung bestimmter Zwecke, und für sie sind eigene Regeln herausgebildet worden, Regeln, die von denen der Alltagskommunikation abweichen“13. Diese funktional begründeten Abweichungen sind problematisch für die Arzt-Patient-Beziehung, weil sie sich v.a. in der Ausblendung von Emotionen manifestieren:

      Eine der Abweichungen besteht darin, dass das Arzt-Patienten-Gespräch – im Rahmen einer