Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Sascha Bechmann

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Название Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation
Автор произведения Sascha Bechmann
Жанр Документальная литература
Серия Kommunizieren im Beruf
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823302230



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      Sascha Bechmann

      Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation

      Untersuchungen zu einem patientenorientierten Kommunikationsmodell

      Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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      © 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

      Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

      www.narr.de[email protected]

      Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

      E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

      Print-ISBN 978-3-8233-8394-9

      ePub-ISBN 978-3-8233-0223-0

      Vorwort – oder: Warum dieses Buch?

      Das ärztliche Gespräch gerät nicht erst mit dem gesellschaftspolitischen Ruf nach Stärkung der Patientenautonomie und den sich verändernden Rollenvorstellungen im Zeitalter der Digitalisierung in den Fokus. Vielmehr erlebt dieses Thema gegenwärtig eine Art Renaissance. Antike Zeugnisse belegen, dass die Vorstellung von Heilung seit jeher eng verwoben ist mit einer Gesprächsführung, die den Patienten und dessen Bedürfnisse in den Mittelpunkt rückt. Erst der medizinisch-technische Fortschritt im 19. und 20. Jahrhundert bewirkte eine Abkehr von diesen traditionellen Vorstellungen und versetzte den Patienten in eine passive Rolle. Damit scheint es heute vorbei zu sein. Patientenverbände, Politiker und auch viele Mediziner fordern einen Paradigmenwechsel, infolge dessen das Gespräch zur zentralen Schaltstelle für jegliches ärztliches Handeln – und damit zugleich zur Gelingensbedingung – wird.

      Doch wie genau soll dieser Paradigmenwechsel aussehen? Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft in Zeiten des Internets und der damit verbundenen informellen Selbstbestimmung, des Fitness- und Gesundheits-Booms, der gesundheitlichen Aufklärung im Kindergarten und dem Trend nach gesunder Ernährung? Welche Rollen spielen Ärzte in einer Zukunft, in der Patienten die Verantwortung für ihre Gesundheit zunehmend selbst in die Hand nehmen sollen und wollen? Eine Zukunft, in der Behandlungen ausgehandelt werden? Wie funktioniert ein System, in dem Patienten als gleichberechtigte Partner im Behandlungsprozess gehört werden wollen? Ein System, in dem Patienten als Experten für ihre eigene Gesundheit auftreten? Vor welchen Herausforderungen stehen Ärzte in einer Gesellschaft, in der Patienten neben ihrer Krankenkassenkarte immer häufiger auch Wissen, Vorstellungen und Erwartungshaltungen mitbringen?

      Klar ist, mit den traditionellen Rollenmodellen des 19. Jahrhunderts ist eine solche Zukunft nicht zu bewältigen. Ärzte als Experten, Patienten als Laien – dieses Modell ist kaum tragfähig für eine Zukunft, in der Patienten eine zentrale Rolle einnehmen werden. Patienten wollen und sollen gehört werden. Der Rahmen, in dem dies geschehen kann, ist das Gespräch. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dem Gespräch zwischen Patienten und Ärzten in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen in den letzten Jahrzehnten eine immer breiter werdende Aufmerksamkeit zu Teil wird. Mediziner, Soziologen, Psychologen, Linguisten (und neuerdings sogar Juristen und sehr vereinzelt Ökonomen) beschäftigen sich mit der Frage, wie das Gespräch zwischen Ärzten und Patienten im Idealfall ausgestaltet sein sollte.

      So sehr das Interesse der Disziplinen am Gespräch verständlich (und aus Patientensicht erfreulich) ist, so sehr erstaunt jedoch die nahezu durchweg gleiche, einseitige Perspektivierung. Diese Feststellung betrifft (nicht nur, aber) vor allem die Linguistik. Studien, die hier seit den 1980er Jahren sehr zahlreich vorliegen, rücken nahezu immer den Arzt und dessen kommunikative Strategien ins Licht der Betrachtung. Als Forschungsfeld ist die Arzt-Patient-Kommunikation etabliert, nicht etwa die Patient-Arzt-Kommunikation. Auch dieses Buch, das sich über die Beschreibung des ICE-Konzepts dem Themenfeld ausdrücklich patientenorientiert zuwendet, schließt sich mit seiner Titelgebung dieser Tradition an. Der Grund dafür ist trivial: Der Terminus Arzt-Patienten-Kommunikation ist in dieser Konstruktion so geläufig, dass Suchmaschinen solche Publikationen, die diesen Titel tragen, treffsicherer finden als Bücher oder Aufsätze, die mit Patient-Arzt-Kommunikation betitelt sind.1

      Jedoch lässt sich anhand dieser vermeintlich beiläufigen und beliebigen Betitelung der zahlreichen Monografien und Aufsätze weit mehr ablesen als ein bloßes Label – nämlich eine Haltung. Beide lexikalischen Konstruktionen, sowohl der Terminus Arzt-Patient-Kommunikation als auch die Wortverbindung Patient-Arzt-Kommunikation, evozieren die Vorstellung von Unidirektionalität in der Interaktion (Arzt-zu-Patient bzw. Patient-zu-Arzt), sie sind daher beide eher unglücklich. Wie viel passender wäre es, künftig von einer Arzt-und-Patient-Kommunikation zu sprechen? Gerade unter den sich verändernden Vorzeichen wäre sprachliche Genauigkeit wünschenswert. Vielleicht würde dies dazu führen, den Patienten auch in der Forschung stärker zu gewichten. Einen ersten, möglichst großen Schritt in diese Richtung möchte ich mit der vorliegenden Veröffentlichung gehen.

      Wenn man sich die gegenwärtige kommunikative Praxis ansieht, ist die Vorstellung von einer unidirektionalen Kommunikation, die vom Arzt ausgeht, nicht ganz falsch. Noch immer sind Gespräche zwischen Ärzten und Patienten eher an somatischen Fakten als an subjektiven Theorien orientiert. Sie zeigen sich oftmals in ihrem Kern als stark disease-orientierte Gespräche. Auch mit Blick auf die Forschung zu diesem Thema stellt man fest, dass es sich kommunikativ um eine Einbahnstraße zu handeln scheint. Forscher blicken mit den ihnen jeweils eigenen Interessen und Methoden beispielsweise auf das Frageverhalten von Ärzten, typologisieren Fragehandlungen, analysieren Redeanteile und Sprecherwechsel, entwickeln Phasenmodelle oder skizzieren funktionale Ritualisierungen – fast immer ausgehend von den kommunikativen Bedürfnissen des Arztes.

      Diese terminologische Einschränkung der Handlungsrichtung (Arzt → Patient) und die mit ihr verbundene Perspektivierung sind möglicherweise zwei der Gründe, warum die Patientenperspektive deutlich weniger gut erforscht ist als die Arztperspektive. Wenig ist bekannt darüber, wie Patienten Gespräche eröffnen oder beenden, wie ihr Frageverhalten strukturiert ist oder durch welche Strategien es ihnen gelingt, die ihnen wichtigen Gesprächsinhalte zu platzieren. Und eine Frage ist bislang – zumindest in der deutschsprachigen Literatur zu Patient-Arzt-Gesprächen – noch kaum beantwortet: Welche Inhalte sind das überhaupt, die zusammen genommen die Patientenperspektive ausformen?

      Dieser Befund lässt sich auch auf die Schulung kommunikativer Kompetenzen im Medizinstudium übertragen: Im Kern geht es auch hier meist darum, was Ärzte wann, wie und in welcher Reihenfolge mit welchen Techniken tun sollen, wenn sie kommunizieren. Dass Ärzte im Gespräch (vor allem in der Phase der Informationsakquise) aktiv zuhören sollen, ist mittlerweile selbst denjenigen bekannt, die gar nicht so genau wissen, was sich hinter dem Aktiven Zuhören nach Carl Rogers überhaupt verbirgt. Zuhören scheint in der Kommunikation mit Patienten der Universalschlüssel zum Erfolg zu sein. Wenn ich Ärztinnen und Ärzte danach frage, worauf es im Gespräch am meisten ankommt, gehört Zuhören zu den häufigsten Antworten. Und tatsächlich: Zuhören ist wichtig. Aber: Auf was genau sollen Ärzte denn hören, wenn sie zuhören? Geht es nicht eigentlich um das richtige Hinhören?

      Hier stellt sich zugleich die Frage nach der „richtigen“ Perspektive. Das Zauberwort lautet: Perspektivwechsel. Das Postulat der Ganzheitlichkeit in der medizinischen Diagnose und Behandlung erfordert, dass Ärzte neben ihrer eigenen auch die Patientenperspektive einnehmen. Doch das klingt einfacher als es ist. Die sogenannte biomedizinische Perspektive bereitet Ärzten in der Praxis keine Schwierigkeiten. Die richtigen Fragen zu stellen und genau Zuzuhören, wie Patienten welche Symptome schildern, lernen Ärzte schon früh im Studium. Aber welche Inhalte verbergen sich eigentlich hinter der (weitgehend unerforschten) Patientenperspektive? Worauf