Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek. Peter Schrenk

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Название Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek
Автор произведения Peter Schrenk
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783745212532



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in einem der grünen Altglascontainer neben der Telefonzelle. Der Mann faltet zwei jetzt leere Plastiktüten sorgfältig zusammen, geht dann zu seinem haltenden Wagen und fährt davon. Von der nahegelegenen katholischen Kirche dröhnen Glockenschläge herüber.

      Munroe steht mit einigen silbernen Münzen in der Hand in der stickigen Sprechkabine und wählt die Nummer. Null-null-vier-vier-eins-vier-sieben-zwei ... Das abgehackte Signal auf der englischen Seite. Der Teilnehmer meldet sich. »Hallo?«

      »This is Berlin. It's the General. Logistics are o. k.!«

      »Roger, Berlin!, bestätigt die männliche Stimme und fügt dann noch hinzu: »Good luck!«

      Munroe legt auf, steckt die restlichen Münzen ein und bleibt für einige Sekunden mit geschlossenen Augen stehen. Jeder Tag würde sie jetzt dem wichtigsten Auftrag ihres Lebens entgegenbringen. Alles, was sie bisher für Irland geleistet hatten, war dagegen völlig unwichtig. Dieser Tag im November würde alles wegwischen. Jeder Schritt, jeder Atemzug dient nur diesem einen Ziel. Es muss gelingen!

      Als die beiden nach erfolgter Meldung an ihren Londoner Verbindungsmann in die spärlich eingerichtete Wohnung zurückkehren, hören sie bei ihrem Eintritt den Sprecher des Soldatensenders mit seiner eindringlichen Warnung über den Äther: »Stay alert to stay alive! Bleibt wachsam, um am Leben zu bleiben!«

      South spuckt ein höhnisches »drop dead« heraus, aber Munroe zeigt weiterhin einen gleichbleibend aufmerksamen Gesichtsausdruck in dem von langer Haft abgemagerten Gesicht.

      »Unser Manöver sollte heute gelaufen sein. Hoffentlich sind Leutnant Habibs Leute dort genauso gut!«

      *

      »Auf der Mauer auf der Lauer sitzt ’ne kleine Wanze. Seht euch nur die Wanze an, wie die Wanze tanzen kann. Auf der Mauer auf der Lauer sitzt ’ne kleine Wanze ... auf der Mauer auf der Lauer sitzt ’ne kleine Wanze. Seht euch nur die Wanze an, wie die Wanze tanzen kann. Auf der Mauer auf der Lauer sitzt ’ne kleine Wanze ...«

      Hauptkommissar Benedict geht davon aus, dass es so einige hundert Millionen Kinder im Vorschulalter auf dieser Erde gibt. Darunter wird es wohl stille, lustige, wissbegierige, vorlaute, frohe und auch ganz liebe Kinder geben. Und es gibt nervende Exemplare. Der Düsseldorfer Polizist verflucht sein Schicksal, welches ihn offensichtlich immer wieder mit den nervenden Exemplaren zusammenführt.

      Dieses hier ist kaum fünf Jahre alt, weiblichen Geschlechts und trägt eine Nickelbrille im versonnen lächelnden Gesicht. Es sitzt in der Reihe vor ihm auf dem Fensterplatz einer Boeing 737 der British Airways, die nach Berlin unterwegs ist. Seit dem Start in Düsseldorf vor fünfundzwanzig Minuten singt es unablässig dieses Lied von dieser verdammten Wanze.

      Ob es wohl in diesem Fall mildernde Umstände bei Kindestötung gäbe? Oder für eine Flugzeugentführung ein höherer nervlicher Notstand geltend gemacht werden könnte?

      »Cheers!«, mischt sich das raue Organ des Nordiren in Benedicts unfeine Gedanken. Die beiden neben ihm sitzenden Iren sind schon am frühen Morgen wieder bei Whisky. Beim Anblick der schwappenden braunen Brühe in den Bechern der beiden wird Benedict übel, und er richtet die Augen schnell zum Fenster hinaus. Löcher in der aufreißenden Wolkendecke geben den Blick frei auf abgezirkelte Feldraine, blanke Spiegel runder Seen, dann wieder dunkle Waldflächen und rauchende Fabrikschlote.

      Er hätte sich vor zwei Tagen auch noch nicht träumen lassen, dass er am Freitag Vormittag in einer Maschine nach Berlin sitzen würde. Die Meldungen waren von drei verschiedenen Seiten auf den Telefonen des ISAT-Büros aufgelaufen. Zuerst war Captain Hart von Kollegen aus der Berliner Garnison angerufen worden, dann meldete sich das LKA Berlin, und fast unmittelbar darauf hörte der Hauptkommissar die unverkennbare und ihm sehr willkommene Stimme der Oberstaatsanwältin Meerkämper am Telefon, die ihm im Grunde genommen nur noch die vorausgegangenen Anrufe bestätigte. Alle involvierten Dienststellen waren der Meinung, dass das ISAT-Team die Geschichte unbedingt überprüfen müsse, und so sitzen die vier nun in diesem Schüttelflieger von Düsseldorf nach Berlin, und Benedict hat das zweifelhafte Vergnügen, dem Lied von der Mauerwanze zu lauschen. Den beiden Iren scheint das nichts auszumachen, und Captain Hart sitzt auf der anderen Gangseite.

      »Sinn der Bildergalerie hier ist nicht, dass die deutsche Polizei sich jetzt 147 IRA-Verdächtige einprägen soll. Die Bilder sind auch für uns selbst als Gedächtnisstütze gedacht, obwohl wir die Fotos alle kennen. Und für dich, Benny, wäre es ganz gut, wenn du dir vielleicht zehn oder zwölf Bilder sehr genau ansiehst, damit du die Leute erkennst, wenn sie dir zufällig in Düsseldorf übern Weg laufen!« So hatte Jerry Hart gestern Nachmittag formuliert und dann noch fast belanglos hinzugefügt: »Hast du dir die neuen Aufnahmen von der Farrell aus dem Magill-Magazin angesehen? So ungefähr dürfte sie heute aussehen. Wenn du die irgendwo erkennen solltest, absolute Vorsicht! Sie schießt erst und fragt dann! Wenn die in Düsseldorf ist, dann können wir sicher sein, dass die Sache hier steigen wird!«

      »Schwierig, sehr schwierig«, hatte der Hauptkommissar mit Blick auf die Magill-Fotos in sich hineingemurmelt und sich dann zehn andere Bilder ausgesucht.

      »Auf der Mauer auf der Lauer sitzt 'ne kleine Wa'. Seht euch nur die Wa' an ...«

      Vorbei am Ost-Berliner Fernsehturm fliegt der blau-weiße Westvogel in die Einflugschneise nach Tegel. Benedict verstaut das Highlife-Bordmagazin in der Tasche der Rücklehne vor sich. Vergeblich bemüht er sich, die langen Beine auszustrecken. Dann hat der feste Boden sie wieder. Nach einer Stunde Flugzeit betreten sie die Kunststoffnoppen des Berliner Flughafens Tegel. Benedict rümpft die Nase. Als er das letzte Mal nach Berlin geflogen war, landete die Maschine noch im gemütlichen Tempelhof. Jetzt also auch hier internationale Flughafenatmosphäre, angestrengt und irgendwie unpassend für die Halbstadt. Das singende Wanzenkind wird von einer schicken Jungmutti in die Arme geschlossen und entschwindet endlich seinen Ohren.

      »Na, wohin soll’s denn jehn, Meesta?«

      »Zum Flugplatz Gatow!«

      »Zu die Tommies, waa! Soll ick üba de Avus oda üba de Potsdama fahren?«

      »Fahren Sie ruhig durch Siemensstadt und dann über die Potsdamer Chaussee!«

      »Aua. Der Bundi kennt sich aus. Na, is jut. Ham’se den Knalla schon jehört? Der Barschel ist nu doch zurückjetreten! Hat wohl doch janz schön Dreck am Stecken!«

      Der Taxifahrer berichtet Neues. Also hat man die Sache doch nicht so schnell unter den Teppich kehren können, wie Benedict das nach der Landtagswahl angenommen hatte. Hart, McGrath und O’Connell sind an dem Gespräch zwischen Benedict und dem Berliner Taxifahrer nicht interessiert und sehen neugierig auf die Straßenzüge der ehemaligen Hauptstadt.

      Auf dem Gelände der Royal Air Force werden sie von einem Captain der englischen Special Investigation Branch in Empfang genommen und in einen kleinen Konferenzraum geführt, der nicht ein einziges Fenster hat. Weiße Leuchtröhren tauchen den spartanisch wirkenden Raum in kaltes Licht.

      »Wir fahren gleich anschließend an den Explosionsort, damit Sie sich ein Bild machen können. Bitte setzen Sie sich doch. Tee?«

      Die vier Männer aus Westdeutschland murmeln Zustimmendes und setzen sich an den blankpolierten Konferenztisch. Eine junge Frau in Luftwaffenuniform bringt ein Tablett mit fünf Teetassen, Milch und Zucker und einem Glasteller mit Keksen. Der Berliner Captain wartet, bis das Mädchen den Raum verlassen hat.

      »Ich bin John Grey. Captain der S.I.B. Wird Ihnen Jerry ja schon gesagt haben. Die Ladung explodierte heute Nacht in einem Vauxhall mit englischem Kennzeichen. Um exakt 1 Uhr 37. Der Wagen war bei den Montgomery Barracks abgestellt, dem englischen Wohnviertel in Kladow. Fast an der Mauer. Es wurde niemand verletzt. Ein paar andere Fahrzeuge sind hinüber, es gibt ’ne Menge Glasschaden. Sonst nichts. Erfahrungsgemäß mussten wir davon ausgehen, dass auch an anderen Stellen Bomben deponiert sein würden, wenn es die IRA-Leute waren. Also durchsuchten wir sämtliche Fahrzeuge in den Barracks und fanden auch noch zwei präparierte PKWs mit Ladungen unter dem Chassis.