Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek. Peter Schrenk

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Название Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek
Автор произведения Peter Schrenk
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783745212532



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      »Na ... machen, dass das Telefon klingelt!« O’Connell’s Stimme schwankt noch in der Erinnerung an die hypnotische Telefonübung des Deutschen. »Quatsch! Aber manchmal funktioniert es eben, und die Wirkung auf die Anwesenden ist immer garantiert. Das war übrigens ein Kollege von der Sicherungsgruppe in Bonn-Meckenheim. Fragte, ob wir schon was wissen!«

      »Jesus! Wir sind seit gestern hier!« Der Belfaster zeigt Empörung.

      »Ja, aber diese Fragen wird man uns jetzt öfter stellen. So ungefähr zweimal pro Tag. Ach ja, noch etwas. Man gibt uns vier Wochen Zeit. Bis dahin sollen wir wissen ob, wie und wo! Sonst würde man sich was anderes einfallen lassen müssen!«

      »Und was?«

      »Hat man mir nicht gesagt.«

      »Vier Wochen!« Die Stimme des Engländers kommt flach wie ein zu trockener Toast über den Schreibtisch gebröselt.

      »Machen wir also weiter!«

      *

      Auf die Fernsehsendung freute er sich schon lange. Zum Glück schaffte er es gerade noch bis 21 Uhr. Und wenn er nicht so gedrängelt hätte, wäre das eine lange Büronacht geworden. Wie die das nur aushalten. Hatten doch gestern schon voll durchgezogen.

      Jubiläumskonzert von Peter, Paul & Mary aus Nashville/Tennessee, 25 Jahre. Das wollte er nicht verpassen. Schließlich waren sie auch ein Stück seiner eigenen, nicht unbewegten Vergangenheit. Blowin' in the wind. Da war er noch bei der Bundeswehr gewesen. Puff, the magic dragon. Noch kein Gedanke damals an Kitty von Salm oder die heißen Tage von Heidelberg und Frankfurt. Ach, die drei sind immer noch so verdammt gut!

      Ja, jetzt weiß er eine ganze Menge mehr als heute Morgen: dass die offizielle Irisch Republikanische Armee im Grunde genommen mit dem Auszug der >Provisionals< im Jahre 1969 aufgehört hatte zu existieren und die abgewanderten Provos eine Art irischer RAF darstellten; dass es davon wiederum Abspaltungen gegeben hatte: 1974 die Irish Republican Socialist Party, gegründet von Bernadette Devlin, und 1975 die Irish National Liberation Army, die noch die Provos für zu gemäßigt hielt, aber gelegentlich mit ihnen militärisch kooperierte; dass alle diese Gruppen auch durch die Gegenaktionen der britischen SAS-Leute schwere Verluste erlitten hatten; dass Angst vor Verrätern in den eigenen Reihen umging, nicht zuletzt nach dem schweren Schlag der SAS gegen die East Tyrone Brigade in Loughgall, wo acht der besten IRA-Kämpfer ausgelöscht wurden. Hinzu kamen Schwierigkeiten auf der Finanzierungsseite, nachdem die Regierung in Dublin 7 Millionen DM IRA-Gelder auf Konten der Bank of Ireland beschlagnahmt hatte. Alle diese Schwierigkeiten und die Angst vor Maulwürfen in den eigenen Reihen hatten dazu geführt, dass keine Aktionen mit größeren Gruppen mehr durchgeführt wurden. Außerdem wurde die Unabhängigkeit der ASUs noch erweitert. Und es wurde für besonders wichtige, strategische Operationen das sogenannte Special Active Service Unit aufgebaut. Es unterstand nicht der normalen Befehlsstruktur der Organisation, sondern war direkt dem Armeerat unterstellt. Nur dessen Mitglieder kannten die Namen der SASU-Kämpfer und den Kampfauftrag. Und mit einem solchen Spezial-Kommando würden sie es ohne Zweifel zu tun haben. Mit Leuten, die ihr tödliches Handwerk besonders gut verstehen. Die nichts mehr zu verlieren haben. Irische Kamikazes hatte Captain Hart sie genannt. Und die anderen beiden hatten nicht widersprochen.

      Das letzte Lied von Peter Yarrow, Paul Stookey und Mary Travers verrauscht im gewaltigen Applaus der meist fünfzigjährigen Zuschauer. Die Erinnerungen sind vorbei.

      Benedict schaltet den Apparat aus. Auf dem Bildschirm bleibt als Negativ das verblassende Bild eines füllig gewordenen Madonnengesichtes. Dann ersetzt ein anderes Frauenbild den Kopf der Sängerin auf dem dunklen Monitor, flackernd in knisternden elektrostatischen Entladungen.

      7

      Es war keine gute Nacht gewesen.

      Ständig hatten herbstliche Wärmegewitter Düsseldorf umkreist. Donnergrollen und zuckende Blitze hatten bis 5 Uhr morgens seine Schlafversuche zunichte gemacht.

      Und immer wieder dieses grobkörnige Fotogesicht hinter seinen zuckenden Augenlidern.

      Punkt sieben riss ihn der Wecker aus seinem erschöpften Schlaf. Fast noch träumend war er gewohnheitsmäßig in sein Büro im Präsidium getaumelt. Erst dort war ihm klar geworden, dass seine Dienststelle zur Zeit auf der anderen Straßenseite zu finden war.

      Die Bilder an der Raufaserwand versetzten ihn dann aber sofort in dienstlichen Wachzustand. Einhundertsiebenundvierzig Fotos, die meisten schwarz weiß, viele unscharf. Grobe Rastervergrößerungen einzelner Köpfe aus Menschenansammlungen heraus. Aufnahmen, die offenbar aus geheimen Verstecken mit Teleobjektiven geschossen worden waren. Erkennungsdienstliche Fotos von Häftlingen aus Long Kesh und Armagh.

      Captain Hart hatte sie gestern in einer Pause aus seiner Aktentasche gezaubert. Es waren Aufnahmen von Leuten, die verdächtigt wurden, dem terroristischen Teil der Organisation anzugehören, der Mörderbande, wie der Engländer sie bezeichnete.

      Als Benedict gestern die Aufnahmen kurz durchsah, zitterten seine Hände.

      Jetzt hängen die 147 Fotos in Reihen fein säuberlich an der Wand. Dritte Reihe. Siebtes und achtes Foto von links. Benedicts schlafverklebte Augen sehen nur diese zwei Fotos. Mit schmerzhafter Anstrengung starrt er auf den verschwommenen Frauenkopf mit den vollen Gesichtszügen. Langes, herabfallendes Blondhaar. Nein. Da ist keine Ähnlichkeit zu finden. Er lässt den Blick weiter über die anderen Reihen der Fotos gleiten, um dann aber wie ein ferngelenkter Roboter in der dritten Reihe zu landen. Siebtes und achtes Foto.

      Die Augen. Nein. Auch nicht direkt die Augen. Vielmehr der Ausdruck in ihnen, der jenseits von den fremd scheinenden Äußerlichkeiten des Frauengesichtes Erinnerungen wachruft. Den Ausdruck dieser Augen hatte er mal auf sich ruhen gefühlt. Spröde und zärtlich. Schatten erlittener Demütigungen hatten das Strahlen verhindert. Dennoch waren da Wärme und Stolz gewesen.

      Benedict nimmt die drückende Brille ab und legt sie vor sich auf den Schreibtisch. Er nimmt eine große Nahsichtlupe aus der Schublade und tritt zentimeternah an die Bilderwand heran.

      Dieses Schulmädchengesicht mit den glatten Teenagerhaaren, dem breiten Lächeln ... nein ... es wird auch durch die Nähe nicht vertrauter. Er musste sich täuschen.

      Aber das Bild daneben. Nummer acht. Keinerlei Ähnlichkeiten mit dem pausbäckigen Jungmädchengesicht auf Nummer sieben. Ein fast abgehärmtes eingefallenes Frauengesicht, tiefliegende, aber dennoch ausdrucksstarke Augen, kämpferischer Trotz, sogar Spott über den Fotografen. Und noch anderes. Noch näher schiebt sich sein Gesicht an die Lupe heran.

      »Da hast du dir aber interessante Fotos ausgesucht! Weißt du, wer das ist?«

      Die Lupe rutscht aus den schweißnassen Fingern und poltert auf den Boden. Erschrocken bückt sich Benedict und hebt sie wieder auf. »Nein«, murmelt er und starrt von unten herauf auf den eingetretenen Captain Hart. »Keine Ahnung, nein!«

      Hart wirft seine Aktentasche auf den Schreibtisch. »Das süße Miststück heißt Farrell. Die erste Aufnahme datiert ungefähr aus dem Jahr 75 oder 76, kurz nachdem sie vom Rathmore College abgegangen war. Es wurde aufgenommen vor dem Eingang Falls Road 51-53 in Belfast!« Als er den verständnislosen Blick Benedicts bemerkt, fügt der Captain hinzu: »Die Sinn-Féin-Zentrale.