Friedrich Schiller: Literatur- und theatertheoretische Essays. Фридрих Шиллер

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Название Friedrich Schiller: Literatur- und theatertheoretische Essays
Автор произведения Фридрих Шиллер
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788027204274



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noch nicht aufgedrückt haben. Aber wie sollte ein königlicher Prinz aus dem sechzehnten Jahrhundert – Philipps des Zweiten Sohn – ein Zögling des Mönchvolks, dessen kaum aufwachende Vernunft von so strengen und so scharfsichtigen Hütern bewacht wird, zu dieser liberalen Philosophie gelangen? Sehen Sie, auch dafür war gesorgt. Das Schicksal schenkte ihm einen Freund – einen Freund in den entscheidenden Jahren, wo des Geistes Blume sich entfaltet, Ideale empfangen werden und die moralische Empfindung sich läutert – einen geistreichen, gefühlvollen Jüngling, über dessen Bildung selbst – was hindert mich, dieses anzunehmen? – ein günstiger Stern gewacht, ungewöhnliche Glücksfälle sich ins Mittel geschlagen und den irgend ein verborgner Weise seines Jahrhunderts diesem schönen Geschäft zugebildet hat. Eine Geburt der Freundschaft also ist diese heitere menschliche Philosophie, die der Prinz auf dem Throne in Ausübung bringen will. Sie kleidet sich in alle Reize der Jugend, in die ganze Anmuth der Dichtung; mit Licht und Wärme wird sie in seinem Herzen niedergelegt, sie ist die erste Blüthe seines Wesens, sie ist seine erste Liebe. Dem Marquis liegt äußerst viel daran, ihr diese jugendliche Lebendigkeit zu erhalten, sie als einen Gegenstand der Leidenschaft bei ihm fortdauern zu lassen, weil nur Leidenschaft ihm die Schwierigkeiten besiegen helfen kann, die sich ihrer Ausübung entgegensetzen werden. Sagen Sie ihm, trägt er den Königin auf:

      »daß er für die Träume seiner Jugend

       »Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird,

       »Nicht öffnen soll dem tödtenden Insekte

       »Gerühmter besserer Vernunft das Herz

       »Der zarten Götterblume; daß er nicht

       »Soll irre werden, wenn des Staubes Weisheit

       »Begeisterung, die Himmelstochter, lästert.

       »Ich hab’ es ihm zuvor gesagt –«

      Unter beiden Freunden bildet sich also ein enthusiastischer Entwurf, den glücklichsten Zustand hervorzubringen, der der menschlichen Gesellschaft erreichbar ist, und von diesem enthusiastischen Entwurfe, wie er nämlich im Conflict mit der Leidenschaft erscheint, handelt das gegenwärtige Drama. Die Rede war also davon, einen Fürsten aufzustellen, der das höchste mögliche Ideal bürgerlicher Glückseligkeit für sein Zeitalter dereinst wirklich machen sollte – nicht diesen Fürsten erst zu diesem Zwecke zu erziehen; denn dieses mußte längst vorhergegangen sein und konnte auch nicht wohl zum Gegenstand eines solchen Kunstwerks gemacht werden; noch weniger ihn zu diesem Werke wirklich Hand anlegen zu lassen, denn wie sehr würde dieses die engen Grenzen eines Trauerspiels überschritten haben? – Die Rede war davon, diesen Fürsten nur zu zeigen, den Gemütszustand in ihm herrschend zu machen, der einer solchen Wirkung zum Grunde liegen muß, und ihre subjektive Möglichkeit auf einen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu erheben, unbekümmert, ob Glück und Zufall sie wirklich machen wollen.

       Inhaltsverzeichnis

      Ich will mich über das Vorige näher erklären.

      Der Jüngling nämlich, zu dem wir uns dieser außerordentlichen Wirkung versehen sollen, mußte zuvor Begierden übermeistert haben, die einem solchen Unternehmen gefährlich werden können; gleich jenem Römer mußte er seine Hand über Flammen halten, um uns zu überführen, daß er Manns genug sei, über den Schmerz zu siegen; er mußte durch das Feuer einer fürchterlichen Prüfung gehen und in diesem Feuer sich bewähren. Dann nur, wenn wir ihn glücklich mit einem innerlichen Feinde haben ringen sehen, können wir ihm den Sieg über die äußerlichen Hindernisse zusagen, die sich ihm auf der kühnen Reformantenbahn entgegen werfen werden; dann nur, wenn wir ihn in den Jahren der Sinnlichkeit, bei dem heftigen Blute der Jugend, der Versuchung haben Trotz bieten sehen, können wir ganz sicher sein, daß sie dem reifen Manne nicht gefährlich mehr sein wird. Und welche Leidenschaft konnte mir diese Wirkung in größerem Maße leisten, als die mächtigste von allen, die Liebe?

      Alle Leidenschaften, von denen für den großen Zweck, wofür ich ihn aufspare, zu fürchten sein könnte, diese einzige ausgenommen, sind aus seinem Herzen hinweggeräumt oder haben nie darin gewohnt. An einem verderbten sittenlosen Hofe hat er die Reinigkeit der ersten Unschuld erhalten, nicht seine Liebe, auch nicht Anstrengung durch Grundsätze, ganz allein sein moralischer Instinkt hat ihn vor dieser Befleckung bewahrt.

      »Der Wollust Pfeil zerbrach an dieser Brust,

       »Lang ehe noch Elisabeth hier herrschte.«

      Der Prinzessin von Eboli gegenüber, die sich aus Leidenschaft und Plan so oft gegen ihn vergißt, zeigt er eine Unschuld, die der Einfalt sehr nahekommt. Wie Viele, die diese Scene lesen, würden die Prinzessin weit schneller verstanden haben. Meine Absicht war, in seine Natur eine Reinigkeit zu legen, der keine Verführung etwas anhaben kann. Der Kuß, den er der Prinzessin gibt, war, wie er selbst sagt, der erste seines Lebens, und dies war doch gewiß ein sehr tugendhafter Kuß! Aber auch über eine feinere Verführung sollte man ihn erhaben sehen; daher die ganze Episode der Prinzessin von Eboli, deren buhlerische Künste an seiner besseren Liebe scheitern. Mit dieser Liebe allein hätte er es also zu thun, und ganz wird ihn die Tugend haben, wenn es ihm gelungen sein wird, auch noch diese Liebe zu besiegen; und davon handelt nun das Stück. Sie begreifen nun auch, warum der Prinz gerade so und nicht anders gezeichnet worden; warum ich es zugelassen habe, daß die edle Schönheit dieses Charakters durch so viel Heftigkeit, so viel unstäte Hitze, wie ein klares Wasser durch Wallungen, getrübt wird. Ein weiches wohlwollendes Herz, Enthusiasmus für das Große und Schöne, Delicatesse, Muth, Standhaftigkeit, uneigennützige Großmuth sollte er besitzen, schöne und helle Blicke des Geistes sollte er zeigen, aber weise sollte er nicht sein. Der künftige große Mann sollte in ihm schlummern; aber ein feuriges Blut sollte ihm jetzt noch nicht erlauben, es wirklich zu sein. Alles, was den trefflichen Regenten macht, alles, was die Erwartungen seines Freundes und die Hoffnungen einer auf ihn harrenden Welt rechtfertigen kann, alles, was sich vereinigen muß, sein vorgesetztes Ideal von einem künftigen Staat auszuführen, sollte sich in diesem Charakter beisammen finden: aber entwickelt sollte es noch nicht sein, noch nicht von Leidenschaft geschieden, noch nicht zu reinem Golde geläutert. Darauf kam es ja eigentlich erst an, ihn dieser Vollkommenheit näher zu bringen, die ihm jetzt noch mangelt; ein mehr vollendeter Charakter des Prinzen hätte mich des ganzen Stücks überhoben. Eben so begreifen Sie nunmehr, warum es nöthig war, den Charakteren Philipps und seiner Geistesverwandten einen so großen Spielraum zu geben – ein nicht zu entschuldigender Fehler, wenn diese Charaktere weiter nichts als die Maschinen hätten sein sollen, eine Liebesgeschichte zu verwickeln und aufzulösen – und warum überhaupt dem geistlichen, politischen und häuslichen Despotismus ein so weites Feld gelassen worden. Da aber mein eigentlicher Vorwurf war, den künftigen Schöpfer des Menschenglücks aus dem Stücke gleichsam hervorgehen zu lassen, so war es sehr an seinem Orte, den Schöpfer des Elends neben ihm aufzuführen und durch ein vollständiges schauderhaftes Gemälde des Despotismus sein reizendes Gegentheil desto mehr zu erheben. Wir sehen den Despoten auf seinem traurigen Thron, sehen ihn mitten unter seinen Schätzen darben, wir erfahren aus seinem Munde, daß er unter allen seinen Millionen allein ist, daß die Furien des Argwohns seinen Schlaf anfallen, daß ihm seine Creaturen geschmolzenes Gold statt eines Labetrunks bieten; wir folgen ihm in sein einsames Gemach, sehen da den Beherrscher einer halben Welt um ein – menschliches Wesen bitten und ihn dann, wenn das Schicksal ihm diesen Wunsch gewährt hat, gleich einem Rasenden, selbst das Geschenk zerstören, dessen er nicht mehr würdig war. Wir sehen ihn unwissend den niedrigsten Leidenschaften seiner Sklaven dienen; sind Augenzeugen, wie sie die Seile drehen, woran sie Den, der sich einbildet, der alleinige Urheber seiner Thaten zu sein, einem Knaben gleich lenken. Ihn, vor welchem man in fernen Welttheilen zittert, sehen wir vor einem herrischen Priester eine erniedrigende Rechenschaft ablegen und eine leichte Uebertretung mit einer schimpflichen Züchtigung büßen. Wir sehen ihn gegen Natur und Menschheit ankämpfen, die er nicht ganz besiegen kann, zu stolz, ihre Macht zu erkennen, zu ohnmächtig, sich ihr zu entziehen; von allen ihren Genüssen geflohen, aber von ihren Schwächen und Schrecknissen verfolgt; herausgetreten aus seiner Gattung, um als ein Mittelding von Geschöpf und Schöpfer – unser Mitleiden zu erregen. Wir verachten diese Größe,