Suzanne. Levi Krongold

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Название Suzanne
Автор произведения Levi Krongold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748592495



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fixierte er die Passanten. Sonnengebräunte, ältere Touristen in Strandlatschen und Bermuda Shorts, die die ödematösen Fußknöchel oder fingerdicke Krampfadern freiließen, dahin watschelnde dickbäuchige Männer und Frauen, mondäne Damen, die teuren Autos entstiegen und gezierte Wangenküsse austauschten. Gelangweilt daher schlendernde Einheimische in der den Korsen eigenen Müßigkeit, Frauen, die ihre schreienden Kinder aus dem benachbarten Kindergarten abholten und ausschimpften. Zulieferer der angrenzenden Geschäfte, die mit ihren Lastwagen hemmungslos die parkenden Fahrzeuge blockierten und sich auch durch das wütende Hupen ihrer Besitzer nicht aus der Ruhe bringen ließen. Er liebte diese Szenarien und gleichzeitig konnte er den Blick nicht von seiner Uhr lassen, deren Zeiger nur im Schneckentempo auf die vereinbarte Stunde zukrochen. Die Kirchenglocke der kleinen benachbarten Kapelle erlöste ihn schließlich mit dem Mittagsgeläut von seiner Pflicht, seine Armbanduhr in Anspruch nehmen zu müssen und als er dann doch einen Schluck seines schon kalten Kaffees zu sich nahm und wieder aufblickte, stand sie plötzlich vor ihm. »Oh, ich habe Sie gar nicht kommen sehen!«, sprang er auf und warf dabei beinahe seinen Stuhl um. »Habe ich mich verspätet?« »Oh nein, ganz und gar nicht. Schön sehen Sie aus!« »Danke!«, lächelte sie verlegen und als sie ihm die traditionellen zwei angedeuteten Küsschen auf die Wangen gab, raubte ihm ihr betörender Duft fast den Atem. »Du, bleiben wir beim Du?« »Entschuldige, ja. Ich bin ganz verwirrt, dich zu sehen!« »Waren wir nicht verabredet?«, fragte sie mit großen Augen. »Nein, doch, nein, das meine ich nicht. Sie, du bist noch schöner als gestern.« »Ich bitte dich, du machst mich verlegen.« Sie errötete leicht und er bemerkte, dass sie das Kompliment ein wenig unsicher zu machen schien.Sie setzten sich beide wieder und sahen sich eine Weile lächelnd, aber schweigend an. Es schien nun schwierig, die gestrige Unbefangenheit wiederherzustellen. Dies hier war etwas anderes, etwas Größeres. »Wo stammt ihr her, von hier, aus Korsika?« »Oh, no, no. Unsere Familie stammt aus Dijon. Doch meine Tante und mein Onkel leben hier und besitzen ein kleines Hotel oben in Corbara. »Sie sprechen gut Deutsch, fast ohne Akzent. Ich glaubte, Sie seien aus Deutschland.« »Du!«,korrigierte sie ihn lächelnd. Erst schaute er verwirrt, bis ihm auffiel, dass er sie schon wieder gesiezt hatte. »Mein Vater stammt von hier, lebte aber seit meiner Kindheit in der Schweiz, wo ich lange gewohnt habe und auch zur Schule gegangen bin. Meine Mutter ist aus Dijon. Aber lass uns nicht zu viel von der Vergangenheit reden. Betrachten wir die Gegenwart.«Er nickte erleichtert, weil ihm damit erspart blieb, langwierige Erklärungen abgeben zu müssen, weshalb er ohne Familie allein nach Korsika gereist war. »Du hast recht, es ist wunderschön hier. Ich liebe diese Straßencafés.« »Ich bin ziemlich oft hier. Wenn du mich also treffen möchtest, hast du eine gute Chance, mich hier zu finden«, lächelte sie. »Du wohnst oben in Corbara?«Ihre Miene verfinsterte sich. »Manchmal ja, aber ich bin lieber hier unten. Eine Tante hat hier ein kleines Appartement. Wenn es nicht vermietet ist, kann ich es benutzen.« »Nun, es wäre auch ziemlich beschwerlich, nach oben auf den Berg zu gehen, das Dorf liegt ja fast oben auf der Spitze.« »Mit dem Auto ist es kein Problem, wenige Minuten, aber ich habe kein Auto und das ist auch besser so.« »Weshalb?«, wunderte er sich. Sie machte eine kleine nachdenkliche Pause. Dann änderte sich ihre Miene plötzlich zu einem schelmischen Grinsen. »Man wird zu fett, man bewegt sich zu wenig, wenn man immer nur mit dem Auto fährt.« »Da brauchst du dir, glaube ich, keine Sorgen zu machen«, lächelte er charmant. »Oh, sag das nicht. Ich esse nur Salat, sonst sähe ich bereits aus wie meine Tante. In unserer Familie sind alle über vierzig fette Matronen geworden.«Vor dem Café knatterte ein Motorroller heran, auf dem ein massiger Fahrer saß mit silbernem Helm und schmuddeligem blaugestreiften T-Shirt, dass seinen Schmerbauch nur knapp bedecken konnte. Er parkte das Gefährt unter einer Platane am Straßenrand. Suzanne schrak auf und drehte sich ein wenig zur Seite und damit dem Fahrer den Rücken zu. Levi blickte erstaunt auf. Der Fahrer nahm den Helm ab und verstaute ihn unter der Sitzfläche, die er dazu hochgeklappt hatte. Dann watschelte er gemächlich auf die andere Straßenseite. Sie atmete erleichtert auf. »Was war?«, fragte er irritiert. Sie neigte sich vor und flüsterte in verschwörerischem Ton: »Das ist ein Freund meines Onkels. Er sollte mich besser nicht hier sehen.« »Weshalb?«Sie lehnte sich zurück und betrachtete die wenigen Wolken am Himmel. »Lass uns besser woanders hingehen. Es ist nicht schicklich für eine unverheiratete Frau, sich hier mit einem fremden Mann zu treffen, fürchte ich.« Verwundert schaute er sie an. Sie lächelte verlegen und zuckte wie ein kleines Kind, das einen Regelverstoß begangen hatte, aber ihn nicht ungeschehen machen kann, entschuldigend mit den Schultern. »Wenn du möchtest!«, gab er etwas konsterniert zurück, legte einige Münzen auf den bereit gestellten Teller mit der Rechnung und half ihr galant beim Aufstehen. »Gehen wir zum Strand hinunter«, schlug er vor. »Ja, da kenne ich eine schöne ruhige Ecke«, freute sie sich und hakte sich ganz zwanglos bei ihm unter. Etwas verlegen über ihre ungewohnte Nähe verkrampfte er sich innerlich ein wenig, doch er spürte, wie sie sich mühelos seinem Rhythmus anpasste und in seinen Schritt einstimmte. Er fühlte sich an sein allererstes Rendezvous in seiner Jugendzeit erinnert, auch an die besseren Jahre seiner Ehe, wo ein derartiges zusammen Gehen bedeutete, dass man ein Paar war und dies auch zeigte, weil man jetzt »zusammen ging«. Er wartete den kurzen Weg zum Strand hinunter auf eine Erklärung ihres merkwürdigen Verhaltens, doch sie nahm den Faden nicht wieder auf, sondern machte kleine witzige Bemerkungen über die Menschen, denen sie begegneten, erklärte ihm die Besonderheit einer unscheinbaren Kapelle am Strand und einige Geschichten der Bewohner in den Häusern, die ihr bekannt waren. Kleine boshafte Geschichten von Menschen, die ihr Dorf, ihre Insel niemals verlassen hatten, wie von der Witwe eines kleinen Hauses nahe des Kastells aus der Genuesazeit, von deren Balkon der Kopf einer selbstgebastelten Puppe hinunter starrte, um das Haus vor Einbrechern und bösen Geistern zu schützen. Rührende Geschichten von einfachen und einfältigen, aber gutmütigen Menschen. Schließlich balancierten sie über den zu merkwürdigen Formen ausgewaschenen Granit am Fuße des Kastells, um auf einer massiven Felsplatte halt zu machen, die bis nahe ans Wasser reichte und von kleinen Wellen umspült wurde. Um die Mittagszeit brannte die Sonne unbarmherzig auf den Stein, so dass die Luft darüber zu flimmern begonnen hatte. Deshalb suchten sie im Schatten unter einem vom Wind gebeugten Feigenbaum Schutz und Deckung. Vom Dorf her war dieser Ort wirklich kaum einzusehen, wenn man nicht wie einige wenige sonnenhungrige Touristen auf den Steinen sonnenbaden wollte. Einheimische mieden ohnehin die Strände und Touristenecken, wie er festgestellt hatte. »Weshalb willst du nicht gesehen werden?«, brach es jetzt aus ihm heraus. Sie schaute ihn kurz und wie es schien unschlüssig an, beugte sich dann über ihre angewinkelten Knie und bedeckte ihre Füße, die in zierlichen Sandaletten steckten, mit den Händen. »Weißt du, man ist hier noch recht konservativ. Es gibt unausgesprochene Normen, alter Kram von vor 200 Jahren, die noch nicht überwunden sind. Die Zeit ist hier teilweise etwas stehen geblieben.« »Du meinst, wie sich eine Frau zu verhalten hat?« Sie nickte und lächelte ihn mit ihren vollen Lippen an. Er glaubte in ihren Augen einen schelmischen Trotz zu entdecken, der andeutete, was sie von dieser Art von Norm dachte. »Aber die Touristen?«, fragte er mit Blick auf eine barbusige Frau, die ungehemmt nahe eines Strandrestaurants auf dem Felsen schmorte. »Die Touristen sind das eine, für sie gilt vieles nicht. Im Gegenteil, sie sind eine Gelegenheit für die Männer, mal einen Blick zu riskieren, der ihnen zuhause verboten wäre.« Er nickte. Diese Einstellung kannte er auch aus dem katholischen Sizilien. War es ehrenrührig einer Einheimischen ohne Duldung der Eltern oder Verwandten zu nahe zu treten, so betrachteten sie andererseits die Touristinnen als sexuelles Freiwild. Während das eine zu Ehrenmorden und langjährigen Familienfeden führen konnte, war das andere zumindest für die Männer ein Sport, der von ihren Frauen zwar nicht gern gesehen wurde, aber auch nicht verhindert werden konnte.

       Allerdings kam es nicht selten vor, dass eine besonders blonde und naive junge Touristin auf merkwürdige Weise und für immer verschwand. »Dein Onkel darf nicht wissen, dass du dich mit mir triffst?«Sie zog einen Schmollmund. »Meine Tante, mein Onkel lebt nicht mehr. Es wird wohl nicht zu verhindern sein, dass sie es früher oder später erfährt, hier kennt jeder jeden.« »Aber bist du nicht eine erwachsene Frau, die selbst entscheiden kann, was sie tut oder will?« »Natürlich, deshalb treffe ich mich auch mit dir. Doch es ist einfacher, wenn sie es eher später als früher erfährt.« »Soll ich offiziell um deine Hand anhalten?«, spottete er. Wieder erwarten erwiderte sie seinen Spott nicht, sondern ihre Augen glänzten plötzlich feucht und