Sprachwandel - Bedeutungswandel. Sascha Bechmann

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Название Sprachwandel - Bedeutungswandel
Автор произведения Sascha Bechmann
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846345368



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spiegelt sich demnach über den Prozess der Veränderung des Denkens bisweilen auch in konkretem Handeln wider.

      Diese kontrovers diskutierte Annahme wurde von BENJAMIN WHORF aufgestellt, der sich auf den Sprachwissenschaftler EDWARD SAPIR berief und die Hypothese gemeinsam mit ihm vertrat. Ansätze zu einer Theorie des linguistischen Relativismus finden sich schon weit früher bei WILHELM VON HUMBOLDT. Die Sapir-Whorf-Hypothese führt neben den genannten Aspekten auch zu der Annahme von der grundsätzlichen Unübersetzbarkeit fremdsprachlicher Texte.

      [bad img format]BENJAMIN LEE WHORF (1879—1941)

      war zunächst Chemieingenieur und Experte für Brandschutz, bevor er amerikanische und indianische Linguistik mit dem besonderen Interesse für uto-amerikanische Sprachen bei EDWARD SAPIR studierte.

      WHORF wurde (posthum) bekannt für seine Arbeiten zur Sprache der Hopi und für das nach ihm und seinem Lehrer SAPIR benannte linguistische Relativitätsprinzip (Sapir-Whorf-Hypothese).

      Aus seinen Forschungen zur Hopi-Sprache leitete er ab, dass die Sprache, die ein Mensch spricht, den Weg seines Denkens maßgeblich beeinflusst: Die Struktur der Sprache beeinflusse die Wahrnehmung der Welt (s. Exkurs).

      Auch wenn nach seinem Tod seine Darstellung der relevanten Aspekte der Hopi-Grammatik und andere Vorstellungen zu semantischen Aspekten der Hopi-Sprache widerlegt worden sind, blieben seine Gedanken zum Verhältnis von Sprache und Denken bis heute einflussreich — und werden in der Gegenwart kontrovers diskutiert.

      1.2 Warum sprechen wir so und nicht anders? — Eine sprachhistorische Spurensuche

      Derzeit werden auf der Welt etwa 6500 bis 7000 Sprachen gesprochen, wobei diese Festlegung nur annäherungsweise stimmt (vgl. SCHLOBINSKI 2014: 31). Sie ist deswegen vage, weil nicht ganz klar ist, was man eigentlich zu den Sprachen als eigenständige Form hinzuzählen darf und was nicht. So gibt es beispielsweise sprachliche VariantenVariante wie etwa das Schweizerdeutsch, bei denen man uneins ist, ob es sich nun um eine eigene Sprache handelt oder ob diese Sprachform lediglich als Ableger einer anderen Sprache betrachtet werden darf.

      Am ehesten ist eine Grenzziehung dann möglich, wenn man den Aspekt der kulturellen oder gesellschaftlichen Identifikation durch Sprache ins Feld führt und diesen von den Ähnlichkeiten zu anderen Sprachen abgrenzt.1VariationSondersprache So ist das Deutsche ebenso wie das Spanische oder das Italienische ein kulturell und gesellschaftlich determinierendes Sprachsystem. Das bedeutet: Alle Sprecher dieser Sprache sind kulturell und gesellschaftlich miteinander verbunden. Insofern kennzeichnet Sprachen immer auch das Prinzip der Ausschließlichkeit. Das kennen Sie sicher auch: Menschen, die eine andere als unsere eigene Sprache sprechen, sind uns oft fremd, wohingegen wir uns häufig im Ausland freuen, auf Menschen zu treffen, die dieselbe Sprache sprechen wie wir. Man kann sagen: Gemeinsame Sprachen verbinden, weil sie auf gemeinsame Normen, Werte und Erfahrungen schließen lassen. Oder anders:

      [bad img format]Gemeinsame sprachliche WissensbeständeWissensbeständesprachliche sind kognitiv und emotional verwoben mit gemeinsamen außersprachlichen WissensbeständenWissensbeständeaußersprachliche wie gemeinsame Werte, Normen und kollektive Erfahrungswelten. Daher wirken Sprachen identitätsstiftend, gruppenstabilisierend und zugleich ausschließend.

      Da die Schweizer, um bei unserem Beispiel zu bleiben, eine eigene gesellschaftliche Identität (z.B. durch eigene Gesetze etc.) besitzen, wäre es nicht falsch, das Schweizerdeutsch als eigene Sprache zu bewerten. Nicht falsch, aber eben auch umstritten, weil die sprachsystematischen Eigenschaften des Schweizerdeutschen nahezu identisch sind mit denen des Deutschen. Hier sind es dann die Unterschiede, die dem Schweizerdeutschen einen Status als eigene Sprache zuweisen können.

      Problematisch wird die Festlegung anhand kultureller und gesellschaftlicher Identifikation auch dann, wenn eine Sprache in zwei oder mehr kulturell völlig verschiedenen Gesellschaften gesprochen wird. Für das Französische ist das etwa der Fall, da es nicht nur in Frankreich, sondern auch in den ehemaligen französischen Kolonien in Nordafrika, in Westafrika oder auch auf Haiti gesprochen wird. Hier ist die gemeinsame Identifikation über die Sprache auf den ersten Blick kein Kriterium, das definitorisch das Französische als Sprache verorten könnte. Doch der Schein trügt. Für Amtssprachen gilt: Sie sind nicht die Sprachen, die von den Bevölkerungen primär gesprochen werden – und es gibt häufig Unterschiede in der Sprachverwendung (z.B. phonetische). Zudem kommt es häufig zur Ausbildung eigener Sprachen durch Vermischungen von Muttersprache und Amtssprache, die man als Pidgin-Sprache bezeichnet. Solche Sprachen sind vereinfachte Behelfssprachen zur Verständigung zwischen Menschen, die unterschiedliche Muttersprachen sprechen (sogenannte lingua franca).

      Eine andere Blickrichtung ergibt sich, wenn man allein die Unterschiede im Sprachsystem als Maßstab nimmt. Andere Sprachen besitzen andere Wortschätze, andere Grammatikregeln und teilweise andere Schriftsysteme. Aber auch hier gibt es oft mehr Gemeinsamkeiten, als man zunächst vermutet – besonders dann, wenn verschiedene Sprachen sich aus derselben Wurzel entwickelt haben. Das können wir leicht erkennen, wenn wir einen Blick auf das Englische werfen, das dem Deutschen zunächst nicht sehr ähnlich zu sein scheint, aber wie Deutsch, Niederländisch oder Schwedisch zu den germanischen Sprachen gehört. Dass das Englische als westgermanischer Zweig der indogermanischen Sprachen (s. Tabelle 1) dem Deutschen sehr nahe ist, können Sie erkennen, wenn Sie sich das deutsche und das englische Wort ansehen, das wir in beiden Sprachen verwenden, wenn etwas reichlich vorhanden ist. Im Deutschen sagen wir in solchen Fällen gerne, wir hätten genug von etwas. Im Englischen spricht man davon, dass etwas enough ist, beispielsweise enough to eat. Wenn man das englische Wort enough so ausspricht, wie es der deutschen KonventionKonvention entspricht und sich damit von der bekannten englischen Aussprachekonvention löst, liest man das Wort wie [əˈnuːk]. Setzt man nun vor das englische Wort ein g-, entsteht morphologisch das Wort genough, das lautlich als [ɡəˈnuːk] realisiert wird. Lautlich, semantisch und auch beinahe orthografisch entspricht dieses Wort unserem deutschen Lexem genug. Sie erkennen daran:

      [bad img format]Die morphologische, lautliche, grammatische und/oder semantische Ausdifferenzierung von Sprachen ist und war immer das Resultat eines Sprachwandels.

      Sehen wir uns ein anderes Beispiel für Sprachwandel im Deutschen an, das auf einer Sprachverwandtschaft beruht. Manchmal ist es so, dass Familienmitglieder sich etwas leihen. Wenn Sie Geschwister haben, kennen Sie das. Bei Sprachen ist das oft nicht anders, auch hier werden Elemente verliehen und wie bei Geschwistern oder Freunden leiht man sich etwas, was man selbst gut gebrauchen kann. Das deutsche Wort Keks ist ein gutes Beispiel für eine solche Leihgabe aus dem verwandten Englischen. Wie Sie wissen, gibt es im Englischen das ähnliche Wort cake, das Engländer und Amerikaner dazu verwenden, um auf einen Kuchen zu referieren. Unser deutsches Wort Keks ist etymologisch eine Übernahme des Wortes cake aus dem Englischen, wobei wir den Begriff interessanterweise im Singular in der Pluralform der Muttersprache verwenden. Weil uns das gar nicht bewusst ist – und weil die Pluralendung -s in unserem grammatischen System seltener vorkommt –, hängen wir an die Pluralendung -s noch unsere verbreitete Pluralendung -e an (ein Keks / zwei Kekse), wenn wir davon sprechen, dass wir mehr als ein Stück Gebäck auf unserem Teller haben.

      Solche grammatischen Anpassungen von EntlehnungenEntlehnung an unser grammatisches System finden wir beispielsweise auch bei dem aus dem Italienischen kommenden Wort Scampi, die gerne fälschlicherweise als Scampis bezeichnet werden, wenn man nicht weiß, dass der Singular im Italienischen nicht Scampi, sondern Scampo lautet. Sie sehen: Einflüsse aus anderen Sprachen sind etwas völlig Normales und sie lassen sich durch Sprachverwandtschaften historisch oder geografisch fast immer erklären.

      Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sich die einzelnen Sprachen aus einer Sprachvielheit mit weit zurückliegenden gemeinsamen sprachlichen Wurzeln durch sogenannte kulturell bedingte KonvergenzenKonvergenz zu Einheitssprachen als Standardvarietäten2Differenzierung von Sprachengemeinschaften entwickelt haben